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Geheimdienste alarmiertRussland könnte früher zuschlagen als gedacht

Die deutschen Geheimdienste schlagen mit drastischen Worten Alarm: Ein russischer Angriff auf die Nato könnte deutlich früher kommen als bisher angenommen.

Ein russischer Angriff früher als 2029? Genau davor warnt Martin Jäger, der neue Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), jetzt eindringlich. „Wir dürfen uns nicht zurücklehnen in der Annahme, ein möglicher russischer Angriff käme frühestens 2029“, sagte Jäger am Montag bei einer Anhörung im Bundestag.

Seine düstere Prognose: „In Europa herrscht bestenfalls ein eisiger Frieden, der punktuell jederzeit in heiße Konfrontation umschlagen kann.“

Bisher gingen Experten und Expertinnen, darunter auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), davon aus, dass Russland erst ab 2029 wieder zu einem Angriff auf die Nato fähig sei. Diese Einschätzung ist nun offenbar überholt.

Jäger legte mit dramatischen Worten nach: „Wir stehen schon heute im Feuer.“ Sein Vorwurf an Moskau: Russland wolle die Nato untergraben und die Demokratien in Europa destabilisieren. „Um dieses Ziel zu erreichen, wird Russland, wenn nötig, auch eine direkte militärische Auseinandersetzung mit der Nato nicht scheuen.“

Martin Jäger, Präsident des Bundesnachrichtendienstes, und Martina Rosenberg, Präsidentin des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst, bei der Anhörung durch das Parlamentarische Kontrollgremium. (Archivbild)

Martin Jäger, Präsident des Bundesnachrichtendienstes, und Martina Rosenberg, Präsidentin des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst, bei der Anhörung durch das Parlamentarische Kontrollgremium. (Archivbild)

Und Jäger ist mit seiner Warnung nicht allein. Auch Sinan Selen, der Chef des Verfassungsschutzes, fand deutliche Worte: „Buchstäblich überschreitet Russland brandgefährliche Grenzen.“ Moskau sei der „Hauptverursacher für die Vorbereitung und Umsetzung von Sabotageakten in Deutschland und weiteren europäischen Staaten“, so Selen weiter. Das Vorgehen des Kremls nannte er „unverfroren“.

Martina Rosenberg, die Präsidentin des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), ergänzte, dass es Versuche aus dem Ausland gebe, die Bundeswehr zu destabilisieren. Ziel sei es, „die Bundeswehr zu unterwandern und kritische militärische Infrastrukturen zu gefährden“.

Laut BND-Chef Jäger hat die Konfrontation eine „neue Qualität“ erreicht. Russlands perfider Plan: Europa soll „von Furcht und Handlungsstarre gelähmt in die Selbstaufgabe getrieben werden“. So wolle Moskau seine Macht nach Westen ausdehnen und Europa von sich abhängig machen.

Deshalb fordern die Chefs und Chefin der drei Geheimdienste einstimmig schnelle Gesetzesänderungen, um handlungsfähiger zu werden. Die Lage sei „jetzt schon kritisch“, so Verfassungsschutzchef Selen. Jäger wünscht sich, dass sein Dienst „etwas operativer und wagemutiger wird“. „Das heißt nicht, dass wir jetzt Bonanza spielen oder James Bond“, fügte er hinzu, aber man müsse den Diensten auch die Mittel dafür geben.

Ein großes Problem sehen sie auch in der deutschen Bevölkerung. Es herrsche eine „gewisse Gleichgültigkeit“ gegenüber der Gefahr aus Russland, beklagte Jäger. Im Baltikum und in Skandinavien sei das Bewusstsein viel stärker. Selen stimmte zu: „Da müssen wir hinkommen.“

Die dramatischen Warnungen kommen nicht von ungefähr. In letzter Zeit häufen sich russische Provokationen: Drohnen im polnischen Luftraum, Kampfjets über Estland und mysteriöse Drohnen-Störungen an europäischen Flughäfen.

Besonders alarmierend: Kürzlich tauchten sogenannte „grüne Männchen“ nahe der estnischen Grenze auf. Eine gefährliche Provokation, denn genau so, mit Soldaten und Soldatinnen ohne Hoheitsabzeichen, begann 2014 Russlands Annexion der Krim.

Und was sagt Moskau dazu? Russlands Botschafter in Belgien, Denis Gonchar, wirft dem Westen „Hysterie“ vor. Deutschland schließe sich der „antirussischen Stimmung“ der baltischen Staaten und Polens an, zitiert ihn die russische Staatsagentur Tass.

Noch aggressiver klingen die Töne von Ex-Kremlchef Dmitri Medwedew. Die Europäer und Europäerinnen sollten „Angst haben und zittern wie dumme Tiere in einer Herde, die zum Schlachten getrieben wird“, hetzte er kürzlich auf Telegram. In russischen Talkshows wird derweil offen über Angriffe auf Polen fantasiert. (red)