„Jörg Pilawa: Plötzlich arm“Moderator macht trauriges Geständnis und ärgert sich: „Ihr wisst nicht, wovon ihr redet“

Jörg Pilawa engagiert sich schon seit einigen Jahren für die Hilfsorganisation „Tafel“.

Jörg Pilawa engagiert sich schon seit einigen Jahren für die Hilfsorganisation „Tafel“. 

Im sozialen Brennpunkt Berlin-Hellersdorf lebte Jörg Pilawa eine Woche lang von Bürgergeld. Der Selbstversuch gestaltete sich schwierig. „Wie schaffen die Leute das?“, fragte der Moderator – und bekam Antworten, die kaum unterschiedlicher hätten ausfallen können.

563 Euro erhalten alleinstehende Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld in Deutschland monatlich. Will heißen: 18 Euro pro Tag, für Lebensmittel, Kleidung und alles, was sonst noch so anfällt.

Für so manchen ist das geringe Budget eine echte Herausforderung – auch für Jörg Pilawa, der am Montagabend (15. April 2024) bei Sat.1 das Selbstexperiment wagte: Eine Woche lang musste der Moderator im sozialen Brennpunkt Berlin-Hellersdorf mit einer Geldsumme auskommen, die dem Bürgergeld-Regelsatz entspricht.

Der Alltag in Armut: „Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel“

„Jörg Pilawa: Plötzlich arm“ lautete der Titel des Selbstversuchs, bei dem Pilawa „körperlich und emotional an seine Grenzen“ geriet. Schon der erste Einkauf beim Discounter stellte die Rechenfähigkeiten des 58-Jährigen auf die Probe. „Ich bin jetzt eindeutig über meinem Tagesbudget“, musste Pilawa mit Blick auf den Kassenzettel feststellen.

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Es sei „eine Challenge“ für ihn, sparsam zu bleiben, erklärte er. Zum Frühstück gab es Brot mit Käse, jeweils zwei Scheiben, mehr sei pro Tag nicht drin. „Müsli mit frischem Obst geht halt nicht“, klagte Pilawa.

Jörg Pilawa griff der schwerkranken Mandy und ihrer Familie unter die Arme.

Jörg Pilawa griff der schwerkranken Mandy und ihrer Familie unter die Arme.

Seine Erkenntnis: „Alltag mit wenig Geld heißt: Meine Gedanken drehen sich ständig ums Geld.“ Nach sieben Tagen endete der Selbstversuch: „Mein knappes Budget beschäftigt mich ständig, auch die Frage: Wie schaffen die Leute das?“

Eine Antwort darauf suchte Pilawa bei Eveline, genannt Evi. Die 63-Jährige hatte er bei der „Tafel“ kennengelernt, dort besorgt Evi einmal wöchentlich Lebensmittel. „Für uns ist die 'Tafel' sehr wichtig. Hier sind viele Kinder, und wenn man sich heutzutage die Preise anguckt: aua, aua ...“, erklärte sie dem Journalisten. Zeit, einer bezahlten Arbeit nachzugehen, habe Evi nicht. Schließlich beansprucht die Pflege ihres an Krebs erkrankten Mannes Siegfried und die Pflege ihrer ebenfalls schwerkranken Tochter Mandy viel Zeit.

„Zum ersten Mal wird mir bewusst, wie schnell man unverschuldet durch einen Schicksalsschlag in die Armut rutschen kann“, warf Pilawa sichtlich gerührt ein. Evi kümmert sich tagtäglich um ihre vier Enkelkinder, schmeißt zwei Haushalte gleichzeitig. Auch ihrem Schwiegersohn, Mandys Mann Pierre, greift Evi unter die Arme.

Pierres sechsköpfige Familie lebt von Kindergeld, Kinderzuschlag und Mandys Pflege- und Erwerbslosengeld. Konkret bedeutet das: 1.000 Euro Haushaltsgeld pro Monat – für alle. „Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel“, fasste Pierre, der gerne arbeiten würde und keine Zeit dafür findet, die finanziell aussichtslose Situation zusammen. „Man quält sich von jedem Monat zum anderen. Hat das noch was mit Leben zu tun?“

Jörg Pilawa: „Denke seit dieser Woche anders über Armut in Deutschland“

Dass Empfängerinnen und Empfänger von Sozialhilfen nicht arbeiten wollen, hielt Pilawa nach seinen Recherchen für einen Irrglauben. Schätzungen zufolge gilt nicht einmal ein Prozent aller Bürgergeld-Bezieher als „Totalverweigerer“.

„Wenn man von den Leuten hört, 'die sollen sich nicht so anstellen und ein bisschen mehr arbeiten, damit sie nicht arm sind', denke ich mir: Nein, ihr wisst nicht, wovon ihr redet“, ärgerte sich Pilawa. Er gestand: „Vielleicht hab ich früher auch unterbewusst so gedacht. Jetzt denke ich anders darüber.“

Jörg Pilawa lebte eine Woche lang vom Budget eines alleinstehenden Bürgergeld-Empfängers.

Jörg Pilawa lebte eine Woche lang vom Budget eines alleinstehenden Bürgergeld-Empfängers. 

Immer wieder betonte der Moderator im Laufe des Films, welch bleibenden Eindruck das Experiment bei ihm hinterlassen habe. „Ein beklemmendes Gefühl“, gestand er, nachdem er zum ersten Mal selbst als Kunde die 'Tafel' besucht hatte. „Man schämt sich so ein bisschen dafür, obwohl man gar nichts dafür kann.“ Es sei „komisch“ gewesen, Lebensmittel zugeteilt zu bekommen: „Ich habe gespürt: So hilfreich die 'Tafel' ist – es bleiben Almosen, die hier vergeben werden.“

Auch für seine eigenen Vorurteile genierte sich Pilawa. „Ich fahre mit Scham nach Hause“, stellte er nach einer Woche in Berlin-Hellersdorf fest. „Ich schäme mich dafür, dass man solche Klischeebilder im Kopf hat. Tatsächlich denke ich seit dieser Woche anders über die Armut in Deutschland.“

Trotz Bürgergeld: Angelina muss „auf gar nichts“ verzichten

Zurück im Studio lernte der Sat.1-Mann abermals eine neue Facette der Armut kennen. Dort zu Gast war unter anderem die vierfache Mutter Angelina. Obwohl sie und ihr Mann Bürgergeld beziehen, könne Angelina monatlich 1.000 Euro pro Monat sparen. „Wir hätten die Erhöhung zum Jahreswechsel nicht benötigt“, erklärte sie.

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Insgesamt ständen ihrer Familie 2.815 Euro im Monat zur Verfügung. Verzichten müsse die sechsköpfige Familie „auf gar nichts“ – weil Angelina sämtliche Ausgaben streng im Blick habe und Einkäufe nur nach einem strikten Sparplan erledige. Als arm betrachte sie sich nicht, stellte Angelina klar.

Auch die Lebensrealität von Nico dürfte nur wenig mit der vieler anderer Sozialhilfe-Empfängerinnen und -Empfänger gemein haben. Seinen Job in der Gastronomie habe er gekündigt und beziehe nun Bürgergeld, berichtete der 32-Jährige in der Sendung.

„Das war ein stressiger Job, man hat einen verhältnismäßig geringen Lohn“, erklärte Nico. Vorher habe er knapp 1.600 Euro netto verdient. Nun habe er zwar weniger Geld zur Verfügung, könne sich aber auch in Ruhe nach einer neuen Stelle umsehen. „Arbeiten lohnt sich in Deutschland immer“, räumte er ein. Dennoch wisse er es zu schätzen, dass er „in der Übergangsphase unterstützt werde“. (tsch)