Moskau verschärft den Tonfall gegen Europa drastisch. Auch Friedrich Merz wird zum Amtsantritt mit absurden Anschuldigungen bedacht.
„Führt erneut Krieg gegen uns“Moskau verschärft Tonfall drastisch – und attackiert neuen Kanzler Merz

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Der russische Außenminister Sergej Lawrow (r.), hier Mitte Februar in Riad. Neben ihm sitzt der außenpolitische Berater des russischen Präsidenten Putin, Juri Uschakow.
Friedrich Merz war noch nicht zum Kanzler gewählt, da kamen aus Russland bereits absurde Vorwürfe in Richtung des CDU-Politikers. Merz wolle Deutschland als Bundeskanzler „militarisieren“ und „in ein Viertes Reich verwandeln“, sagte etwa der russische Abgeordnete Alexey Pushkow gegenüber russischen Staatsmedien am Dienstag.
Der deutsche Kanzler wolle sich dabei zu Nutze machen, dass die „Verbrechen des Dritten Reichs derzeit aus dem Gedächtnis der deutschen Bürger gelöscht“ werden, erklärte Pushkow weiter, um seine herbeifantasierten Vorwürfe so zu untermauern.
Sergej Lawrow sieht Russland im Krieg mit „fast ganz Europa“
Allein ist der russische Politiker mit seinen unhaltbaren Anschuldigungen nicht. Auch der russische Außenminister Sergej Lawrow unterstrich mit seinen jüngsten Aussagen über Europa einen Kurswechsel im Kreml, der sich ohnehin bereits seit Wochen abzeichnet.
Während die USA seit den für Russland überwiegend vorteilhaften Gesprächen zwischen Washington und Moskau als Feindbild aus den öffentlichen Wortmeldungen von Kreml-Politikern weitgehend verschwunden sind, hat sich der Tonfall gegenüber Europa drastisch verschärft.
Absurde Anschuldigungen aus Moskau in Richtung Europa
Nun legte Lawrow noch einmal nach: „Fast ganz Europa, unter Waffen und unter Nazi-Bannern, führt erneut Krieg gegen uns“, zitierte die russische Nachrichtenagentur Tass den dienstältesten Minister im Kabinett von Kremlchef Wladimir Putin.
Europa habe sich „unter dem Banner des Nationalsozialismus“ gegen Russland verbündet, fabulierte Lawrow weiter, warf den europäischen Staaten schließlich ihre Unterstützung für die Ukraine vor und unterstellte Kyjiw, ein „rassistisches, antirussisches Regime“ zu sein.
Gleichzeitig äußerte sich die russische Außenamtssprecherin konkret zur Wahl von Merz. „Deutschland hat in den letzten Jahren so viel von seiner Souveränität, Autorität und Rolle in der internationalen Politik verloren, dass der Wechsel der Gesichter auf dem Berliner politischen Olymp keine bedeutende Rolle mehr spielt“, behauptete Maria Sacharowa und versicherte, der Kreml sei auf „jede Entwicklung“ bestens vorbereitet.
Friedrich Merz bereits im Wahlkampf im Visier des Kremls
Der neue Bundeskanzler war derweil bereits vor seiner Wahl in den Fokus Moskaus gerückt. Zum einen, weil Merz angedeutet hatte, dass er als Kanzler in Betracht ziehen werde, der Ukraine deutsche Taurus-Marschflugkörper zu liefern. Zum anderen, weil der CDU-Politiker dem Kreml vorwarf, Deutschland und Europa mit Brandstiftung, Auftragsmorden und Desinformation angegriffen zu haben.
„Du bist noch nicht an der Macht, lügst aber schon wie Goebbels“, polterte daraufhin der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew bereits im März gegen den CDU-Politiker. „Wir wissen, wie es endete“, drohte der nunmehrige Vizechef des Moskauer Sicherheitsrates mit Blick auf den Ausgang des Zweiten Weltkriegs in Richtung Merz. Der Wutausbruch Medwedews war nur einer der zahlreichen Indizien für den bedrohlichen Kurswechsel in Moskau – wo man Europa nun als Hauptfeind ausgemacht zu haben scheint.
Russland überzieht europäische Politiker mit Nazi-Vergleichen
Zuvor hatte Moskau auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen als „Führer Ursula“ attackiert. Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron verglich der Kreml derweil mit Napoleon Bonaparte. Auch die russischen Staatsmedien nahmen Europa und Deutschland zuletzt vermehrt ins Visier. Auf Russlands „Speisekarte“ könnte neben der Ukraine mit Europa bald „auch ein kalorienreiches Gericht auftauchen“, hieß es etwa in einer Kolumne der Staatsagentur RIA Novosti.
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Die russische Propaganda laufe derzeit „heiß“ und versuche den historischen Kampf gegen den Faschismus mit der Gegenwart zu vermengen, ordnete der Historiker und Russland-Experte Matthäus Wehowski die schrillen Töne aus Moskau zuletzt ein.
Russland hat kein Problem mit AfD, FPÖ und Co. in Europa
Wenn der Kreml von „neuen Formen des Neonazismus“ in Europa spreche, wie auch Putins Pressesprecher Dmitri Peskow es zuletzt tat, sei damit eben nicht der Aufstieg rechtsextremer Parteien wie der AfD, der FPÖ in Österreich oder des Front National in Frankreich gemeint.
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„Sondern im Gegenteil, die liberalen Demokratien, die gegen diese Bedrohung vorgehen“, erklärte Wehowski auf der Plattform X. Diese „politische Instrumentalisierung“ und der „Missbrauch des Gedenkens an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs“ sei zwar „absurd, aber sehr wirkungsvoll“, fügte der Russland-Experte an.
Tonfall in Putins Propagandamedien verschärft sich
Auch die Äußerungen von Putins Propagandisten in den Moskauer TV-Studios belegen den Kurswechsel. So nahm der populäre TV-Moderator Wladimir Solowjow zuletzt in seiner Sendung Finnland und Schweden ins Visier und unkte darüber, dass Russlands Verbündeter Nordkorea dem Militär der beiden skandinavischen Staaten überlegen sei. Auch der Rest des Kontinents kam bei Solowjow zur Sprache. Russische Truppen seien einmal bereits durch Europa marschiert, erklärte der Moderator und fügte an: „Jede Generation bekommt dieses Vergnügen.“
Kanzler Merz erklärte unterdessen bei seinem Antrittsbesuch in Frankreich am Mittwoch, dass die Unterstützung für die Ukraine künftig „noch besser“ zwischen Berlin und Paris koordiniert werden soll. „Die Ukraine kann sich in ihrem Kampf gegen die russische Aggression auf Deutschland und Frankreich weiterhin verlassen“, fügte der Kanzler an, der in einem TV-Interview am Dienstag auf die Frage nach einer möglichen Lieferung von Taurus-Marschkörpern lediglich erklärt hatte, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sich auf Deutschland „verlassen“ könne. (ds)