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Ein Jahr Ukraine-KriegKölner Politologe erklärt, wie die Ära Putin endet – „höchste Wahrscheinlichkeit“

Russlands Präsident Wladimir Putin spricht in seiner jährlichen, im Fernsehen übertragenen Neujahrsbotschaft zum Volk: Am 24. Februar jährt sich sein Angriffskrieg gegen die Ukraine zum ersten Mal. Was der Krieg für sein eigenes Schicksal bedeutet, erklärt der Kölner Politologe Thomas Jäger.

Russlands Präsident Wladimir Putin spricht am 31. Dezember 2022 in seiner jährlichen, im Fernsehen übertragenen Neujahrsbotschaft zum Volk: Am 24. Februar jährt sich sein Angriffskrieg gegen die Ukraine zum ersten Mal. Was der Krieg für sein eigenes Schicksal bedeutet, erklärt der Kölner Politologe Thomas Jäger.

Der 24. Februar 2022 hat die Welt für immer verändert: Russland greift die Ukraine an und bringt den Krieg zurück nach Europa. Viele Hunderttausende sterben, Millionen fliehen, Städte werden in Schutt und Asche gebombt. Doch die Folgen dieses Krieges gehen weit über die ukrainischen Grenzen hinaus, erklärt der Kölner Politologe Thomas Jäger. Die Welt befindet sich mitten in einer Neuordnung. Wo wird Putins Platz sein, wenn er den Krieg verliert?

von Martin Gätke (mg)

Plötzlich war alles anders. Dinge, die uns politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich so selbstverständlich erschienen, standen nach dem schrecklichen Tag im Februar 2022 in Frage: Außenpolitik, Bündnisse, Energieversorgung, Auf- oder Abrüstung.

Nicht nur in Deutschland hat Putins Angriffskrieg für eine „Zeitenwende“ gesorgt, wie Kanzler Olaf Scholz es formulierte, die ganze Welt ist im Wandel. Wie sehr sich die politische Landkarte verschiebt und wo Wladimir Putins Platz in dieser neuen Welt sein wird, erklärt der Politologe Prof. Dr. Thomas Jäger von der Uni Köln. Wie kompliziert wird das zweite Kriegsjahr werden? Und wie wird die Ära Putin enden?

„China war enttäuscht, weil Russland keinen schnellen Sieg errungen hat“

Herr Prof. Jäger, kaum jährt sich Putins Krieg in der Ukraine, kommt es zu einem bemerkenswerten Vorgang: Die USA warnen China davor, Waffen an Russland zu schicken. China wiederum hat das vehement bestritten. Welches Interesse hätte denn China daran, Russland mit Waffen zu versorgen?

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Thomas Jäger: Chinas Interesse ist, dass die Vereinigten Staaten als dominante Weltmacht abgelöst werden. Und alles, was den USA schadet, ist gut für China. Wenn der Krieg erfolgreich gewesen wäre und Kyjiw schnell eingenommen worden wäre wie geplant, dann wäre das ein riesiger Schaden für die USA gewesen. Sie hätten mit einem Schlag Europa als verlässlichen Bündnispartner verloren, denn die nächste Herausforderung wäre, unterschiedliche Zonen der Sicherheit in der NATO auszuhalten. Das hätte die Allianz zerrissen. Und das wäre der politische Hauptgewinn aus chinesischer Sicht gewesen, die USA und Europa zu trennen, mehr hätte Peking nicht erreichen können.

China hat Russland in seinem Vorgehen unterstützt und war deshalb schwer enttäuscht, weil Russland sich politisch und militärisch als unzureichend professionell erwiesen und keinen schnellen Sieg errungen hat.

Russland wird wirtschaftlich immer schwächer, scheint immer mehr zu einem Mündel Chinas zu werden. Was passiert da gerade?

Jäger: Die Weltordnung ist momentan wirklich im Umbruch, weil die seit Anfang der 1990er Jahre alleinige politisch dominante Stellung der USA in den internationalen Beziehungen an ihr Ende kommt. Denken wir beispielsweise an den Irak-Krieg zurück: Niemand konnte damals die USA davon abhalten, weil kein Staat und keine Staatengruppe Paroli bieten konnten.

Der Krieg hat seine Ursache darin, dass Russland erkannt hat, dass es bei den beiden Großen – China und den USA – nicht mehr mithalten kann. Das Einzige, das Russland hat, sind Nuklearwaffen.
Kölner Politologe Thomas Jäger

Das ändert sich nun, die USA müssen Rücksicht auf andere Staaten nehmen, weil sie relativ schwächer geworden sind – andere sind eben stärker geworden. Am meisten China. Seit 2013 deutet sich an, dass China immer mehr seine Zurückhaltung aufgibt, in Ruhe und im Windschatten der USA zu wachsen, sondern international immer mehr Einfluss nehmen will. Und der Krieg hat seine Ursache ja darin, dass Russland erkannt hat, dass es bei den beiden Großen – China und den USA – nicht mehr mithalten kann: viel zu geringe Bevölkerung, viel zu geringe Wirtschaftskraft. Das Einzige, das Russland hat, sind Nuklearwaffen.

Und deswegen unternahm Russland den Versuch, über den Krieg und, sollte er erfolgreich sein, die Dominanz in Europa Weltmacht zu werden. Das ist gescheitert. Und so wird Russland wird immer mehr zu eben jenem Mündel Chinas. Die wirtschaftliche Abhängigkeit wächst immer mehr. Russland hat nur noch wenige Kunden, die dem Land bei den wichtigsten Exportgütern die Preise diktieren.

Ein Jahr Krieg in der Ukraine: Der Weg zu zwei wirklichen Weltmächten

Und auch militärisch ist Russland zwar nicht zu vernachlässigen, aber der Nimbus der „großen Armee“ ist weg. Der Krieg sorgt dafür, dass wir immer mehr auf eine Weltordnung zugehen, in der es zwei wirkliche Weltmächte gibt. Eine ganz wichtige Frage wird in Zukunft sein: Wie viel bleibt von der Globalisierung eigentlich erhalten, wie viel vom wirtschaftlichen Austausch? Wie stark schotten sich Staaten voneinander ab? Das wird davon abhängen, wie konfrontativ die politischen Beziehungen sein werden. Je konfrontativer, desto schwieriger wird es, miteinander zu wirtschaften.

Auch in Deutschland hat sich innenpolitisch viel verändert seit dem Krieg. Wie bewerten Sie die deutsche Politik im Ukraine-Krieg, gibt es etwas, das Sie sich von der Bundesregierung wünschen würden?

Jäger: Ja, wenn ich etwas wünschen darf, müssen wir ein Jahr zurückgehen: Vor einem Jahr hätte die Ertüchtigung der Bundeswehr einsetzen müssen. Ein Beispiel: Es gab überhaupt keinen Grund, warum man die in der Industrie vorrätigen Leoparden nicht schon im April 2022 instandgesetzt hat – außer man dachte, der Krieg endet schnell.

Kritik an der Regierung: „Hätten früher in Munitionsherstellung einsteigen müssen“

Denn wenn man die Panzer nicht für die Ukraine gebraucht hätte, dann hätten wir sie für die Bundeswehr gebraucht. Man hätte auch viel früher in Munitionsherstellung einsteigen müssen. Dann hätten wir sie jetzt zur Verfügung. Nicht nur die deutsche, auch andere Regierungen und auch die US-amerikanische sind da schlicht zu langsam gewesen, die industrielle Produktion aufzusetzen.

Für die Ukraine selbst ist die Lage in den vergangenen Wochen noch einmal schwieriger geworden, Russland hat in einigen Regionen wie Bachmut oder Wuhledar Fortschritte machen können – wenn auch unter hohen Verlusten. Putin setzt auf noch mehr Material und Soldaten. Wie schwierig wird der Krieg im zweiten Jahr noch werden?

Jäger: Momentan findet in der Ukraine ein Abnutzungskrieg mit einer relativ stabilen Front statt. Einzelne Gefechte, wie Sie sie genannt haben, sollte man strategisch nicht zu hoch hängen, auch wenn sie mit großen Opferzahlen verbunden sind. Die eigentliche Entwicklung passiert nach meiner Einschätzung gerade ganz woanders, nämlich in den Unterstützerstaaten der Ukraine und in Russland.

Putin meinte zwar, die Zeit spiele für ihn – das Gegenteil aber ist richtig: Die Zeit spielt gegen ihn.
Politologe Thomas Jäger

Es geht darum: Wer bekommt in den nächsten Wochen, Monaten, vielleicht Jahren mehr Kampfkraft an die Front. Wichtig sind da gut ausgebildete Soldaten, gutes Gerät, eine taktisch geschickte Vorgehensweise, strategische Führung und ein klares politisches Ziel. Es gibt immer wieder Berichte darüber, wie schlecht ausgebildet russische Soldaten sind. Dasselbe gilt für die Gerätschaft: Russland verbraucht im Krieg eine große Menge an Waffen und Munition und hat immense Verluste. Die wird Putin nicht ausgleichen können.

Er meinte zwar, die Zeit spiele für ihn – das Gegenteil aber ist richtig: Die Zeit spielt gegen ihn. Wenn es darum geht, die Produktion zu erhöhen, werden Unternehmen im Westen effektiver, effizienter und schneller sein als in Russland, wo wegen der Sanktionen einiger Mangel herrscht. Geht der Krieg über Jahre, wird man immer deutlicher spüren, dass die Ukraine mit westlichen modernen Waffen ausgestattet sein wird und Russland eben nicht. Allein durch Quantität kann Russland diesen Nachteil nicht ausgleichen.

Nach vielen Diskussionen schickt Deutschland Panzer in die Ukraine – sehr spät, aber sie kommen. Zeitgleich wird schon über die Lieferung von Kampfjets diskutiert …

Jäger: Ja, die verschiedenen Panzer kommen für die derzeitigen Gefechte zu spät. Das Bedrückende ist ja: Die Bundesregierung trifft eine Entscheidung und will die Ukraine mit einer Panzerbrigade unterstützen. Und dann erst schaut sie: Was haben wir eigentlich? Das wäre ungefähr so, als würde eine Apotheke sagen: Ich schicke euch allen Antibiotika, weil ihr krank seid und danach erst merkt sie: Wir haben gar keine. Das ist handwerklich einfach desaströs.

„Wenn die Ukraine überlebt, werden sie irgendwann die F-16 fliegen“

Denselben Fehler machen wir jetzt mit den Kampfflugzeugen. Wenn die Ukraine überlebt, dann werden die ukrainischen Streitkräfte irgendwann die F-16 fliegen. Es gibt für die alten sowjetischen Flugzeuge, die sie haben, bald keine Ersatzteile und Munition mehr. Also könnte man die Piloten jetzt schon mal ausbilden – und wenn man sich dann entscheidet, keine Kampfjets zu liefern, dann haben sie zwar eine Ausbildung umsonst gemacht, das wäre aber kein Drama. Doch wenn man sich für Kampfjets entscheidet, hätte man auch Personal, das sie bewegen kann.

Sie denken, dass in näherer Zukunft auch F-16 an die Ukraine geschickt werden? Meinen Sie, diese rote Linie wird überschritten?

Jäger: Das kann man nicht sagen. Das kommt eben ganz darauf an, wie der Krieg weiter verläuft und wie die politischen Bedingungen in Russland sind. Es gibt eigentlich nur eine wirklich rote Linie, die gezogen worden ist seitens der Unterstützerstaaten der Ukraine: Kein Angriff auf Russland. Obwohl es völkerrechtlich der Ukraine erlaubt wäre. Das geschieht nicht – und das ist ein Grund, warum man bei Kampfflugzeugen so zurückhaltend ist. Nur weil man bei Panzern erst nein und dann ja gesagt hat, muss nicht dasselbe für Kampfflugzeuge gelten.

Wie könnte denn aus Ihrer Sicht dieser Krieg enden, welche Szenarien sehen Sie? Die Verhandlungen scheinen aktuell ja ausweglos…

Die höchste Wahrscheinlichkeit ist bei Putin der natürliche Tod.
Thomas Jäger

Jäger: Es gibt nicht nur Szenarien für ein Kriegsende, sondern auch eine Alternative: Es kommt zu keinem Ende. Es bleibt bei dieser verfahrenen Situation, dass russische Truppen auf ukrainischem Territorium stehen und die Ukraine nicht in der Lage ist, sie zurückzudrängen – und das hielte Russland über Jahre aus. Denn solange russische Truppen dort stehen, wird die Ukraine weder Mitglied der EU noch der Nato. Das ist ja ein Ziel Putins, deshalb hat er überhaupt kein Interesse an Verhandlungen.

Selbst wenn die Ukraine die Annexionen anerkennen würde, wäre ich mir nicht sicher, ob Russland in ernsthafte Verhandlungen eintreten würde. Das aber ist Spekulation. Kommt es doch zu Verhandlungen, ist eben die Frage, wie die Lage an der Front ist. Und wie sehr steht zum Beispiel Putin unter Druck. Das wissen wir alles schlicht nicht, deshalb finde ich es schwierig, Szenarien zu beschreiben.

Ukraine: Würde eine Niederlage Russlands das Ende Putins bedeuten?

Es scheint so, als sei Putins Schicksal an den Ausgang des Krieges geknüpft, er steht innenpolitisch immer mehr unter Druck. Welche Möglichkeiten sehen Sie für das Ende der Ära Putin?

Jäger: Die höchste Wahrscheinlichkeit ist bei Putin der natürliche Tod. Er ist derjenige, der in Russland unumstritten die Macht in den Händen hält. Einen Putsch halte ich für ausgeschlossen, das werden russische Streitkräfte nicht tun. Und politische Konkurrenten gibt es im Prinzip nicht. Alle hängen von Putins Gnaden ab und all jene, die meinen, sich an der Seitenlinie profilieren zu müssen, die buhlen damit eigentlich um die Gunst Putins.

Putins Machtstellung ist unangefochten. Er entscheidet auch nach innen über Leben und Tod. Er ist mit dem Krieg ein wirklich hohes Risiko eingegangen, das ist richtig, aber ein Risiko, das aus seiner Sicht bewältigbar ist.

Auch eine militärische Niederlage in der Ukraine würde nicht das Ende Putins bedeuten, sondern er könnte sagen: Wir haben alles versucht, unsere Landsleute zu beschützen, weil wir gegen den kollektiven Westen und die Nato, die USA kämpfen mussten, konnte es gegenwärtig nicht gelingen. Alle stehen gegen uns. Daraus folgt: Wir müssen nach Innen noch zuverlässiger zusammenstehen und dürfen keine Abweichler dulden. Wenn die Aggression scheitert, gleicht er das durch Repression nach innen aus. Das wäre eine Möglichkeit, ein Narrativ für solch eine Niederlage zu entwickeln.