Zum 10. Jahrestag der Terroranschläge gibt es gleich zwei Dokumentationen über die Horrornacht. Neben einem Sky-Film gibt es auch in der ARD einen Beitrag mit vielen intensiven Einblicken.
„Tränen in den Augen“Nationalspieler berichten von der schwärzesten Nacht

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Direkt nach dem Abpfiff des Länderspiels gegen Frankreich am 13. November 2015 wurden die Nationalspieler informiert, dass sie sofort in die Kabine gehen sollen.
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Als die Spieler der deutschen Fußball-Nationalmannschaft am Vormittag des 13. November 2015 aufgefordert wurden, ihr Hotel in Paris wegen einer Bombendrohung zu verlassen, machten viele zunächst noch Scherze. Das Team wurde zur Tennisanlage Roland Garros gebracht, dort machten viele Selfies und genossen den seltenen Einblick.
Nachdem das Hotel überprüft worden war und keine Bombe gefunden wurde, fuhr die Truppe von Bundestrainer Joachim Löw (65) abends zum Stade de France, wo ein Freundschaftsspiel gegen Frankreich anstand. In der ersten Halbzeit des Länderspiels detonierten an den Eingängen mehrere Sprengsätze.
Ex-DFB-Medienchef produzierte ARD-Doku über die Horror-Nacht von Paris
Millionen Fans verfolgten das Spiel an den Bildschirmen – sie alle hörten die Explosionen. Es wurde eine Nacht des Schreckens und es folgten weitere nervenaufreibende Tage. Sky bietet dazu die Doku „Die Nacht von Paris – Terror am Stade de France“.
Die ARD-Dokumentation „Terror. Fußball. Paris 2015 – Die Nationalmannschaft im Visier“ rekonstruiert die Ereignisse aus der Perspektive von Spielern, Trainern, Sicherheitskräften und Journalisten – und zeigt, wie nah der Terror am deutschen Team war.
Einer der Macher der Dokumentation ist Uli Voigt (73). Der Bonner war damals als Medienchef Teil der DFB-Delegation. Er konnte auch auf interne Handyaufnahmen aus dem Tross zurückgreifen. So ist ein atmosphärisch packender und fesselnder Film entstanden.
Für die Doku ist auch Löw zusammen mit Ex-Teammanager Oliver Bierhoff (57) zehn Jahre später noch einmal an den Tatort zurückgekehrt, um die Ereignisse dieser Nacht hautnah Revue passieren zu lassen.

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Die Nationalmannschaft musste bereits am Vormittag des Länderspiels ihr Mannschaftshotel wegen einer Bombendrohung verlassen.
Bei den Terroranschlägen wurden 130 Menschen getötet und 683 verletzt, darunter mindestens 97 schwer. Außerdem starben sieben der Attentäter in unmittelbarem Zusammenhang mit ihren Attacken. Lange herrschte im Stadion Ungewissheit.
Der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (69) und Frankreichs Präsident François Hollande (71) wurden während des Spiels informiert, dass Paris Ziel eines koordinierten Terror-Angriffs ist.

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Die Dokumentation „Terror. Fußball. Paris 2015 – Die Nationalmannschaft im Visier“ läuft zum Jahrestag der Terroranschläge von Paris.
Chris von der Spezialeinheit GSG 9 der Bundespolizei blickt auf den Abend zurück: „Zwei der Täter hatten eine Eintrittskarte. Es war offenbar beabsichtigt, die Selbstmordwesten im Stadion zur Detonation zu bringen – medienwirksam bei einer Live-Übertragung. Der dritte Täter sollte offenbar inmitten flüchtender Personen in einer Paniksituation zünden. Das ist purer Terror.“
Die Nationalspieler können auch zehn Jahre später die bangen Momente nicht vergessen. „Direkt nach dem Spiel haben die Sicherheitsleute vom DFB gesagt, dass wir sofort in die Kabine sollen. Da wussten wir, es ist irgendwas passiert“, blickt Christoph Kramer (34) zurück.

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Bundestrainer Joachim Löw reiste für die Dokumentation zurück ins Stade de France.
Kevin Trapp (35) berichtet vom Telefonat mit seiner Verlobten Izabel Goulart (40): „Sie hat nur noch geweint, weil sie natürlich auch Angst hatte. Genauso ging es jedem anderen, der seine Familie am Telefon hatte, weil keiner wusste, wie wir hier rauskommen. Ich hatte das Gefühl, ich bin im Krieg. Draußen sind Bestien mit Maschinengewehren rumgelaufen, die Menschen in einem richtigen Massaker getötet haben. Diese Gefühle kann man nicht beschreiben. Man hat Angst, Panik – man will das nicht zeigen, aber man hat 1000 Gedanken im Kopf“.
Der DFB-Fanbeauftragte Bülent Aksen (60) nennt die Momente die „Konfrontation mit dem Tod“. Das Gerücht verbreitete sich, dass weitere Täter in den Gängen des Stadions mit Maschinengewehren um sich schießen würden. ARD-Kommentator Tom Bartels (60) beobachtete die Panik, die sich breitmachte. „Ich habe meine Frau erreicht, als ich wieder Netz hatte. Sie hat mir gesagt, dass unser ältester Sohn aus Angst um mich geweint habe“.

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Nach dem Abpfiff stürmten die Fans auf den Rasen des Stade de France, da die Ausgänge verschlossen blieben.
Joachim Löw berichtet, wie hilflos er sich in der Kabine der Nationalmannschaft gefühlt habe. „Wir haben nicht versucht, uns als Helden aufzuspielen. Wir konnten nur beruhigend auf die Spieler einwirken, obwohl ich das Gefühl hatte, sie haben sehr viel Angst und sind sehr nervös.“
Bastian Schweinsteiger (41), damals Kapitän der DFB-Elf, sagt: „Viele hatten Tränen in den Augen. Die Stille hat den Raum beherrscht. Du denkst, du gehst zum Fußballspiel – und am Ende war das der schwärzeste Tag.“

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Die ganze Nacht blieb die Mannschaft in den Katakomben des Stadions. Zum Flughafen ging es nicht mehr im Mannschaftsbus, sondern in einzelnen Vans.
Auch Trapp gesteht: „Ich hatte viel Panik, habe aber versucht, das nicht zu zeigen, weil man niemanden verrückt machen will. Aber ich hatte tausend Gedanken im Kopf. Was passiert, wenn die jetzt hier reinmarschieren? Wie verhalte ich mich? Ist da draußen noch jemand, der noch mal eine Bombe hochgehen lässt? Da war viel Angst.“
Kurz bevor das Team mitten in der Nacht eigentlich zurück zum Hotel fahren wollte, erhielt der Bundestrainer einen Anruf seines türkischen Beraters Harun Arslan (68). „Er hat mir gesagt, dass ein ehemaliger Spieler von Fenerbahçe, der ein sehr guter Freund von Präsident Erdogan ist, mitgeteilt habe, dass wir auf keinen Fall ins Hotel zurück dürften. Der Geheimdienst habe ganz klare Informationen, dass die Mannschaft und das Hotel ein Ziel seien.“

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Trauernde Menschen zündeten am 16. November 2015 vor dem Bataclan-Theater in Paris Kerzen an und legen Blumen nieder. Bei einer Serie von Terroranschlägen wurden mehr als 130 Menschen getötet.
In einzelnen, abgedunkelten Vans ging es stattdessen im Morgengrauen zum Flughafen und dann mit einer Sondermaschine zurück nach Frankfurt. Nur vier Tage später sollte das Freundschaftsspiel gegen die Niederlande in Hannover stattfinden – als Symbol für Stärke und Normalität, auch wenn es vom Team niemand wollte.
„Ich habe einen Anruf von sehr hoher Stelle von unserer Bundesregierung erhalten. Man hat uns nahegelegt, das Spiel unbedingt zu absolvieren“, sagt Löw. „Die Vorgabe lautete: Wir lassen uns vom Terrorismus auf keinen Fall in die Knie zwingen.“

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Am 17. November 2015 sollte eigentlich in Hannover gegen die Niederlande gespielt werden – auch als Zeichen gegen den Terror.
Doch kurz vor Anpfiff wurde das Stadion evakuiert. Der Verdacht: konkrete Anschlagsgefahr. Ein Ordner, der auf keiner Ordnerliste auftauchte, aber im Stadion im Einsatz war, ein verlassener Rettungswagen ohne Besatzung und ein angekündigter Folgeanschlag am Hauptbahnhof, veranlassten die Verantwortlichen zur Absage.
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Die Mannschaft wurde im Bus auf dem Weg zum Stadion informiert. „Es war totales Gefühlschaos für jeden von uns“, erinnert sich FC-Torwart Ron-Robert Zieler (36). „Paris, Heimreise, man trifft sich in Barsinghausen und bereitet sich auf das Spiel vor, dann wieder Absage. Lange Zeit waren wir im Unklaren. Es wurde nie an uns herangetragen, was wirklich der Grund für die Spielabsage war.“

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Anderthalb Stunden vor dem geplanten Anpfiff wurde das Stadion von Hannover wegen einer Gefahrenlage evakuiert.
Der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière stand damals in der Kritik für seine Aussagen bei einer Pressekonferenz, als er gefragt wurde, ob weiterhin eine Gefährdungslage bestehe. „Hätte ich gesagt, das Stadion ist geräumt, die Lage ist sicher, was ich am liebsten gesagt hätte, und zehn Minuten später wäre am Hauptbahnhof eine Bombe explodiert, wäre die Reaktion klar gewesen. Hätte ich gesagt, wir befürchten noch einen weiteren Terroranschlag, wäre Panik ausgebrochen.“
Der 71-Jährige sagte deshalb: „Ich möchte darauf keine Antwort geben, denn Teile dieser Antwort würden die Bevölkerung verunsichern.“ Im Rückblick sagt er: „Die Antwort habe ich aus der Not gegeben. Sie war schlecht und hat zu noch mehr Verunsicherung geführt. Im Nachhinein ist der Satz Kult geworden und war Gegenstand satirischer Betrachtungen. Damals war es bitterernst.“
Thomas de Maizière räumt im Rückblick Fehler ein
Sieben Monate später lief die Nationalmannschaft im Rahmen der EM wieder im Stade de France auf. „Das war richtig scheiße, in Frankreich diese EM zu spielen“, sagt André Schürrle (34) heute. „Eigentlich hat man nur drauf gewartet, dass irgendwo ein Stadion in die Luft fliegt. Vor jedem Anpfiff flogen Helikopter über dem Stadion, überall im Hotel standen sie mit den Waffen. Das war richtig Kacke“.
Der Film „Terror. Fußball. Paris 2015 – Die Nationalmannschaft im Visier“ ist ab dem 4. November 2025 in der ARD-Mediathek und am 10. November um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.