Prostituierte am Kölnberg21 Jahre lang auf dem Strich – „Ich brauche Geld für Heroin”

Kölnberg Prostituierte Yvonnne

Vor allem Handwerker vor und nach ihrer Arbeit, Durchreisende und Geschäftsleute kommen zu Yvonne.

von Martin Gätke (mg)

Köln – Yvonne arbeitet seit 21 Jahren am Kölnberg – als Prostituierte. Das Geld braucht sie, um ihre Drogensucht zu finanzieren. Ihr größter Wunsch: Den Entzug schaffen. Und ihr Leben zurück auf Null stellen. Eigentlich wäre ich lieber ein Junge geworden.“ Yvonne (46) lacht, als sie das sagt. Vielleicht deshalb, weil die aufreizenden Kleider und die Schminke, die sie trägt, das so gar nicht glauben lassen. Aber das gehört zu ihrem Job.

Seit 21 Jahren arbeitet sie im Kölnberg – als Prostituierte, die auf den Straßen hier ihr Geld verdient. 150 bis 200 Euro pro Tag. Das Geld braucht sie. Fast alles gibt sie für „Bobbelchen“ aus, so nennt sie Heroin. Ab fünf Euro gibt’s einen Kick, den sie raucht. Nur wenn das Geld knapp wird, spritzt sie. „Gespritzt bleiben die Drogen länger im Körper“, erklärt Yvonne. Der klassische Arbeitstag einer Prostituierten rund um den Kölnberg beginnt um acht Uhr morgens und dauert bis nachts. Manchmal bis um 2 Uhr. Manchmal die ganze Nacht.

Kölnberg Vision Schieren

Die Drogenselbsthilfe „Vision e.V.“ betreibt seit 2009 ein Apartment am Kölnberg, hier arbeitet Claudia Schieren.

Yvonne arbeitet ohne Zuhälter, wie die meisten der etwa 20 Frauen hier. Doch allein ist sie deshalb nicht: „Die Mädchen passen untereinander auf sich auf“, sagt sie. „Zu drei Frauen habe ich engen Kontakt, mit denen kann ich über alles reden.“ Stress gebe es manchmal nur mit bulgarischen Frauen. „Die nehmen nur fünf Euro für alles – und machen unsere Preise kaputt.“ Wenn die bulgarische Konkurrenz Yvonne nicht ärgern, tut es das Ordnungsamt. Ihr Arbeitsplatz ist seit 2011 Sperrbezirk.

Alles zum Thema Neumarkt

Serie: Die Menschen vom Kölnberg

Der Kölnberg – ein Stadtteil mit einem schaurigen Ruf. Gewaltverbrechen, blühender Drogenhandel, Prostitution: Themen wie diese beherrschen die Nachrichten aus Meschenich. Trauriger Höhepunkt: Eine Leiche, die von einem Balkon geworfen wurde.

Aber: In den Hochhäusern leben über 4000 Menschen aus 60 Nationen. Menschen, die hier zu Hause sind, die hier ihre Heimat gefunden haben, die sich täglich um ein würdevolles Leben bemühen. EXPRESS war vor Ort: bei den Menschen vom Kölnberg.

Allein als Prostituierte arbeiten, das birgt auch Gefahren: Einmal in ihrem Leben hat sie einen Kunden zu Hause besucht. „Ein großer Fehler”, sagt sie. „Kaum war ich in der Wohnung, schloss der Typ die Tür ab. Und drehte den Fernseher ganz laut. Danach rief er «Zieh dich aus, Schlampe» und versuchte, mich zu vergewaltigen.” Nur mit Glück konnte Yvonne fliehen. Ein Erlebnis, das sie nicht vergessen wird.

„Ich habe keine Alternative”

Die Stadt hat am Kölnberg Prostitution verboten, die Frauen werden regelmäßig weggeschickt. „Doch diese Gegend ist meine Lebensgrundlage“, sagt Yvonne. „Ich habe keine Alternative.“

Wenn Yvonne nicht an der Straße steht, dann ist sie in der City. Dort besorgt sie ihre Drogen, von Dealern am Neumarkt oder dem Rudolfplatz. So wie die meisten Frauen hier. Dann geht es zurück, zu Handwerkern, die pünktlich vor der Arbeit zu ihr kommen, Durchreisenden, oder Geschäftsleuten.

Kölnberg Mobiler Arzt

Zweimal in der Woche kommt ein Bus mit medizinischem Equipment zum Kölnberg, der „mobile medizinische Dienst”. Er versorgt vor allem Wohnungslose und Prostituierte.

Yvonnes Drogenkarriere beginnt am Otto-Maigler-See. Als junges Mädchen hat sie hier mit Freunden gegrillt und heimlich Lagerfeuer gemacht. Eine eingeschworene Clique, die auch mal mit geklauten Mofas durch die Gegend düste. Irgendwann, da war sie 18, hat ihre Schwester einen Joint mitgebracht. Yvonne ist neugierig geworden, bekam Lust auf mehr. Die Lust war so groß, dass sie später bei Heroin landete. Sie erinnert sich an ihren ersten Kick: „Mir ging es schlecht. Ich dachte erst, ich hätte eine Grippe“, sagt sie. Sie lag tagelang im Bett, aber rauchte weiter Heroin. Sie merkte selbst, dass sie abhängig war: „Ich hatte große Angst.“

50 Mark beim ersten Mal Französisch

Eine Abhängigkeit, die dazu führte, dass ihr Geld schnell weg war. Sie hörte sich um: Was muss eine Prostituierte tun, was verlangen? 50 Mark nahm sie beim ersten Mal Französisch, in einem Auto am Straßenrand. Sie ekelte sich. „Ich sagte mir: Mädel, lass es sein! Das ist nichts für dich.“ Sie versucht es, doch 50 Mark sind schnell ausgegeben. Sie macht weiter.

Sie bekam zwar Geld vom Amt, doch irgendwann verkaufte sie ihre Drogen weiter, um am Ende des Monats mehr zu haben. Die Folge: 1993 wurde Yvonne verhaftet, als die Polizei eine Drogenrazzia in einer Wohnung durchführte. Die Beamten fesselten sie mit Handschellen am Griff im Auto. „Doch ich hatte Angst. Ich riss den Griff ab, trat die Scheibe ein und flüchtete.” 

Zwei Jahrzehnte sind seitdem vergangen. Zu viel für Yvonne. Sie will eine Entgiftung, doch die Liste ist lang in der Fachklinik in Düren. Also muss sie warten. Wie lange, weiß sie nicht. Doch sie will es schaffen . „Dann will ich wieder an den See, ein Lagerfeuer machen. Und wieder ein kleines Mädchen sein.“

„Vision” – Selbsthilfe am Kölnberg für Drogenabhängige

Drogenselbsthilfe

Auch Spritzen gibt es bei der Drogenselbsthilfe „Vision”.

Seit 2009 ist der Verein für Drogenselbsthilfe „Vision“ Anlaufstelle für Drogenabhängige am Kölnberg: In einer 50 Quadratmeter großen Zweiraumwohnung in Haus 3, Apartment 101, ist Platz für ein Beratungsbüro und einen Kaffeeraum mit Küche.

„Wir sind vor allem Rückzugsort für Drogenkonsumenten und Prostituierte“, erklärt Claudia Schieren (51), die das kleine Apartment mit betreut. „Bei uns können die Menschen einfach mal abschalten von ihrem stressigen Alltag, können duschen, einen frischen Kaffee trinken oder etwas kochen – und einfach reden, wenn sie Lust haben.“

Das Angebot reicht von Kondomen, dem Tausch gebrauchter Spritzen gegen neue für die Abhängigen des Viertels bis zur Vermittlung von Therapien zur Drogensubstitution in Praxen. Außerdem gibt es eine Kleidersammlung für Wohnungslose. Schieren hilft so den Menschen, und die bringen ihr dafür sehr viel Dankbarkeit entgegen, wie sie sagt: „Es ist schön, wenn die Menschen mich anlächeln, wenn ich wieder ein paar Leckereien auf den Tisch gestellt habe.“

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