„Wird nie wieder so sein“Kult-Comedian Arnd Zeigler über FC und Social-Media-Hass

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Fußball-Comedian Arnd Zeigler, hier bei einer Veranstaltung im September 2019, stand im großen EXPRESS-Interview Rede und Antwort.

von Anton Kostudis (kos)

Köln – Fußball-Fans kennen aus dem „Sportschau Club“ oder seiner Sendung „Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs“ im WDR. Arnd Zeigler (55) ist nie um einen schlagfertigen Spruch verlegen und kommentiert seit vielen Jahren humoristisch das Geschehen in der deutschen Fußball-Landschaft. Der gebürtige Bremer ist obendrein auch Stadionsprecher beim SV Werder.

Im großen EXPRESS-Interview hat Zeigler nun über sein neues Buch „Traumfußball – Wie unser Lieblingsspiel uns allen noch mehr Spaß machen kann“, die Auswirkungen der aktuellen Corona-Pandemie auf den Fußball und seine besondere Beziehung zum 1. FC Köln gesprochen.

Herr Zeigler, wie sehr haben Sie als Entertainer und Fan die vergangenen Fußball-Monate erlebt?

Alles zum Thema Fußball-Bundesliga

Ich habe ja sogar einige Geisterspiele als Stadionsprecher mitgemacht. Und es war in gewisser Weise eine Lehre fürs Fußballleben. Wir Fans haben ja immer gedacht, dass es uns nur um das Fußballspiel geht. Und alles drumherum sei im Grunde egal. Und jetzt hast du in großer Anzahl Fußballspiele ohne jegliches Drumherum. Und es macht keinen Spaß mehr. Viele waren dann auch in dem Gewissenskonflikt, ob sie jetzt am Fernseher die künstliche Stadion-Atmosphäre dazuschalten oder ob das nicht albern ist. Es hat uns Fans alle sehr an unsere Grenzen gebracht.

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Fußball-Comedian Arnd Zeigler bei einer Lesung am 22. August. Zeigler ist auch Stadionsprecher des SV Werder Bremen.

Haben Sie deswegen ein Buch über Ihre Liebe zum Fußball geschrieben?

Nun, es geht dabei um Themen, die mich schon mein Leben lang beschäftigen. Und um Sachen, an denen ich seit 25 Jahren herumbrüte. Das ist eigentlich auch das Schöne am Schreiben gewesen: Dass ich das Gefühl hatte, endlich mal ein paar Dinge kanalisieren zu können, mit deren Lösung ich mich noch nie ernsthaft auseinandergesetzt habe. Die Kernidee war, dass ich mich schon seit Jahren gefragt habe: Warum machen wir als Fans das Ganze eigentlich mit? Warum erkaltet diese Liebe zum Fußball nicht, obwohl wir uns ja ständig eigentlich nur ärgern? Ich habe versucht, mir selbst die Antwort darauf zu geben. Und ich wollte gedanklich einen Gegenpol zu dem ganzen Gehate in den sozialen Netzwerken schaffen.

Inwiefern?

Es scheint eine bestimmte Art Fans von Vereinen zu geben, die ihr ganzes Leben damit verbringen, die Verantwortlichen und Spieler bei ihrem vermeintlichen Lieblingsklub für Volltrottel zu halten. Und für austauschbar. Der Trainer hat mutmaßlich viel weniger Sachverstand und Gespür vom Fußball als sie selbst. Das kann man zwar machen, aber es ist doch viel schöner, eine Nähe zu denjenigen herzustellen, die man bejubeln möchte. Und nicht ständig zu warten, bis mal einer einen Fehlpass spielt, um dann den onlinezugehen und sofort etwas in irgendwelche Foren zu schreiben. Ich halte es deswegen für wichtig, sich die empathische Komponente immer wieder in Erinnerung zu rufen und zu bewahren. Sonst macht es doch einfach keinen Spaß.

Sie sind bekennender Bremen-Fan und Werders Stadionsprecher sowie gleichzeitig Medienschaffender. Ist es da nicht schwierig, objektiv zu bleiben?

Es ist in meinem Job eigentlich gar nicht notwendig, und das empfinde ich als großen Glücksfall. Dass ich immer in einer Lage war, wo das alles gerne so sein durfte. Ich mache ja keine neutrale Berichterstattung. Ich muss nicht distanziert und sachlich sein. Bei mir weiß jeder, wo ich herkomme. Und ich sitze da auch an einer für mich spannenden Nahtstelle, wie eine Spinne in ihrem Netz. Weil ich auf der einen Seite bei Medien arbeite und mit deren Arbeitsweise vertraut bin, auf der anderen Seite für einen Fußballverein, und auf wieder einer anderen Seite bin ich einfach nur Fan. Ich kenne also verschiedenste Perspektiven. Und für mich war auch das genau der Grund, dass ich nie wirklich Sportjournalist werden wollte. Weil Du dann zwingend distanziert und rational sein musst. Ich habe dann bei vielen Kollegen in den Sportredaktionen aus unmittelbarer Nähe erlebt, was die für eine Herangehensweise haben. Und dann habe ich mir gedacht: Wenn ich das auch will, müsste ich eigentlich aufhören, Fan zu sein. Und das wollte ich nicht. Deswegen habe ich mir so eine Nische gesucht, die mir erlaubt, ich selbst zu bleiben. Wo ich mir nichts verkneifen muss. Was ich als großes Privileg empfinde.

Die Fußball-Fans kennen Sie als humorvollen Entertainer und Geschichtenerzähler. Ist es manchmal schwer, witzig zu sein?

Natürlich, die Situationen gibt es immer mal wieder. Ich musste beispielsweise eine Sendung machen, wenige Tage nachdem sich Robert Enke das Leben genommen hatte. Der traurigste Arbeitstag meines Lebens. Ich musste eine Sendung machen nach dem 11. September 2001. In diesen Momenten denkst du dann: Na gut, Fußball ist schon irgendwie wichtig. Aber jetzt gerade mal nicht das Wichtigste im Leben. Das ist dann schon schwer, die Dinge in Relation zu setzen. Manchmal musst du auf jeden Fall mit leiseren Tönen und sehr behutsamen Worten arbeiten. Man sollte nicht auf Teufel komm raus versuchen, immer witzig zu sein. Und das versuche ich auch nicht.

Ihre Sendung ist live – wie oft sind da in der Vergangenheit Pointen in die Hose gegangen?

Das Ding ist ja: Ich sitze in meiner Sendung 30 Minuten lang frontal vor einer Kamera und spreche frei. Ich habe kein Manuskript, sondern nur Stichworte. Insofern: Wenn ich nicht auch regelmäßig immer mal wieder saudumme Sachen sagen würde, dann wäre ich ja kein Mensch. Wogegen ich aber eine immer größere Abneigung entwickelt habe mit den Jahren, ist Gehässigkeit. Ich bemühe mich wirklich, und ich hoffe das merken die Leute auch, nicht boshaft zu sein. Ich mache mich zwar schon gern über Sachen lustig, aber ich versuche nie, Menschen fertig zu machen.

Wie versuchen Sie, Missverständnissen vorzubeugen?

Nun, ich habe in der Vergangenheit sicherlich auch mal Sachen gehabt, wo ich mir dann sofort hinterher gesagt habe: Das könnte man jetzt auch falsch verstanden haben, was du da gerade gesagt hast. Womöglich hast du damit gerade jemanden verletzt, ohne es zu wollen. Und dann fallen dir manchmal auch Dinge ein, da sagst du von vornherein: Nein, das solltest du lieber schnell wieder vergessen. Da versuche ich immer, mein eigenes Korrektiv zu sein. Es gibt kaum Menschen, die sich abends um 23 Uhr freiwillig ausdrücklich live vor die Kamera setzen und sich eine halbe Stunde beim Reden filmen lassen. Und wer es macht, der hat meistens ein Skript vor sich, das habe ich nicht. Insofern habe ich auch immer das Risiko, dass auch mal ein Satz danebengeht. Aber das passiert glücklicherweise nicht zu häufig.

Arnd ZeiglerCover24.11.

Das Buch Traum Fussball von Arnd Zeigler

Wurden Sie deswegen auch schon einmal angefeindet?

Ich hatte großen Respekt davor, als ich mit meinem Programm zum ersten Mal getourt bin. Weil ich mich gefragt habe: Was machst du jetzt, wenn Leute kommen, die dich doof finden und die dir schon immer mal die Meinung geigen wollten, weil du mal was Gemeines über ihren Lieblingsverein gesagt hast? Aber das ist bis heute nie passiert. Es gibt sicherlich Leute, die mich komplett daneben finden. Das ist dann aber meistens, weil ich vor Jahren mal irgendwas Kritisches oder Flapsiges über irgendeinen Verein gesagt habe und die Leute sich persönlich gekränkt fühlen. Ich hatte beispielsweise mal große Probleme mit Schalke 04. Ich persönlich habe gar nichts gegen Schalke. Aber 2010, als Felix Magath dort Trainer war und die wochenlang mit null Punkten auf Platz 18 standen, dann haben mich die Leute irgendwie für ihren eigenen Frust verantwortlich gemacht. Weil ich natürlich auch jede Woche was drüber gemacht habe. Und dann war das auch noch die Saison, wo Jürgen Klopp mit dem BVB Meister geworden ist. Das war schwierig.

Lesen Sie denn, was in den Kommentarspalten über Sie geschrieben wird?

Grundsätzlich ist es so, dass ich mich in den sozialen Netzwerken auch mal mit Leuten streite, wenn ich Sachen lese, die ich für bedenklich dumm halte. Ich mag soziale Medien, was Fußball angeht, gar nicht mehr so sehr. Weil ich das Gefühl habe, dass es fast nur noch ein Forum ist für Wut, für Aggressionen, für Besserwisserei. Da setzen sich ja Leute an den PC und machen vom Anpfiff weg irgendwelche Spieler oder Trainer nieder. Im Fußball führen die sozialen Netzwerke meiner Wahrnehmung nach zu einer Verrohung sowohl der Kommunikation untereinander als auch der Berichterstattung. Da wird eine Empörungskultur gezüchtet, die es so vorher noch nicht gegeben hat. Und viele Medien spielen das Spiel mit, indem sie lieber zuspitzen als einfach nur zu informieren. Wenn du dich früher über einen Verein aufregen wolltest, musstest du der Zeitung einen Leserbrief schreiben. Oder ins Stadion oder zum Training gehen. Heute aber kannst du an der Tastatur einfach jeden durchbeleidigen. Es gibt eine sehr breite Masse, die am Fußball immer nur das Negative sieht. Die sich darüber definiert, andere Vereine und andere Spieler niederzumachen. Ich versuche, da einen Kontrapunkt zu setzen. Aber das ist wirklich der sprichwörtliche Kampf gegen Windmühlen.

Ein Thema, was unter Fans zuletzt in den sozialen Netzwerken hitzig diskutiert wurde, war die Ankündigung des Magazins „11Freunde“, nicht über RB Leipzig in der Champions League zu berichten – aus Ablehnung gegen das Klub-Konstrukt. Wie sehen Sie das?

Ich bin zunächst einmal sehr froh, dass es Medien wie „11Freunde“ gibt, die eine klare Haltung haben und zeigen. Aber ich finde es im konkreten Zusammenhang mit RB Leipzig auch gar nicht so einfach, eine Haltung zu positionieren. Ich bin ein großer Freund des Differenzierens, nicht des Lagerbildens. Bei Leipzig geht es mir so: Ich habe einerseits große Skepsis und Antipathie gegen dieses gesamte Konstrukt. Dabei ist es mir egal, ob es um einen Energy Drink geht oder etwas anderes. Dass sie lange keine 20 Mitglieder hatten, dass sich Julian Nagelsmann beklagt, dass sein Klub nicht so viel Geld hat wie Paris Saint-Germain und ausgerechnet diesen Verein als armen Underdog im Konzert der Großen darzustellen versucht. Dem Verein fehlen für mich tatsächlich ein wenig die Bodenhaftung und die Demut. Auf der anderen Seite, und jetzt kommt ein sehr großes Aber, habe ich gute Freunde, die aus Leipzig kommen. Und die verstehen auch jeden Vorbehalt gegen den Verein. Aber die freuen sich oft auch einfach nur, dass sie in Leipzig in ein schönes Stadion gehen und tollen Fußball anschauen können. Es ist eine Fußballstadt, in der Vergangenheit waren Leipziger Vereine sehr erfolgreich, aber die wurden alle der Reihe nach von irgendwelchen Hasardeuren in die Grütze geritten. Die Sehnsucht nach begeisterndem Fußball in Leipzig ist riesig. Nun ist die Frage, ob einem egal ist, wie dieser zustande kommt.

Was sagen Sie ihren Leipziger Freunden?

Mir ist wichtig, dass man sich nicht über andere erhebt und glaubt, dass man in einer moralisch überlegenen Position ist, und dass deswegen mein Verein besser als ein anderer sei. Ich kann meinen Leipziger Freunden deswegen sicher nicht sagen: „Hört mal, ihr solltet da nicht hingehen, weil das doch ein Scheißverein ist!“ Es ist nämlich so: Man kann bei jedem Bundesliga-Verein moralische Schwachstellen finden. Leipzig bietet da sicher mehr Angriffsfläche als alle anderen. Aber mein Verein zum Beispiel hat einen Hähnchenbrater als Trikotsponsor. Finden viele hier auch nicht so cool. Und wenn wir uns erinnern: Vor 20 Jahren dachten wir in der Bundesliga: Das Böse schlechthin sei Bayer Leverkusen. Mittlerweile ist Leverkusen ein ganz normaler Verein. Danach kam Wolfsburg, dann kam Hoffenheim, jetzt kommt Leipzig. Und irgendwann wird es wieder etwas anderes geben, vielleicht was noch Extremeres, weil irgendein Scheich einen Verein kauft, umbenennt, in eine andere Stadt verpflanzt und aus Marketinggründen die Vereinsfarben und das Wappen ändert. In England gibt’s das schon. Fakt ist: Immer in der Bundesliga bleiben, am besten international spielen – das kannst du nicht, wenn du nicht irgendwas tust oder getan hast, was angreifbar ist. Ich würde aber dennoch sagen: Lasst uns genauer hingucken, lasst uns begreifen, dass wir mit 18 Vereinen wie RB Leipzig in der Bundesliga keinen Spaß mehr am Fußball hätten, aber lasst uns respektieren, dass es Leipziger gibt, die gerne da hingehen und für die das etwas Bedeutendes ist.

Wir müssen das natürlich fragen: Was ist das Erste, das Ihnen einfällt, wenn Sie an den 1. FC Köln denken?

Einiges! Mein Sohn ist in Köln geboren. Ich habe dort lange gelebt und gearbeitet, die meisten meiner Kollegen sind Kölnerinnen und Kölner. Ich mag die Stadt und ich bin wahnsinnig gern im Stadion, wenngleich ich da in den vergangenen Jahren fast nur bittere Niederlagen gesehen habe. Fakt ist: Wenn wieder Zuschauer erlaubt sind, ist das definitiv einer der schönsten Bundesliga-Standorte. Bremen ist natürlich auch toll. Aber das Stadion, die Gesänge, der Geißbock, das ist für mich ein Standort, wo ich denke: So wie hier sollte sich Bundesliga anfühlen. Der 1. FC Köln ist schon immer ein besonderer Verein gewesen. Außerdem bin ich großer Fan von Stadien, die da sind, wo sie schon immer waren – und nicht in irgendeine Autobahnabfahrt oder ein Industriegebiet reingebaut. Nichts gegen die Bayern und die Münchner Fans: Aber die Allianz-Arena finde ich katastrophal. Die Lage. Und wenn du da reingehst, hast du das Gefühl, du bist in einem Krankenhausflur. So steril. Da würde ich mich nie zu Hause fühlen. Hier in Bremen liegt das Stadion in einem Viertel, wo Kneipen sind, wo die Weser dran vorbeifließt, wo du mit der Fähre hinfahren kannst. Oder das Stadion in Bochum, das liegt auch mitten in der Stadt. In Köln ist es zwar nicht mitten im Kneipenviertel oder in einem Wohngebiet, aber eben schon immer dort.

Nicht nur für Fußball-Fans sind es schwere Zeiten, auch zwischen den Medien und den Vereinen ist es heute ein viel distanzierteres Verhältnis. Wie lässt sich das kitten?

Es wird nie wieder so sein wie in den 80er-Jahren, wo du als Journalist einen Spieler angerufen hast und gesagt hast: Lass uns mal quatschen. Aber es ist auch sehr schädlich in meinen Augen, dass du heute so komplett gesteuerte Interviews hast. Wo fünf Zeitungen dasselbe Interview kriegen und dann versuchen müssen, unterschiedliche Artikel daraus zu machen. Aber ich denke, die aktuelle Zeit ist nicht schlecht, um den Umgang miteinander generell mal zu überdenken. Weil ohnehin allen klar ist – Fans, Profis, Klubs, Medien – dass wir nicht so weiterwurschteln können. Es muss klar geregelt werden, wie es nach Corona weitergehen soll. Fakt ist: Wir brauchen eine Nähe zueinander. Ohne die funktioniert Fußball nicht. Und diese Nähe muss hergestellt und gepflegt werden. Das sollte die Kernlehre der vergangenen Monate sein.