Schockiernde Netflix-DokuFall Epstein: „Sie hätten nur zuhören müssen“

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Jeffrey Epstein bei einem Gerichtstermin am 30. Juli 2008 in West Palm Beach.

von Marie Schäfers (mjs)

New York – Wenn man nur genug Geld hat, kann man sich alles leisten. Auch die widerlichsten Verbrechen. Das müsste die Quintessenz sein, die man aus der Doku „Jeffrey Epstein: Stinkreich“ (der englische Titel „Filthy Rich“, also dreckig reich, trifft den Kern noch besser) mitnimmt.

Zum Glück kommen hier aber auch die Opfer ausführlich zu Wort – stark, reflektiert, mutig. So ist diese vierteilige Mini-Serie nicht völlig deprimierend.

Epstein soll Minderjährige zur Prostitution gezwungen haben

Als Jeffrey Epstein (damals 66) im Juli 2019 festgenommen und wegen des Missbrauchs minderjähriger Mädchen angeklagt wird, überschlagen sich weltweit die Schlagzeilen.

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Der Multi-Millionär soll Mädchen (viele erst 14 Jahre alt, manche auch jünger) zur Prostitution gezwungen, einen Sexhandel betrieben haben – zusammen mit seiner Ex-Freundin, der High Society-Lady Ghislaine Maxwell (58), die ihm die Mädchen besorgte.

Epsteins Opfer sprechen ausführlich wie nie in der Netflix-Doku

Donald Trumps Arbeitsminister Alexander Acosta (51) muss im Zuge der Enthüllungen zurücktreten. Welche Rolle Prinz Andrew (60), der Sohn von Queen Elizabeth II. spielt, bleibt weiter unklar. Virginia Giuffre, eines der Opfer, bekräftigte ihre Vorwürfe in der neuen Doku noch einmal.

Sie soll an den Royal von Epstein und Maxwell quasi „herumgereicht“ worden sein. In einem Townhouse in London und auf Epsteins Privatinsel Little Saint James (zählt zu den US-Jungferninseln).

Epsteins Angestellter bestätigt Vorwürfe des Opfers

Ein Techniker, der für Epstein auf der Insel arbeitete, bestätigt in der neuen Doku die Vorwürfe von Giuffre. Er habe den Prinzen dort gesehen, mit der barbusigen, minderjährigen Virginia beim eindeutigen Vorspiel am Pool.

Kurze Zeit später kündigte der Mann. Er musste sich immer wieder vorstellen, dass es auch seine Töchter sein könnten, die auf der Insel älteren Männern zu Diensten sein müssten, rund um die Uhr von Kameras überwacht. Wenn sie nur in die falschen Kreise gerieten... Er konnte den Gedanken nicht ertragen.

Im August 2019 bringt sich Epstein in seiner Gefängniszelle um. Ende der Story? Nein, es lohnt sich genauer hinzuschauen. Hier gibt es so viel, was die breite Öffentlichkeit eben noch nicht weiß... Und was lange verschwiegen und unter den Tisch gekehrt wurde, obwohl Medien schon Ende der 90er über die seltsamen Neigungen Epsteins berichteten.

Jeffrey Epstein: Sauber war er nie

Dieser Mann hat von Anfang an Dreck am Stecken. Obwohl er nur zwei Jahre am College studierte und es ohne Abschluss verließ, ergattert er einen Job als Lehrer an einer renommierten Privatschule. Dort macht er sich an die Eltern seiner Schüler ran, vor allem an Finanzbosse, die Epstein pfiffig finden. Übrigens gibt es hier auch die ersten Kontakte mit minderjährigen Schülerinnen, die einige Mitschüler als unangemessen empfinden.

Einer der Finanzbosse gibt Epstein einen neuen Job, auch als herauskommt, dass Epstein bei seiner akademischen Ausbildung geschwindelt hat. In der neuen Doku bereut der Mann das bitter, er hat schließlich Epsteins Aufstieg in die elitären Kreise so ermöglicht. Epstein fällt im Unternehmen durch Unterschlagungen auf, soll gefeuert werden – da ist schon die nächste (dubiose) Finanzfirma an ihm interessiert. Dort ist es allen egal, dass Epsteins moralischer Kompass ganz offensichtlich nicht funktioniert.

Epstein wickelt Mode-Milliardär um den Finger

Epstein steigt in seltsame Termingeschäfte an der Börse ein, macht viel Geld. Als die Firma wegen illegaler Finanzpraktiken von den Behörden hochgenommen wird, ist er längst weg, macht sein eigenes Ding. Er managt die Finanzen reicher Leute – und trifft auf Mode-Mogul Les Wexner (u.a. Victoria Secrets).

Der wird ihm später sein gesamtes Vermögen anvertrauen. Warum? Weiß man nicht genau. In den 80ern gilt Epstein halt als Wexlers „Boyfriend“. Sie könnten eine Affäre gehabt haben, oder Epstein hatte was gegen Wexler in der Hand. Vielleicht mochte er den gutaussehenden Epstein einfach nur. Als das Geld in Strömen fließt, kann sich Epstein seinen perfiden Gelüsten hingeben.

Erste Missbrauchsfälle schon in den 90ern aktenkundig

Junge Mädchen waren sein Ding, minderjährig, häufig nicht älter als 14. Hebephilie lautet der Fachbegriff, wenn sich ein Erwachsener sexuell von Pubertierenden angezogen fühlt. In der Netflix-Doku spricht die ehemalige Kunststudentin Maria Farmer (damals 19) davon, wie Epstein und Ghislaine Maxwell ein Bild von ihr kauften. Sie zeigen sich nett, wollen sie karrieremäßig groß rausbringen.

Ihre Uni drängte Maria dazu, das Angebot anzunehmen, da Epstein ein großer Spender für die Bildungseinrichtung ist. Epstein bietet an, auch für die Ausbildung ihrer jüngeren Schwester Annie (14) aufzukommen. Später kommt heraus: Er missbraucht sie beide.

Die Scham und die Schuldgefühle gegenüber ihrer kleinen Schwester zerreißen die Ältere, Maria, bis heute. Und obwohl beide Frauen zur Polizei und zum FBI gehen, tut sich nichts. Sie erzählen ihre Story einer Reporterin der „Vanity Fair“ – mit dem Ergebnis, dass die Reporterin, der Chefredakteur und beide Mädchen bedroht werden. Diese Vorgehensweise erklärt auch, warum so viele Opfer so lange schwiegen und sich dem Missbrauch nicht entzogen. Es war sein System.

Epstein sucht sich gezielt Mädchen aus ärmlichen Verhältnissen

Dann kommt Palm Beach... Epstein wohnt Tür an Tür mit den Reichen und Mächtigen, geht in Donald Trumps Resort Mar-a-Lago- ein und aus. Und lässt blutjunge „Masseusen“ zu sich ins Haus kommen. Es wird nicht nur der Rücken massiert.

Die Jugendlichen rekrutiert er aus den armen Stadtteilen. Mädchen, die missbraucht wurden, die nicht nach Hause können, weil dort Gewalt lauert, die aus kaputten Familien kommen. Er fixt sie mit Geld an und überredet sie, ihre Klassenkameradinnen mit reinzuziehen.

Epstein und Maxwell ziehen Pyramidensystem mit Sexsklavinnen auf

Manche denken, es sei leicht verdientes Geld. Andere leiden – und gehen aus Not oder Druck trotzdem hin. Wer aussteigen will, wird bedroht, von Privatdetektiven und Anwälten gejagt, diffamiert, eingeschüchtert.

Epstein, Ghislaine Maxwell und ein paar weitere erwachsene Gespielinnen ziehen ein gigantischen Pyramidensystem mit Sexsklavinnen auf. Es wird später weltweit operieren. Und hunderte Mädchen umfassen, viele direkt auf dem Pausenhof der lokalen Schulen angeworben.

Klar ist: Die große Anzahl an Mädchen wurde nicht nur zu Epsteins Vergnügen benutzt. Es nutzten auch andere diese "Dienste".

Nachbarn verständigen immer wieder die Polizei

Die elitäre Nachbarschaft bekommt vieles mit – und verständigt die Polizei. Mehrfach. Darunter auch Bestseller-Krimi-Autor James Patterson (73). Er ist heute Co-Produzent der Netflix-Doku. Auch er kann bis heute nicht fassen, wie lange Epstein unbehelligt blieb.

Die Polizei beginnt damals tatsächlich zu ermitteln, obwohl Epstein der Behörde massig Geld gespendet hat. Es gibt eine Hausdurchsuchung, bei der perverse Nacktbilder von pubertierenden Mädchen gefunden werden. Und Quittungen für Sexmassagen, ausgestellt an Minderjährige.

Die wichtigen Computer sind aber alle futsch. Als sich die Anzeigen häufen, ermittelt auch das FBI. Eine Anklage steht, die ersten Opfer atmen auf.

Epstein bekommt Mega-Deal der Staatsanwaltschaft

Dann kommt Alex Acosta ins Spiel. Er ist zu der Zeit Leiter der Staatsanwaltschaft in Florida. Und er verschafft dem reichen Epstein den Deal des Jahrhunderts. Epstein soll sich in einem (!) Fall von Sex mit einer minderjährigen Prostituierten schuldig bekennen, dafür wird alles andere unter den Tisch fallen gelassen. Alles, was ihn über Jahrzehnte ins Gefängnis hätte bringen können.

Hier lesen Sie mehr: Fall viel schlimmer? Hielt US-Millionär Epstein auf Privatinsel Mädchen gefangen?

Und all seine erwachsenen Gespielinnen und „Kunden“ sollen straffrei ausgehen. Alle. Die, die man namentlich kennt und die, die noch unbekannt sind. Der Deal ist natürlich rechtswidrig, das wird ein Richter aber erst Jahre später feststellen und ihn aufheben.

Opfer, Anwälte und Journalisten lassen nicht locker

Es ist den Opfern und ihren Anwälten sowie ein paar mutigen Journalisten und Privatermittlern zu verdanken, dass Epstein letztlich doch nicht ungeschoren  – abgesehen von der lächerlichen 18-monatigen Haftstrafe, die er zum großen Teil im offenen Vollzug absitzt  davon kommt.

Noch während der Verbüßung der Strafe jettet er wieder um die Welt. Immer an der Seite: Berühmtheiten wie Bill Clinton. Die Doku macht deutlich: Nicht jeder, der mit Epstein zu tun hatte, beteiligte sich an Missbrauchsorgien, die Opfer sprechen z.B. Bill Clinton explizit davon frei.

Aber die Reichen und Mächtigen suchten Epsteins Nähe, weil er großzügig spendete für soziale Zwecke und humanitäre Projekte. Und sie kannten dabei zumindest die Gerüchte. Epsteins Karibikinsel Little Saint James war als Paedo-Island verschrien, als Pädophileninsel. Andere Promis und Mächtige sollen dort auch kräftig mitgemischt haben, wenn die jungen Masseusen zum Dienst auf der Insel abgestellt wurden. Eine junge Frau versuchte nach mehreren Vergewaltigungen zu fliehen, wurde aber von Epsteins Wachleuten geschnappt. Die Insel war bis in den kleinsten Winkel kameraüberwacht.

Doku gibt Epstein-Opfern endlich eine Stimme

Erst als die Fälle nach der Aufhebung des Justiz-Deals wieder aufgerollt werden, distanzieren sich die Mächtigen dieser Welt. Clinton behauptet beispielsweise, er sei nie auf der Insel gewesen. Zeugen und Flugprotokolle der örtlichen Airports sagen etwas anderes.

Wie tief der Sumpf im Fall Epstein ist, wird sich wohl nie ganz aufklären lassen. Epstein beging in seiner Zelle Selbstmord (ob es wirklich Suizid war, ist bis heute fraglich, sogar Gerichtsmediziner bezeifeln das). Die neue Doku gibt aber wenigstens den Opfern eine Stimme, sie finden endlich Gehör.

Sie durften endlich auch vor Gericht von ihren Qualen erzählen, eine Tatsache, die ihnen viele Jahre verwehrt blieb. Viel mehr können sie wohl nicht erwarten. Epstein hat Tage vor seinem Tod sein Vermögen an eine Stiftung übertragen. Das macht Schadenersatzansprüche für die traumatisierten Opfer wohl unmöglich.