Laut einer Umfrage von 2023 glauben nur 40 Prozent der Deutschen, ihre Meinung frei äußern zu können. Bei „Markus Lanz“ geriet Ex-Grünen-Politiker Boris Palmer in ein hitziges Wortgefecht mit Neurowissenschaftlerin Maren Urner, als sie seine persönlichen Erfahrungen kleinzureden versuchte.
Bei Markus LanzBoris Palmer verliert die Fassung: „Ich lasse mir doch nicht einreden, dass ich eine Marionette bin“
Immer weniger Menschen in Deutschland haben das Gefühl, ihre Meinung frei äußern zu können.
Eine 2023 durchgeführte Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach und des Medienforschungsinstituts Media Tenor ergab demnach, dass nur 40 Prozent der Menschen glauben, ihre politische Meinung frei in der Öffentlichkeit teilen zu können. Ein Ergebnis, das „Welt“-Herausgeber Ulf Poschardt als „ein Desaster“ bezeichnete.
„Wir haben ein Problem mit Meinungsfreiheit in Europa“
Der libertäre Journalist stellte klar, dass das Problem jedoch längst nicht nur in Deutschland zu beobachten sei: „Wir haben ein Problem mit Meinungsfreiheit in Europa.“
Während Grünen-Politikerin Renate Künast das Ganze kritisch betrachte und hinter der Debatte „ein Geschäftsmodell“ mit Blick auf die sozialen Medien vermutete, ergänzte Poschardt, dass der Begriff „links-grün-versifft“ zur Meinungsfreiheit gehöre: „Das müssen Sie schon aushalten.“

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Im Gespräch mit Neurowissenschaftlerin Maren Urner platzte Boris Palmer der Kragen: „Ihre These ist absurd!“ (Bild: ZDF / Markus Hertrich)
Für den „Welt“-Herausgeber sei klar, dass die Politiker „so dünnhäutig“ geworden seien. Dies empfinde er als „problematisch und wir müssen uns überlegen, wenn wir diese Zahlen sehen, ob wir so weitermachen“.
Moderator Markus Lanz nickte zustimmend und erklärte, dass Angela Merkel in 16 Jahren Amtszeit „nicht ein einziges Mal (...) jemanden angezeigt“ habe.
Renate Künast, die seit Jahren auch gerichtlich gegen Hetze und Beleidigungen im Netz kämpft, zeigte sich davon jedoch unbeeindruckt und konterte: „Wer weiß, was sie heute tun würde. Die Zeiten haben sich geändert.“

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Ulf Poschardt: „Diese Art von Dünnhäutigkeit, wie wir sie im Augenblick haben, halte ich für ein großes Problem.“ (Bild: ZDF / Markus Hertrich)
Poschardt verneinte dies vehement: „Nein, ich glaube Angela Merkel hatte ein gutes Verständnis. (...) Wenn man die mächtigste Frau im Lande ist, muss man robust sein.“ Ex-Grünen-Politiker Boris Palmer warnte in dem Zusammenhang: „Es kommt darauf an, dass die simple Benutzung eines Wortes bereits ausreichen kann, um politisch komplett ins Abseits gestellt zu werden.“

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Neurowissenschaftlerin Maren Urner glaubt, dass das Gefühl eines scheinbar verengten Meinungskorridors nur deshalb entstanden sei, da viel zu oft und intensiv über das Thema gesprochen werde. (Bild: ZDF / Markus Hertrich)
Boris Palmer schießt gegen Neurowissenschaftlerin Maren Urner: „Ihre These ist absurd“
Die Umfrage zur Meinungsfreiheit in Deutschland halte Palmer deshalb „für zutreffend“, da sie „meiner eigenen Lebenswahrnehmung der letzten 15 Jahre“ entspreche. Tübingens Oberbürgermeister weiter: „Es gibt wirklich eine Aggressivität auch gegenüber ehrenamtlichen Kommunalpolitikern, die unerträglich ist. Und das muss einmal hier auch gesagt sein. Da geht Meinungsfreiheit entschieden zu weit!“
Dennoch stellte Markus Lanz innerhalb seiner Sendung immer wieder die Frage: „Sind wir dünnhäutiger geworden?“ Neurowissenschaftlerin Maren Urner verneinte dies und behauptete stattdessen, dass das Gefühl des scheinbar verengten Meinungskorridors nur deshalb entstanden sei, da viel zu oft und intensiv über das Thema gesprochen werde und somit der Eindruck entstehe, als gäbe es eine Bedrohung der freien Meinungsäußerung.

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Renate Künast vermutet hinter der Meinungsfreiheit-Debatte „ein Geschäftsmodell“ mit Blick auf die sozialen Medien. (Bild: ZDF / Markus Hertrich)
Urner warnte: „Das ist eine Ablenkungsstrategie.“ Eine Aussage, die Markus Lanz stutzig machte: „Sie halten das alles für Ablenkung?“ Urner nickte und mahnte, dass dies häufig zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung führe.
„Welt“-Herausgeber Ulf Poschardt und Ex-Grünen-Politiker Boris Palmer hielten prompt dagegen. „Ich bin nicht mehr bei meiner Partei wegen dieser Sprach-Jakobiner“, so Palmer wütend. Als Urner konterte, dass dies lediglich ein anekdotischer, aber kein empirischer Beleg sei, wurde der Tübinger Oberbürgermeister aufbrausend: „Bei Ihnen war gar nichts empirisch! Der Beleg für diese These, dass es eine Weltverschwörung gibt, die ablenken will, (...) das ist doch absurd. Ihre These ist absurd!“
Palmer wetterte unbeirrt weiter: „Wer soll denn diese Ablenkung organisieren? Diese Meinungsfreiheits-Problematik existiert auf der Straße in Deutschland. Ich habe sie erlebt, Ulf Poschardt hat sie erlebt. Ich lasse mir doch jetzt nicht einreden, dass ich hier irgendwie eine Marionette bin!“

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Bei „Markus Lanz“ wurde eine hitzige Debatte um die gefühlte Meinungsfreiheit in Deutschland geführt. (Bild: ZDF / Markus Hertrich)
Ulf Poschardt: „Diese Art von Dünnhäutigkeit, wie wir sie im Augenblick haben, halte ich für ein großes Problem“
Maren Urner blieb dennoch bei ihrer Meinung und erklärte: „Die Idee, dass Menschen ein Gefühl bekommen, liegt meistens daran, dass sie einer bestimmten Umgebung ausgesetzt sind.“

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Neurowissenschaftlerin Maren Urner legte sich bei „Markus Lanz“ mit „Welt“-Herausgeber Ulf Poschardt an, als es um das Gefühl eines verengten Meinungskorridors in Deutschland ging. (Bild: ZDF / Markus Hertrich)
Ein Satz, der Ulf Poschardt irritierte. „Ich habe Sie immer noch nicht so richtig verstanden - ist vielleicht auch gar nicht so wichtig“, so der Journalist trocken. Urner reagierte beleidigt: „Kommt darauf an, was Ihr Ziel ist: Ob wir uns unterhalten wollen, oder ob Sie mit Begriffen (...) Menschen auf Ihre Art und Weise beeinflussen möchten. (...) Möchten Sie einen Diskurs?“ Poschardt konterte prompt: „Ich würde gerne ausreden, damit fängt nämlich Diskurs an!“
Der Journalist stichelte in dem Zusammenhang gegen Urner und setzte ihre Aussagen mit „halbschlauen Ableitungen“ gleich. „Wenn wir das Thema nicht ernst nehmen, dann fliegt uns eine Gesellschaft um die Ohren“, so Poschardt mahnend. Er fügte hinzu: „Diese Art von Dünnhäutigkeit, wie wir sie im Augenblick haben, halte ich für ein großes Problem.“ Auch Boris Palmer forderte einen ehrlichen Diskurs und sagte: „Die Rechtsextremen profitieren davon, wenn wir in der Mitte der Gesellschaft nicht mehr miteinander sprechen können.“ (tsch)