Vor der Darts-WM im Ally Pally war Legende Raymond van Barneveld – zusammen mit Florian Hempel – auf einer Darts-Flusskreuzfahrt.
Darts-Legende im InterviewBarney: Ich mache einen Deutschen zum Weltmeister
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Raymond van Barneveld (58) ist einer der ganz großen Stars bei der Darts-Weltmeisterschaft im Alexandra Palace von London.
Im EXPRESS.de-Interview spricht die Darts-Legende aus den Niederlanden (fünfmal Weltmeister) über sein Karriereende, seine Diabetes-Erkrankung, Morddrohungen, die Zukunft der deutschen Darts-Profis und Fußball!
Raymond van Barneveld: „Ich kann die Menge begeistern“
Was erwarten Sie von dieser Darts-WM im Ally Pally bei Ihrer 32. WM-Teilnahme?
Raymond van Barneveld: Es ist schwer für mich zu sagen, wie weit ich komme. Stefan Belmont aus der Schweiz ist ein starker Auftaktgegner. Sollte ich die ersten zwei Matches gewinnen, käme in Runde drei wohl schon Luke Littler, es ist eine schwere Auslosung.
Sie sind in der Woche vor der WM noch auf der MS Alisa als Stargast bei einer Flusskreuzfahrt. Stört Sie das nicht bei der Vorbereitung?
van Barneveld: Wir versuchen immer gut zu spielen. Aber auch Geld ist wichtig. Sie wissen, wir müssen was verdienen. Es gefällt mir hier. Ich bin zum ersten Mal bei einer Kreuzfahrt auf einem Schiff, die Leute sind nett. Es sind Leute zwischen 30 und 60 Jahren.
Sie sind auf einem kleinen Flussschiff näher am Publikum als sonst im Saal auf einer Bühne ...
van Barneveld: Ja, aber die Fans lassen mich in Ruhe. Sie klopfen nicht an meine Kabinentür, sie belästigen mich nicht. Ich genieße es wirklich. Ich kann tun, was immer mir gefällt. Es ist ganz entspannt.
Können Sie den WM-Titel im Ally Pally gewinnen? Schließlich waren Sie ja schon fünfmal Weltmeister.
van Barneveld: Ich bin Diabetiker. Du verlierst manchmal die Konzentration. Ich spiele dreimal pro Woche, zwölfmal im Monat. Wenn du dreimal verlierst, in der nächsten Woche wieder dreimal verlierst und dann noch einmal, wirst du mental nicht stärker. Wenn du nur gewinnst, wie Luke Littler zur Zeit, läuft es halt. Es ist für mich nicht einfach. Du versucht, dein Setup zu verändern, nimmst neue Darts. Zu sagen, ich kann die WM-Trophäe gewinnen, wäre nicht realisitsch. Ich kann ein paar Runden weit kommen, kann die Menge begeistern vor allem die Barney Army. Ich mache noch zwei, drei Jahre, dann höre ich auf. Ich würde gern Lehrer werden, Manager oder Trainer in Darts. Ich spiele Darts, seit ich 17 bin, mehr als 40 Jahre mittlerweile.
War Ihr Rücktritt im Jahr 2020 richtig? Schließlich gaben Sie Ihr Comeback schon wieder ein Jahr danach?
van Barneveld: Ich brauchte das zu dem Zeitpunkt. Doch dann kamen Corona und die Scheidung von meiner Ex-Frau. Es gab keine Einkünfte, niemand wusste, wie lange die Pandemie andauert. Fünf Jahre? Zehn Jahre? Ich musste etwas machen.
Warum läuft es nach Ihrem Comeback nicht mehr so gut?
van Barneveld: Das Problem ist das Reisen. Viele Leute sehen das nicht. Manchmal arbeite ich umsonst. Auf der Pro Tour reise ich zum Beispiel sonntags an, das erste Spiel ist am Montag. Wenn du dann in der 1. Runde verlierst, kriegst du gar nichts. Es gibt nur Preisgeld, keine Startgagen auf der Pro Tour. Letzte Woche wollte ich zu einem Exhibition (Show-Wettkampf, Einladungsturnier/die Red.) nach Schottland. Am Flughafen: Zwei Stunden Verspätung. Dann wurden daraus sechs Stunden Verspätung. Am Ende wurde der Flug ganz gestrichen. So war der ganze Tag umsonst, ich konnte nicht nach Schottland zum Exhibition anreisen. Der Veranstalter holte sich einen anderen Spieler, ich bekam nichts. Und es kostete mich einen ganzen Tag am Flughafen. Bei Exhibitions werden Anreise, Hotel, Taxi etc. bezahlt. Es ist ein hartes Leben, vor allem, wenn du älter wirst. Wenn du jung bist, spielst du den ganzen Tag Darts, täglich. Wenn du älter bist, sagst du dir schon mal: Ich trainiere morgen!
Was haben Ihnen jetzt die jüngeren Darts-Stars voraus?
van Barneveld: Die Jungen haben den Hunger, sie wollen Wettkämpfe. Das Preisgeld ist inzwischen hoch. Bei der WM gibt es dieses Jahr eine Million Pfund für den Sieger. Es gibt 15.000 Pfund für die erste Runde. Als ich meinen ersten WM-Titel gewann, bekam ich 32.000 Pfund. Es war anders als jetzt.
Die Preisgeld-Entwicklung hängt sicherlich mit der gewachsenen Popularität dieses Sports zusammen?
van Barneveld: Wir haben viel für die Entwicklung getan. Phil Taylor, ich, Gary Anderson, wir haben den Darts-Sport groß gemacht.
Wie schätzen Sie die deutschen Profis ein, diesmal sind acht im Ally Pally dabei?
van Barneveld: Deutschland ist ein großes Land, es kommen junge Spieler nach. In ein paar Jahren könnte auch einer von ihnen die WM gewinnen. Sie müssen nur gut trainiert werden. Ich wäre bereit, in Deutschland Spieler zu trainieren, warum nicht? Aber der Job muss gut bezahlt sein. Mir gefällt es, junge Spieler auszubilden, die dann Profis werden. Jetzt sind sie auf sich selbst angewiesen. Wenn dir niemand sagt, was du zu tun hast, ist es schwer. Ich kann ihnen eine Menge beibringen, aber ich mache das nicht umsonst.
Warum ist es nach Ihrem Comeback so schwer, wieder in die absolute Weltspitze zu kommen?
van Barneveld: Du fängst bei Null an, hast keine Ranking-Punkte. Ich musste meine Tour-Karte zurückerspielen, war zwölf Tage am Stück in einem Hotel. Und mein Körper macht mit 58 nicht mehr so mit. Ich mag es nicht zu frühstücken. Du verlierst zu viel Energie. Für mich ist es morgens schwer, ich bin am Abend stärker. Ich bin Diabetiker. In Stress-Situationen bekommst du schon mal kalte Hände oder ein Kribbeln in den Fingern. Es ist nicht gut. Mein Körper ist nicht mehr hundertprozentig fit, und dann verlierst du auch die Konzentration.
Wie motivieren Sie sich noch?
van Barneveld: Meine Motivation? Ich versuche, so gut wie möglich zu spielen. Mich für die großen Turniere zu qualifizieren. Ich spiele seit über 35 Jahren, 24/7. Darts ist meine Arbeit, Darts ist mein Leben, seit ich 17 war.
Was hat sich im Laufe der Jahre am Dartssport verändert?
van Barneveld: Die Mentalität ändert sich. Als ich anfing, gab's ein Darts-Magazin. Darin konntest du die Ergebnisse lesen. Jetzt ist die Welt mit Social Madia soviel schneller und Leute können dich öffentlich beschimpfen als Arschloch. Wenn sie bei Wetten Geld verlieren, wünschen sie dir den Tod. Du liest so was nie in einem Magazin, aber in Social Media. Durch Social Media erkennen mich Leute auf der ganzen Welt. Leute platzieren Wetten auf mich. Wenn sie 100 Euro auf einen Sieg von mir setzen und ich spiele schlecht, geben sie mir die Schuld. Sie schicken mir eine Textnachricht, bezeichnen mich als Arschloch, berdohen meine Frau, schreiben mir: ,Ich hoffe, du stirbst!‘ Ich erhalte viele solcher Nachriten, glauben Sie mir. Als Darts-Profi Ricky Evans seine Schwester verlor, schrieb ihm einer, ich bin froh, dass deine Schwester gestorben ist. Das ist unglaublich! Der Schreibstift ist da schneller als die Gedanken.
Können Sie nicht dagegen vorgehen?
van Barneveld: Wenn dir einer sowas ins Gesicht sagt, kannst du ihm auch Entsprechendes sagen. Aber wenn dir einer schriftlich den Tod wünscht, kannst du ihm nicht antworten. Würdest du ihm schreiben, den wünsche ich dir auch, dann macht er eine Kopie öffentlich und behauptet, guck mal, was Raymond van Barneveld so von sich gibt! Deine Hände sind gebunden, es ist nicht immer einfach.
Haben solche Vorfälle Ihr Verhalten verändert?
van Barneveld: Ich bin nicht mehr der Spaß-Spieler. Ich spiele meine Turniere, gewinne tausend Pfund, in der nächsten Woche gewinne ich null! Ich mache keine Fortschritte mehr. Das ist das Härteste. Ich bekomme immer noch gutes Geld, das ist nicht das Problem. In den Anfangsjahren meiner Karriere gewann ich vier oder fünf Spiele und bekam 50 Pfund. Ich bin jetzt die Nummer 35 der Welt.
Sie haben mit der berühmten orangen „Barney Army“ unheimlich viele Fans, genießen Sie das?
van Barneveld: Fans mögen es, dich zu vereinnahmen, wenn du gewinnst. Aber wenn du verlierst, bejubeln sie den anderen, feiern weiter. Sehen sie die Barney Army: Sie wollen, dass ich gewinne. Wenn ich verliere, machen sie dennoch ihre Party. Darts ist ein populärer Sport. Die Barney Army singt „Barney Army, Barney Army“ Aber wenn ich ein paar Darts verwerfe, singen sie plötzlich „England, England!“ Ein echter Barney-Fans wäre doch traurig oder krank, wenn Barney verliert. Aber das gibt's im Darts nicht. Die Fans sind glücklich, auch wenn Barney verliert. Dann ist nur einer krank – und das bin ich! Ich war 2010 als Fan der niederländischen Fußball-Mannschaft beim WM-Finale gegen Spanien im Stadion. Ich konnte nicht hinsehen, als Arjen Robben allein auf den Torhüter zulief .... Es war dramatisch. Am Ende verlor Oranje 0:1. Da hatte ich doch keinen Grund zum Jubeln?
Beim Walk on zu einem Match bejubeln Sie die Fans bei Ihrer Einmarschmusik „Eye of the Tiger“, klatschen Sie im Vorbeigehen ab. Wie genießen Sie diese besondere Atmosphäre, vor allem im Ally Pally?
van Barneveld: Leute sind manchmal befremdlich. Es gibt welche, die haben eine Zigarette in der Hand, die sie dir beim Einmarsch in den Ally Pally reichen. Dann hast du eine Brandwunde! Ich mache das nicht mehr.
Sie waren beim WM-Finale im Stadion, sind Sie ein großer Fußball-Fan?
van Barneveld: Ich bin sehr an Fußball interessiert, aber nur am Nationalteam. Ich verfolge die WM in den USA, Mexiko und Kanada, selbst wenn die Spiele für uns in der Nacht stattfinden. Aber 48 Mannschaften bei der WM, das ist nur noch Kommerz. Money, money, money! In den letzten acht Jahrem war Italien nicht bei einer WM. Aber ein Land wie Curacao ist dabei. Es gibt 16 Mannschaften mehr als früher bei der WM, aber du kommst nur zur Endrunde, wenn du Erster in der Qualifikaktionsgruppe wirst. Es gibt mehr Mannschaft bei dieser WM, aber weniger Möglichkeiten für europäische Mannschaften. Es gibt sieben Afrika-Teams, sechs aus Südamerika. Etwas läuft falsch.
Wer wird Fußball-Weltmeister? Die Niederlande?
van Barneveld: Nein, ich glaube Spanien.
Und wer wird Darts-Weltmeister?
van Barneveld: Alle sagen Luke Littler. Aber kann er mit dem Druck des Champions umgehen? Das weiß man noch nicht. Es ist viel Druck. Normalerweise gewinnt einer aus den Top Acht auf der Welt.
Träumen Sie noch von einem WM-Titel?
van Barneveld: Ich kann träumen, was ich will. Aber es passiert nicht. Was ist mein Ziel. Was erwarte ich? Wie weit kann ich kommen? Zweite, dritte Runde? Viertelfinale? Ist das realistisch? Ich habe nicht die Antwort. Ich kann auch in der ersten Runde verlieren.
Früher wollten alle bei der WM das Match Phil Taylor gegen Raymond van Barneveld sehen ...
van Barneveld: Ja, das waren große Duelle. Man fieberte darauf hin. Heute spielen in der Premier League die acht Besten jede Woche gegeneinander. Luke Littler gegen Luke Humphries, das ist nichts Besonderes mehr. Es ist nicht mehr so schön. Es ist, als würde im Fußball jede Woche Bayern München gegen Borussia Dortmund spielen. Dann ist es nicht mehr so aufregend.
Sie gehören in ihrer Heimat Holland zu den berühmtesten Persönlichkeiten. Wie hoch ist ihr Popularitätsgrad?
van Barneveld: In den Niederlanden kennen mich laut einer Umfrage 92 Prozent aller Leute. Mehr als Fußball-Bondscoach Ronald Koeman. Den kennen 88 Prozent. Manchmal ist es schon verrückt. Du fährst auf der Autobahn, dich überholen viele Autos. Zwei von drei erkennen, das sie Raymond van Barneveld überholt haben. Oder wenn du in Den Haag im Restaurant sitzt, gucken alle drumherum auf deinen Teller.



