Pfiffe, Trillerpfeifen und laute Rufe: Eine Protest-Aktion hat das ARD-Sommerinterview mit AfD-Chefin Alice Weidel massiv gestört. Doch haben die Protestierenden der Politikerin damit geschadet? Ein Experte hat eine klare Meinung.
Zoff um Weidel-InterviewKölner Experte mit Hammer-Urteil: „Nichts Besseres hätte ihr passieren können“

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Die AFd-parteivorsitzende Alice Weidel und Moderator Markus Preiß kommen zum ARD-Sommerinterview „Bericht aus Berlin“ gegenüber vom Reichstagsgebäude.
Riesen-Aufruhr um das ARD-Sommerinterview mit Alice Weidel! Eine Protest-Aktion der Gruppe „Zentrum für politische Schönheit“ sorgte am Sonntag für Chaos. Mit Pfiffen, Trillerpfeifen und einem Aktionsbus machten sie so viel Lärm, dass die AfD-Chefin zeitweise kaum zu verstehen war.
Der Protest sorgte für heftige Reaktionen, und das nicht nur im rechten Lager. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann kritisierte zwar die AfD, verurteilte aber auch die Proteste scharf. Kritiker und Kritikerinnen müssten die Partei, deren Einstufung als rechtsextrem nur wegen eines Eilantrags ausgesetzt wurde, inhaltlich stellen.
Kölner Politik-Experte Thomas Jäger: AfD hätte nichts Besseres passieren können
Auch FDP-Vize Wolfgang Kubicki findet deutliche Worte. Er nannte die Protestierenden „Störer“, die sich bei ihrem Protest wohlfühlten, anstatt Weidel mit Fakten zu konfrontieren. „Die Situation hat Frau Weidel in die Hände gespielt und sie wäre dumm gewesen, das nicht zu nutzen“, sagte Kubicki gegenüber Welt TV. Jetzt könne sie dokumentieren, dass ihre Partei unfair behandelt werde.
Diese Einschätzung teilt auch der Kölner Politik-Experte Thomas Jäger. Der Partei hätte nichts Besseres passieren können, schreibt der Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln auf X.
Gegenüber der „Bild“-Zeitung legte Jäger nach: „Das ist das Manuskript für alle Populisten. Der Ablauf des Interviews ist wieder ein Baustein im Selbstverständnis der AfD als eine benachteiligte Gruppe und das schweißt die Anhänger und Anhängerinnen zusammen.“
Doch was sagen die Verursacher der Aktion? Philipp Ruch, Sprecher der Gruppe „Zentrum für politische Schönheit“, wehrt sich gegen die Vorwürfe. „Diese Angst muss man ein Stück weit loswerden, wenn man die AfD bekämpfen will“, konterte er im Podcast „Ronzheimer“. Immer wenn man die AfD konfrontiere, komme der Vorwurf, man würde ihr nur helfen.
Ruch bezeichnet die Aktion nicht als Störung, sondern als „Verschönerungsaktion“. „Ich würde gar nicht von einer Störaktion reden, sondern von einer Verschönerungsaktion. Also hier wurde tatsächlich, glaub ich, so was wie der Fernsehmoment des Jahres geschaffen“, sagte er. Er begründete den Protest mit der Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch - diese liegt wegen eines Rechtsstreits zwischen dem Nachrichtendienst und der AfD aktuell auf Eis.
Auch in der Medienwelt wird heftig diskutiert. Die konservative Presse kritisierte vor allem den Umgang der ARD mit der Situation. Marc Felix Serrao von der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ) nannte die Sendung ein „gebührenfinanziertes Debakel“. Die Gewinner seien die AfD und die Protestgruppe gewesen.
In seiner Kritik greift der Chefredakteur der NZZ in Deutschland den Rundfunkbeitrag auf: 18.36 Euro dürfe jeder Haushalt in Deutschland aktuell für ARD, ZDF „und die angeschlossenen Heerscharen von Sendern“ zahlen; „dass man dafür eine ausgewogene Berichterstattung bekäme, lässt sich leider nicht sagen“, konstatiert Serrao. Das Programm sei „stark linkslastig“.
Dem Moderator der Sendung, Markus Preiß, sei es wegen der Protestaktion nicht gelungen, ein Zwiegespräch mit Alice Weidel aufzubauen, schreibt Michael Hanfeld in der FAZ. Der Sender habe „hilflos“ auf die Protestaktion reagiert, die am Ende nur der AfD geholfen habe.
Dass sich der Sender und Weidel trotz der Störaktion auf eine Fortsetzung geeinigt haben, da ein Abbruch wie „eine Kapitulation vor den Störern und Störerinnen gewirkt“ hätte, sei aus Sicht Weidels nachvollziehbar. Warum Moderator Markus Preiß das Interview unter diesen Bedingungen „an Ort und Stelle“ hat fortsetzen lassen, „die Frage harrt einer Antwort“, schließt Hanfeld.
Das Interview mit Alice Weidel sei von Anfang an ein Politikum gewesen. Die ARD hätte wissen müssen, worauf sie sich mit so einem Gespräch einlässt, kommentiert Dennis Sand in der Welt. Der Sender „hätte Vorkehrungen treffen müssen, wenn sie eine der umstrittensten politischen Figuren im öffentlichen Raum interviewt.“ Die Konsequenz aus dem Ablauf sei nicht nur eine Verstärkung des Opfer-Narrativs bei der AfD und ihren Anhängern und Anhängerinnen, „es dürfte auch den ganz normalen Bürger und die ganz normale Bürgerin dermaßen verstören, dass die Partei auch hier in der Sympathiewertung dazugewinnen wird. Und das ganz ohne inhaltliche Argumente.“
Aber es gibt auch eine ganz andere Sichtweise! „taz“-Redakteur Gareth Joswig hält die ganze Debatte für „Quatsch“. Die AfD würde sich sowieso immer als Opfer inszenieren, „weil das zur DNA rechtsextremer Parteien und Bewegungen weltweit gehört“.
Niemand wähle die AfD, „weil ein paar Aktivisten und Aktivistinnen mit einer ‚Scheiß AfD‘-Kakofonie ein ARD-Interview gecrasht haben“, noch wäre genauso wenig Weidel entzaubert worden, „wenn das Gespräch störungsfrei geblieben wäre“, schreibt Joswig. Nicht Gegenproteste würden der AfD helfen, „sondern Konservative, die das Verfassungsgericht beschädigen [...]“. Die Union habe immer noch nicht begriffen, „dass rechter Kulturkampf auf dem Rücken von Minderheiten willfährig genau die Polarisierung vorantreibt, von der die AfD träumt“. (red)