Werbung in eigener Sache machen die Grünen in dieser Dokumentation beim besten Willen nicht: In einem neuen ZDF-Dreiteiler setzen namhafte Parteigrößen auf Selbstkritik statt Eigenlob. Zu Wort kommen unter anderem Joschka Fischer, Annalena Baerbock, Felix Banaszak und Ricarda Lang.
„Die Leute finden die Grünen einfach total doof“Grünen-Elite übt in ZDF-Doku schonungslose Selbstkritik

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Grünen-Chef Felix Banaszak hat erkannt: „Die Leute finden die Grünen einfach total doof.“
„Die Grünen haben Deutschland verändert - und sich selbst“, heißt es in den letzten Minuten des ZDF-Doku-Dreiteilers, der „Aufstieg und Krise“ der Partei recht genau unter die Lupe nimmt. Es sind mahnende Worte, die die Filmemacher an die Menschen richten, die sie in den vergangenen Wochen und Monaten begleitet und interviewt haben: „Wenn die Partei vergisst, wofür sie einst angetreten ist, wird sie entbehrlich - als Zumutung für die Politik und das ganze Land. Denn auch das braucht die Demokratie.“
„Zumutung“, das ist ein Begriff, der in der Dokuserie gleich mehrmals fällt. Etwa dann, als die Ex-Grünen-Chefin Ricarda Lang mehr „Ehrlichkeit, auch mit den Fehlern des politischen Betriebes“ fordert und gleichzeitig zusammenfasst, weshalb ausgerechnet diese Ehrlichkeit den Grünen in der Vergangenheit häufig zum Verhängnis wurde: „In der Bevölkerung gibt es oft eine große Angst, wenn Politiker sagen, dass man auch über Zumutungen reden muss. Der Busfahrer, die Pflegekraft, die haben oft die Erfahrung gemacht, dass die Zumutungen nicht die Person tragen wird, die gut betucht ist und gut über die Runden kommt.“
Winfried Kretschmann: „Die Politik muss ein Wohlstandsversprechen machen“
Reflektiert treten die meisten der 18 interviewten (Ex-)Grünen auf. Und selbstkritisch, die einen mehr, die anderen weniger. Zu Wort kommen nebst Urgesteinen wie Ludger Volmer, Joschka Fischer und Lukas Beckmann auch die prägenden Gesichter der jüngeren Vergangenheit: Annalena Baerbock, Ricarda Lang, Felix Banaszak. Von der eigenen Partei enttäuscht zeigen sich vor allem die jüngeren Mitglieder.

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Joschka Fischer mahnt, man dürfe der Bevölkerung „nicht mit technokratischen Gesetzesentwürfen existenzielle Ängste einjagen“.
„2021 war für uns alle ein ganz hoffnungsvolles Jahr, weil die Grünen in die Regierung gekommen sind“, sagt etwa Mara Kleine. „Dann kam ganz schnell ganz viel Enttäuschung.“ Die „Fridays for Future“-Aktivistin ist der Partei erst vor Kurzem beigetreten - auch, um intern Druck zu machen. „Was viele Wählerinnen und Wähler so stört, ist, dass die Grünen manchmal eben Entscheidungen mit Bauchschmerzen treffen, die sie nicht treffen sollten. Manchmal kann man keine Kompromisse eingehen, vor allem, wenn es um Klimapolitik geht.“

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Winfried Kretschmann zufolge sei es nicht Aufgabe der Politik, „den Leuten etwas von Verzicht zu erzählen“.
Auch Sarah-Lee Heinrich ist enttäuscht von den Grünen. Einst galt die 24-Jährige vor allem innerhalb der Nachwuchs-Organisation als Hoffnungsträgerin. Doch im September 2024, ein Jahr, nachdem ihre Amtszeit als Sprecherin der Grünen Jugend geendet war, trat sie aus der Partei aus. „Ich würde nicht sagen, dass die Grünen ihre Werte verraten haben“, erklärt sie nun mit Blick auf die Ampel. „Aber sie kamen auch nicht gegen diese Logik des Regierens an. Am Ende des Tages haben sie viele der Dinge, für die sie standen, über Bord geworfen. Nicht freiwillig, aber faktisch.“
Ohne Frage: Die Grünen, ehemalige wie aktuelle, wissen um ihre Probleme. Die einen, etwa der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, halten die Partei für zu unbequem. „Die Aufgabe der Politik ist es nicht, den Leuten etwas von Verzicht zu erzählen. Die Politik muss ein Wohlstandsversprechen machen, sonst werden sie nämlich nicht mehr gewählt“, lautet seine „ganz banale“ Einschätzung.

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Jürgen Trittin hat im Wahlkampf seiner Partei eine „klare Kante“ in Bezug auf das Thema Migration vermisst.
Andere wiederum kritisieren die Abkehr von einstigen Idealen. „Wir haben zum Teil diesem rechten Diskurs ein Stück nachgegeben, indem wir gesagt haben: 'Ja, das ist auch ein Problem mit den Asylbewerbern und der Kriminalität'“, bemängelt etwa Jürgen Trittin den Mangel einer „klaren Position“ im zurückliegenden Wahlkampf. „Wir haben uns nicht getraut, da klare Kante zu machen.“

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Mara Kleine findet: „Manchmal kann man keine Kompromisse eingehen, vor allem, wenn es um Klimapolitik geht.“
Auf den Punkt bringt es der aktuelle Bundesvorsitzende. „Die ganzen Nachwahlbefragungen deuten darauf hin: Die Leute finden die Grünen einfach total doof“, resümiert Felix Banaszak. „Die einen sagen: 'Die größten Ideologen unter der Sonne, die ziehen mit der Brechstange ihre Klimaideologie durch, gegen alle Widerstände.' Und die anderen sagen: 'Seit ihr in der Regierung seid, glaube ich euch nicht mehr, dass ihr es wirklich ernst meint. Ihr macht ja andauernd Kompromisse mit dieser doofen FDP.'“
Alle scheinen mindestens zu ahnen, was in der Partei falsch läuft. Einer der „großen Fehler, die die Grünen in der abgelaufenen Legislaturperiode gemacht haben“, sei es Joschka Fischer zufolge gewesen, „die Mehrheit der Bevölkerung, die sie mal hatten in der Klimapolitik, nicht verteidigt, sondern überfordert zu haben“, moniert der einstige Außenminister. Man dürfe „einer Rentnerin nicht mit technokratischen Gesetzentwürfen existenzielle Ängste einjagen“.

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Sarah-Lee Heinrich hat die Grünen verlassen. „Am Ende des Tages haben sie viele der Dinge, für die sie standen, über Bord geworfen“, glaubt sie.
Eine Einschätzung, die die 53 Jahre jüngere Sarah-Lee Heinrich teilt: „Es kommt nicht von ungefähr, dass die Grünen als abgehobene Partei wahrgenommen werden. Und ich glaube, dass es daran liegt, dass sie kein soziales Feingefühl haben.“
Ricarda Lang: Partei wird „hart kämpfen müssen“
Ein Hauch der „Zuversicht“, die Robert Habeck noch vor wenigen Monaten zum Kernthema seines Wahlkampfs auserkoren hatte, ist in der Doku-Reihe dann aber doch spürbar - aller Selbstkritik zum Trotz. Immer wieder hätten sich die Grünen in den vergangenen Jahrzehnten neu definiert, innerparteiliche Streitereien sowie Angriffe von außerhalb überwunden.

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„Wir werden hart kämpfen müssen“, ahnt Ricarda Lang.
Schon in den 60er-Jahren habe es „den Resonanzboden für grüne Politik“ ebenso gegeben wie die „massive Abwehr“, erinnert sich der ehemalige Bremer Bürgermeister Ralf Fücks. Bereits damals habe sich „die Mehrheit der Gesellschaft“ von den Grünen „herausgefordert“ gefühlt. Davon unterkriegen lassen dürfe man sich nicht, das weiß auch Ricarda Lang. Schließlich gehe es zuletzt nicht um die Partei, sondern den Planeten: „Die Angriffe, die wir auf uns Grüne erleben, das sind auch Angriffe auf den Klimaschutz als solchen. Das werden wir nicht zulassen - und dafür werden wir hart kämpfen müssen.“
Zu sehen ist die dreiteilige „frontal“-Dokumentation „Die Grünen - Aufstieg und Krise einer deutschen Partei“ im Streamingportal des ZDF. (tsch)