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Leben im KölnbergWenn Nachbarn Pistolen tragen – auf Streife im „gefährlichen Ort”

Kölnberg Polizei 1

Sven Pastors (l.) und Wolfgang Neidel wollen von einem Anwohner wissen, ob seine Nachbarin irgendwie zu erreichen ist. Sie wollen ihr eine Vorladung überreichen. 

von Martin Gätke (mg)

Köln – Für sie ist ihr Beruf als Polizist im Kölnberg mehr als nur das Aufnehmen von Anzeigen: Die Beamten Sven Pastors (39) und Wolfgang Neidel (52) sind seit über zwei Jahren ein Team in der Wache mitten im Wohnkomplex – sie sind Sozialarbeiter, Kümmerer, Zuhörer. Und Bindeglied zwischen 4000 Menschen, die hier wohnen. EXPRESS auf Streife mit den Polizisten.

Vorsichtig hält Sven Pastors sein Ohr an die Tür. Stille auf dem kahlen Flur in Haus 4. Sein Kollege, Wolfgang Neidel, steht einen Schritt entfernt hinter ihm, eine Hand auf der Waffe. „Hörste was?“, flüstert er. „Nix“, flüstert Pastors zurück. „Na dann“, sagt Neidel lauter. Er tritt vor die Tür, hämmert mit den Stahlkappenschuhen dagegen. „Aufmachen, Polizei.“ Das „Polizei“ verhallt, nichts regt sich in hinter der Tür. „Wahrscheinlich wirklich nicht da“, sagt Neidel.

Zwischen Haftbefehlen und „Knöllchen”

Es ist früher Nachmittag am Kölnberg, in den Fluren riecht es nach Gekochtem. Die beiden Polizisten drehen gerade ihre erste „Runde“ in ihrer heutigen Spätschicht. Das heißt vor allem: der Versuch Haftbefehle durchzuführen, für die Staatsanwaltschaft herausfinden, wo Gesuchte wohnen, Erinnerungen an Zahlungen von „Knöllchen“ – und reden. Ganz viel reden. Neidel und Pastors steigen in den Fahrstuhl des 26-Geschossers, allein der hat 260 Mietparteien. Die Kabine ist voll, eine Familie mit Kinderwagen. „Ach hallo“, sagt Neidel zum Vater. „Ist deine Mutter noch im Krankenhaus? Wie geht’s ihr?“

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„Wenn einer Mist baut, kannten wir ihn schon, als er Windeln trug”

Reden gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Polizisten. Sie sind die guten Nachbarn vom Kölnberg. Sie fühlen sich als Bindeglied zwischen den 4000 unterschiedlichsten Charakteren, die hier leben. „Wir sind Anlaufstelle für Menschen und Not. Viele kommen zu uns, selbst die, die normalerweise die Polizei meiden“, erklärt Neidel.

Das ist der Kölnberg

Kölnberg gesamt 1

So blicken Vorbeikommende, die von Hürth nach Meschenich fahren, auf den Kölnberg.

Seit 1974 ist der Kölnberg ein Teil von Meschenich. Mitten in Gemüsefeldern, direkt am Rande von Reihenhäusern mit Vorgarten ragt der Hochhauskomplex aus neun Gebäuden im Kölner Süden weit sichtbar wie ein brauner Berg hervor. Daher auch sein Name. Die höchsten Häuser des Kölnbergs stehen im Norden, „An der Fuhr“ Hausnummer 4 und 5.

Sie sind maximal 26 Geschosse hoch. Damit sind sie – für Kölner Verhältnisse – eigentlich sogar ziemlich klein: Sie stehen lediglich auf Platz 35 von Kölns höchsten Gebäuden.

Die Anlaufstelle ist eine kleine Wache im Haus 4, Appartment 103. Eine Zweiraum-Wohnung, unscheinbar in der ersten Etage gelegen. Mittendrin also, und das schon seit 1977 – fast so lange wie es den Kölnberg gibt. „Die Polizisten hier kennen viele Anwohner sehr gut. Wenn einer Mist baut und wir ihn erwischen, ist es oft so, dass wir ihn schon kannten, als er noch Windeln trug.“

Kölnberg Polizei 2

Wolfgang Neidel schaut durch eine zerstörte Tür. Die drogenabhängige Bewohnerin hat ihren Schlüssel vergessen und im Rausch die Tür eingetreten.

Es geht weiter, vom Fahrstuhl zum nächsten Haus, durch das nächste Flurlabyrinth. Alles per Fuß, einen Dienstwagen haben die Beamten hier nicht. Der Kölnberg ist nicht groß, das Leben spielt sich hier in der Vertikalen ab. „Ich finde, es ist ein Privileg hier zu arbeiten“, sagt Pastors auf dem Weg zur nächsten Tür. „Es gibt Kollegen, die halten es für eine Strafe, hier arbeiten zu müssen. Doch ich finde, hier hat ein Polizist das Gefühl, wirklich gebraucht zu werden.“

„Wir müssen Hartz-4-Empfängern nicht noch eins mit dem Knüppel geben”

Das heißt auch: Ab und zu ein Auge zudrücken. „Viele, die hier leben, haben einfach Pech gehabt. Wir müssen Hartz-4-Empfängern nicht noch eins mit dem Knüppel geben.“ Wenn jemand gerade nicht flüssig ist, um eine Strafe zu zahlen, dann setzen die Beamten sich an das Telefon und handeln Ratenzahlungen aus, versuchen zu helfen. „Wer offen mit uns redet, dem helfen wir auch.“

Serie: Die Menschen vom Kölnberg

Der Kölnberg – ein Stadtteil mit einem schaurigen Ruf. Gewaltverbrechen, blühender Drogenhandel, Prostitution: Themen wie diese beherrschen die Nachrichten aus Meschenich. Trauriger Höhepunkt: Eine Leiche, die von einem Balkon geworfen wurde.

Aber: In den Hochhäusern leben über 4000 Menschen aus 60 Nationen. Menschen, die hier zu Hause sind, die hier ihre Heimat gefunden haben, die sich täglich um ein würdevolles Leben bemühen. EXPRESS war vor Ort: bei den Menschen vom Kölnberg.

Nur: Nicht jeder ist ehrlich. Es gibt Fälle, das reißt der Geduldsfaden des Freund und Helfers. Wenn Leute einfach nicht auf die Behörde reagieren, zum Beispiel. Dann stehen die beiden vor der Tür und werden auch mal lauter. „Es ist immer etwas los hier“, sagt Neidel. „Auch deshalb bin ich her gekommen.“

Kölnberg Polizei 3

Die drogenabhängige Bewohnerin trat ihre eigene Haustür ein. Sie ist komplett zerstört.

Immer etwas los – ist Mord- und Totschlag hier an dem „gefährlichen Ort“, wie der Kölnberg im Polizeideutsch genannt wird, an der Tagesordnung? Am Vortag gab es eine Schießerei vor einem der Kioske, im vergangenen Jahr fiel eine Leiche vom Balkon. „Es sind erschreckende Einzelfälle“, sagt Pastors. „Auch die gibt es. Die gibt es in jeder großen Stadt. Doch unser Alltag ist ein anderer.“ „Es gibt große Verbrecher hier und kleine Verbrecher“, ergänzt Neidel. „Aber alles hier sind Menschen und der Kölnberg ist ihr Lebensraum. Das darf auch bei solchen harten Fällen nicht vergessen werden.“

Dann geht der Alltags-Wahnsinn weiter: Die beiden treffen wenig später die Dame, an deren Tür sie vorhin klopften, auf der Straße. „Ich habe noch ein Schreiben für sie“, sagt Neidel, übergibt ein Blatt Papier. „Am besten diese Nummer anrufen und schnell bezahlen. Dann bekommen sie auch keine Probleme.“