Familienvater (†59) totFünf Kölner Polizisten im Visier – einer erklärt: „Schaukelte sich in Sekunden hoch“

Zwei junge Männer sitzen auf der Anklagebank.

Zwei der angeklagten Polizisten (40, 29) beim Prozessauftakt (2. November 2023) vor dem Kölner Landgericht: Der 40-jährige Polizeikommissar (l.) ließ sich als erster umfassend ein. 

Nach dem Tod eines Familienvaters (†59) hat vor dem Kölner Landgericht der Prozess begonnen. Fünf Polizisten müssen sich verantworten. 

von Iris Klingelhöfer (iri)

Es fängt mit einer Unfallflucht an und endet mit einem Toten: Vor dem Kölner Landgericht wird seit Donnerstag (2. November 2023) ein Polizeieinsatz verhandelt – was passierte am 24. April 2021? 

Auf der Anklagebank sitzen fünf Kölner Polizisten (26 bis 42). Ihnen wird unter anderem gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.

Schläge, Tritte: Polizeieinsatz in Köln soll aus dem Ruder gelaufen sein

Die Angeklagten sollen im April 2021 gegenüber einem 59-jährigen Familienvater in Köln-Bickendorf übermäßig Gewalt angewendet, ihn zu Boden gebracht, geschlagen und getreten haben. Unter anderem soll einer der Beamten dem Mann in den Nacken getreten haben. 

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Ausgangspunkt des Einsatzes war eine Unfallflucht, welche die Tochter des 59-Jährigen mutmaßlich begangen hatte. Daher waren zunächst zwei der angeklagten Beamten (40, 29) gemeinsam mit einer Kommissaranwärterin zu der Adresse der Familie gefahren.

Ein Mann sitzt mit verschränkten Händen im Gerichtssaal.

Auch dieser Polizist (29) muss sich seit Donnerstag (2. November 2023) vor dem Kölner Landgericht verantworten. Er war einer der beiden Polizisten, die zuerst in Bickendorf vor Ort waren. 

Laut Anklage war die Sache geklärt und die Maßnahme beendet, als die Situation eskaliert sein soll. Und zwar als der angetrunkene Familienvater auftauchte und sich einmischte. Die Beamten hätten nicht deeskalierend reagiert oder sich einfach entfernt. Stattdessen habe einer der beiden Beamten „aus nicht geklärten Gründen“ Verstärkung angefordert. 

Zwei Männer unterhalten sich im Gericht.

Prozessauftakt (2. November 2023) gegen fünf Polizisten: Einer der Angeklagten (42) unterhält sich mit seinem Verteidiger Martin Kretschmer.  

Der Familienvater musste anschließend unter anderem wegen eines Rippenbruchs behandelt werden, konnte jedoch bald aus dem Krankenhaus entlassen werden. Rund zwei Monate später verstarb der 59-Jährige jedoch. Daraufhin wurden Ermittlungen eingeleitet. 

Ein Mann sitzt zwischen seinen beiden Anwälten.

Auch dieser Polizist (26) steht seit Donnerstag (2. November 2023) in Köln vor Gericht. 

Prozess gegen Polizisten: Kölner Kommissar lässt sich umfassend ein

Ehefrau und Tochter des Verstorbenen treten im Prozess als Nebenklägerinnen auf. Zum Prozessauftakt verfolgten sie, wie zunächst der Hauptangeklagte (40) den Tattag schilderte – zum Teil stark abweichend von der Anklage. 

Er berichtete von dem Einsatz wegen der Unfallflucht auf der Westendstraße in Ehrenfeld und wie er, einer der Mitangeklagten sowie die Kommissaranwärterin vor der Wohnungstür der Familie standen. Der Sohn habe geöffnet und ihnen erklärt, dass seine Schwester nicht da sei. Er habe sie angerufen und das Telefon der Kollegin gereicht. 

„Plötzlich haben wir Stimmen vernommen“, so der Angeklagte. Der 59-Jährige sei gekommen. „Er wirkte stark alkoholisiert und pöbelte direkt auf uns ein. Das Ganze steigerte sich, als sich der Sohn einmischte.“ Sie hätten dem Familienvater dann erklärt, dass es bei der polizeilichen Maßnahme nicht um ihn gehe. 

Angeklagter Polizist (40): „Das schaukelte sich in Sekunden hoch“

Darauf habe sich der aber nicht eingelassen. „Er hat die Distanz zu uns immer wieder unterschritten. Ich habe es zu dem Zeitpunkt so empfunden, dass er Streit suchte. Das schaukelte sich in Sekunden hoch“, erzählte der 40-jährige Polizeikommissar.

Der Kollege habe daraufhin Verstärkung angefordert. Und er selbst habe den Sohn in die Wohnung „gedrückt“ und die Tür zugemacht. 

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„Wir haben dann noch mal versucht, den Vater zu beruhigen“, so der Angeklagte. In dem Moment habe man das Martinshorn der Verstärkung gehört.

Der 59-Jährige habe daraufhin gesagt: Ihr könnt die ganze Polizei holen, das macht mir nichts aus. Mir wurde im Krieg mit einer Kalaschnikow ins Bein geschossen. 

Prozess in Köln: Angeklagter Polizist bestreitet Tritte

Der Vater sei dann mit erhobenen Händen auf ihn zu. Der Angeklagte: „Ich hatte das Gefühl, dass gleich im Kopf was einschlägt.“ Er hätte den Mann dann „mittels Hebel am Hinterkopf“ zu Boden gebracht. Was zunächst nicht so funktioniert hätte, wie er es gelernt habe, weil der 59-Jährige sich gewehrt hätte. 

Drei Frauen sitzen im Gerichtssaal am Tisch der Nebenklage.

Die Witwe (r.) und die Tochter des Verstorbenen verfolgen mit ihrer Anwältin den Prozessauftakt (2. November 2023) als Nebenklägerinnen. 

Dann war die Verstärkung da. „Das habe ich gar nicht mitbekommen“, so der Angeklagte. Ein dritter Kollege (ebenfalls angeklagt) habe dann an der anderen Schulter des auf dem Boden liegenden Familienvaters gelehnt und sie hätten gemeinsam versucht, dessen Arme unter dem Brustkorb freizukriegen. „Es wurde hektisch, kostete Kraft“, schilderte er weiter. Ein vierter Kollege (ebenfalls angeklagt) habe versucht, die Füße beziehungsweise Beine des 59-Jährigen zu fixieren, weil dieser um sich getreten habe. 

Endlich sei es gelungen, die Hände des Mannes auf dem Rücken zu fesseln. Auf Nachfrage der Vorsitzenden Richterin erklärte der angeklagte Polizeikommissar: „Es gab keine Tritte.“ Die Situation sei ja schließlich unter Kontrolle gewesen. 

Prozess vor Kölner Landgericht: Auch „Verfolgung Unschuldiger“ angeklagt

Sie seien seitdem alle suspendiert, erzählte er. „Das ist sehr belastend. Man wünscht sich, dass der Tag so nicht gekommen wäre.“ Er habe zwischenzeitlich viel getrunken, sei daher für zwei Wochen in einer psychosomatischen Klinik gewesen. „Die Belastung war groß, ich konnte dem Druck nicht standhalten“, erklärte der 40-Jährige. 

Polizist zu werden, sei sein Traum gewesen. Der Kommissar: „Der Wunsch ist nicht gebrochen. Ich habe nicht das Gefühl, diesen Job nicht mehr ausüben zu wollen.“

Er und einer der Mitangeklagten (29) müssen sich zudem wegen „Verfolgung Unschuldiger“ verantworten. Nach dem Einsatz in Bickendorf sollen sie gegen den 59-jährigen Familienvater eine Strafanzeige unter anderem wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung gefertigt haben, in der sie laut Anklage unwahre Angaben machten. Für einen anderen Mitangeklagten (ebenfalls 29) geht es zudem um die Verletzung des Dienstgeheimnisses in vier Fällen. 

Alle Angeklagten wollen sich zu den Vorwürfen äußern. Der Prozess wird in der nächsten Woche fortgesetzt. Die Urteile sollen am 30. November fallen.