„heute-journal“-Moderator wird deutlich„Mir tut es weh, wenn ich sehe, wie unsere Innenstädte veröden“

Christian Sievers moderiert normalerweise das „heute-journal“. In seiner neuen „Am Puls“-Reportage blickt er auf den Zustand der Innenstädte und fragt, wie wir lebenswerte urbane Orte schaffen können.

Christian Sievers moderiert normalerweise das „heute-journal“. In seiner neuen „Am Puls“-Reportage blickt er auf den Zustand der Innenstädte und fragt, wie wir lebenswerte urbane Orte schaffen können.

Was menschenfreundliche Innenstädte ausmacht, erforscht „heute-journal“-Hauptmoderator Christian Sievers in seiner neuen Doku. Im Interview verrät der 56-Jährige, was ihn bei den Recherchen überraschte, beeindruckte und schockte.

Zubetonierte Flächen, Massen an Autos und Leerstand auch in bester Lage: Der Zustand vieler Innenstädte in Deutschland sorgt immer wieder für Kritik. Aber was macht eine lebenswerte und menschenfreundliche Stadt überhaupt aus? Wo liegen die Ursachen für die Misere, und wie kann man es besser machen?

„heute-journal“-Hauptmoderator Christian Sievers begibt sich in seiner neuen „Am Puls“-Reportage unter dem Titel „Wie retten wir unsere Städte?“ (Montag, 9. Juni, 19.20 Uhr, ZDF) auf die Suche nach Antworten.

Interview mit dem „heute-journal“-Moderator Christian Sievers

Während der 56-Jährige in Städten wie Ludwigshafen mit den dringlichsten Problemen konfrontiert wird, trifft er im sächsischen Borna und im spanischen Santander auf mögliche Lösungsansätze.

Alles zum Thema ZDF

Im „teleschau“-Interview berichtet der Journalist, der vor seinem Wechsel nach Mainz unter anderem aus Tel Aviv berichtete, was ihm auf seiner Recherchereise begegnete - und was ihn nachhhaltig beeindruckte.

Herr Sievers, in Ihrer neuen „Am Puls“-Reportage blicken Sie auf die Misere vieler Innenstädte. Gab es neben der journalistischen auch eine persönliche Motivation, sich diesem dringlichen Thema zu widmen?

Christian Sievers: Ich habe selbst immer in Städten gelebt, ich liebe lebendige Orte, an denen sich Menschen treffen. Und mir tut es weh, wenn ich sehe, wie unsere Innenstädte veröden. Auch schon optisch: Leerstand statt Leben. Wenn es kaum noch Gründe gibt, dorthin zu gehen. Wenn ich in eine neue Stadt komme und frage, wo kann man hier was Typisches essen gehen, und nur fragende Gesichter sehe - das kann doch nicht die Zukunft sein.

Woher rührt dieser oft kritisierte Zustand der Innenstädte?

Sievers: Es ist eine Mischung - und da kommt gerade eine Menge zusammen. Es ist auch regional immer unterschiedlich. Aber generell stehen die Städte überall unter Druck in Zeiten von Online-Shopping, Verkehrsinfarkt, Mietexplosion und Klimakrise. Jetzt sind neue Ideen gefragt und neuer Aufbruch - auch das wollen wir zeigen. Denn, dass sich etwas ändern muss, ist klar: Der Großteil von uns wird auch künftig in Städten leben. Deshalb kann es uns nicht egal sein, was dort passiert.

Was in den deutschen Städten geschieht, hat oft auch damit zu tun, dass diese nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem für den Autoverkehr konzipiert wurden. Inwieweit ist dies eine ideologische Frage, in der sich auch die aktuellen Spaltungen der Gesellschaft spiegeln?

Sievers: Beispiel Ludwigshafen. Dort sagen uns Anwohner, dass im Grunde jeder Stadtteil seine eigene Autobahnausfahrt hat. Das galt mal als Errungenschaft. Mittlerweile sind all diese Hochstraßen marode und müssen dringend saniert werden. Um die Planung zu vereinfachen, baut man wieder neue Hochstraßen. Und so richtig glücklich ist niemand darüber.

„Wer wünscht sich so was nicht für zu Hause?“

Neben der Betonwüste ist der zunehmende Leerstand eines der größten Probleme. Wie schafft man es, dass die Bürger wieder in den Innenstädten einkaufen, anstatt online zu shoppen?

Sievers: Ich stand mitten im Zentrum von Freiburg im Breisgau fasziniert vor einem Eisenwarengeschäft. Dort bereiteten sie gerade eine große Party vor - zum 100-jährigen Bestehen! Dabei wirkt der Laden alles andere als altbacken. Wenn Sie abends noch schnell eine bestimmte Schraube brauchen, wird ihnen dort geholfen. Und es stellt sich heraus: Das ist viel mehr als ein Geschäft - das ist ein Stück Lebensgefühl. Und der Laden brummt auch deshalb, weil die Stadt aufpasst, dass die Miete bezahlbar bleibt, und weil dort große Einkaufszentren nicht erwünscht sind.

Dass es auch anders gehen kann, zeigen Sie nicht nur in Freiburg, sondern auch im sächsischen Borna - und in Spanien: Müssen wir bei der Stadtentwicklung mehr über den nationalen Tellerrand schauen?

Sievers: Wir kennen das doch alle: Da sitzt man auf einer spanischen Plaza, um einem herum tobt das Leben. Eine Bar schenkt Wein aus, daneben der Metzger. Gegenüber ein bunt überquellender Obststand. Die Kinder spielen Fußball, der lokale Friseur wartet auf Kundschaft. Wer wünscht sich so was nicht für zu Hause? Natürlich haben auch diese Städte ihre Probleme, aber gerade bei dem, was funktioniert, und was nicht klappt, können wir alle voneinander lernen, weltweit. Die Spanier waren erstaunt und begeistert, dass sich die Leute vom deutschen Fernsehen für ihre Stadtplanung interessieren.

Welche hilfreichen Tipps für unsere Städte haben Sie denn mitgenommen?

Sievers: In der einst gebeutelten Stadt Santander, die jetzt als super-lebenswert gilt, sagten sie uns: Ihr Deutschen müsst mehr raus auf die Straße, eure Städte wieder in Besitz nehmen! Manchmal sind es Kleinigkeiten, die schon helfen: Wir zeigen in der Doku wirklich filmreife Unterführungen, ein Kunstforum, das allen Bürgern lebenslang gratis Eintritt schenkt. Und immer wieder: Welchen Unterschied es macht, ein paar hübsche Tische und Stühle aufzustellen, mitten in der Stadt.

Glauben Sie, dass Ihr Film diese Einstellung zu unseren Städten ein wenig beeinflussen kann?

Sievers: Ich will keinen Einfluss nehmen. Ich will schlicht zeigen, was ist. Was wir alle täglich erleben in unseren Städten. Wo es nicht mehr läuft - und wie es besser geht.

Dafür begaben Sie sich mit Ihrem Team an zahlreiche Orte. Erinnern Sie sich an einen besonders denkwürdigen Moment auf Ihrer Reise?

Sievers: Ja. Da steht der Stadtplaner von Omaha, einer einst heruntergekommenen Industriestadt im Mittleren Westen der USA, stolz auf seiner hypermodernen Panoramaplattform - mit einem weiten Blick über den ebenfalls brandneuen Stadtpark. Ich frage, warum er das gebaut hat? Antwort: „Because it's fun.“ Das sagt schon viel: Es geht eben um mehr als Baupläne und Finanzierungssorgen. Es geht um unsere Lebensqualität.

„Neugier ist wichtig. Staunen macht Spaß“

Sie berichteten früher aus Kriegs- und Krisengebieten, hier geht es um die Krise vor der Haustür. Allgemein gefragt: Was ist schwieriger: das Fremde zu erklären oder das Vertraute zu hinterfragen?

Sievers: Gute Frage. Ich glaube, es hat beides seine Herausforderungen. Dinge erklären, die für viele neu sind, ebenso wie Bekanntes hinterfragen. Und mal ein wenig rütteln an der „Das-haben-wir-doch-immer-so-gemacht“-Haltung. Grundsätzlich bleibt aber eines immer gleich: Neugier ist wichtig. Staunen macht Spaß. Deshalb bin ich Journalist geworden.

Die Haltung in der Reportage verlangt eine andere Präsenz als die im Nachrichtenstudio. Was reizt Sie persönlich an solchen Ausflügen nach „draußen“?

Sievers: Meine Aufgabe ist es, zu berichten, was in der Welt passiert. Das geht nicht aus dem Büro, das geht nur, wenn man sich die Welt ansieht. Jede Begegnung mit Menschen, egal ob in Washington, Kairo oder, wie jetzt, in Monheim und Ludwigshafen, gibt mir neue Impulse, „Futter“ für Fragen und Recherchen. Davon zehre ich dann lange Zeit im „heute-journal“. (tsch)