Wie im „Tatort“Liebesbriefe in den Knast – wenn Frauen auf Killer stehen

Hängen verzweifelt aneinander: Teresa (Sabine Timoteo) und Kai (Lars Eidinger) im neuen „Tatort“Borowski und der gute Mensch.

„Tatort“-Thema: Serientäter Kai Korthals (Lars Eidinger) bekam viele Liebesbriefe in den Knast. Nach seiner Flucht vermutet „Tatort“-Kommissar Borowski, dass er bei einer der Frauen (im Foto Sabine Timoteo) untergekommen ist. 

„Tatort“-Thema am Sonntag (3.10.): Serientäter Kai Korthals (Lars Eidinger) bekam viele Liebesbriefe in den Knast. Nach seiner Flucht vermutet „Tatort“-Kommissar Borowski, dass er bei einer der Frauen  untergekommen ist.

von Andrea Kahlmeier (ak)

Köln. „Lieber Kai, deine wunderschönen Augen, die immer nur Wände sehen, Gitter und Zäune. Wann kann ich dich besuchen. Können wir auch mal alleine sein? Ich bin für alles offen.“ Oder: „Ich denke, dass jeder Mensch das Gute in sich trägt, wie das Licht im Dunklen. Ich glaube an das Gute in Dir, Kai.“

Mit diesen Liebesbriefen beginnt am Sonntag (3.10.) der dritte Teil der Kieler „Tatort“-Trilogie rund um Serienmörder Kai Korthals (gespielt von Lars Eidinger). Auffällig: Frauen, die sich in Mörder und Gewalttäter verlieben – das war „zufällig“, so der NDR, das Thema vergangenen Sonntag im Kölner „Tatort“. Und ja: Das gibt’s wirklich, öfter als man glaubt...

Massenmörder Charles Manson, Attentäter Anders Breivik, Serienmörder Jack Unterweger, Inzestmonster Josef Fritzl bekamen Hunderte von Liebesbriefen und Heiratsanträgen in den Knast. Gerade aufgeflogen: Der rechtsextreme Attentäter Stephan B., der 2019 in Halle zwei Menschen ermordete und eine Synagoge stürmen wollte, unterhielt monatelang eine Brieffreundschaft mit einer jungen Polizeikommissarin aus Bitterfeld. Was motiviert Frauen, ihr Herz an Bestien zu verschenken?

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Wie im „Tatort“: Wenn Frauen sich von Straftätern angezogen fühlen

Für das Phänomen gibt es einen Fachbegriff: Hybristopholie, bislang relativ unerforscht. Psychologen vermuten, dass viele dieser Frauen unter einem Helfer-Syndrom leiden und Gewalttäter „retten“ wollen. Dass es häufig unsichere Frauen sind, die sich einen Partner suchen, den sie kontrollieren können, weil er hinter Gittern sitzt. Andere wiederum errege es, dass sie bei einer tatsächlichen Begegnungen vielleicht sogar selbst in Lebensgefahr geraten könnten, erfuhr die Forensikerin Katherine Ramsland, die viele dieser Frauen nach ihren Beweggründen befragte.

Stephan B. beim Prozess in Magdeburg.

Stephan B., der Synagogenattentäter aus Halle, unterhielt sogar eine Brieffreundschaft mit einer Polizistin.

Die meisten seien in den Dreißigern oder Vierzigern. Häufiges Motiv: „Die Frau weiß immer, wo er steckt. Sie kann sich sicher sein, dass er an sie denkt – und sie kann von Liebe sprechen, ohne den Alltag mit ihm leben zu müssen.“ Da hybristophile Frauen sich oft Berufe suchen, in denen sie Umgang mit Inhaftierten haben, wird bei der Anstellung von Justizvollzugsbeamtinnen oder Sozialarbeiterinnen im Gefängnis auf diesen Umstand geachtet.

Oft bleibt es nicht bei Liebesbekundungen. Gefängniswärterin Angela M. verhalf ihrem Lover, einem Vergewaltiger, 2016 zur Flucht. Anstaltspsychologin Kerstin S. steckte ihrem jungen Knastfreund den Gefängnisschlüssel zu.

Jens Söring bekam Liebesbriefe ins Gefängnis - wie im aktuellen „Tatort“

Auch er bekam romantische Post ins Gefängnis, unterhielt für anderthalb Jahre sogar eine Beziehung: Jens Söring (55). Sein Prozess 1990 war der erste, der im US-Fernsehen live übertragen wurde. „The German Monster“  soll – angestiftet von seiner Freundin – deren Eltern ermordet haben. Der Bonner Diplomatensohn gestand, widerrief später. Zu spät: 33 Jahre saß er im US-Knast, Ende 2019 kam er auf Bewährung raus. „Ich habe Tausende Briefe erhalten, vor allem von Menschen mit religiösem, sozialem oder politischem Hintergrund“, erzählt er uns.

Jens Söring hält sein Buch in der Hand und lächelt in die Kamera.

Jens Söring beschreibt die „Rückkehr ins Leben“ (20 Euro) und stürmt sofort die Bestsellerliste.

„Aber nur wenige Liebesbriefe. Ich glaube, solche Frauen stehen eher auf schwere Jungs.“ Zu einer Frau habe er Kontakt aufgenommen. „Sie hat mir das Gefühl der Einsamkeit genommen. Als sie mich nach 17 Jahren in Haft im Gefängnis besuchte und zum Abschied küsste, habe ich mich nicht mehr nur als Häftling 17212, sondern als Mensch gefühlt.“

Doch als sein Antrag auf Abschiebung wieder abgelehnt wurde, war klar, dass eine gemeinsame Zukunft – wenn überhaupt – in weiter Ferne liegen würde. Sie trennte sich, was er verstand. Er litt und beschloss: „Das will ich mir und auch keiner anderen Frau mehr antun.“  

Jens Söring aus Bonn: Online-Dating ist ihm suspekt

Auch jetzt, in Freiheit, tue er sich mit Frauen schwer. „Ich habe im romantischen Bereich Ängste, es überhaupt zu versuchen. Frauen sind für mich nach dreieinhalb Jahrzehnten in Männergefängnissen unbekannte Wesen, psychologisch und auch körperlich.“ Online-Dating ist ihm suspekt, er sei froh, dass er mittlerweile ein Smartphone bedienen und sich mit ehemaligen Unterstützern verabreden könne.

Der Traum von einer eigenen Familie „hat mich noch nicht losgelassen“, sagt er. Als Autor habe er es geschafft, ohne Hartz IV auszukommen. „Aber um eine Familie zu ernähren, muss ich erst in meinem zweiten Projekt richtig Fuß gefasst haben.“ Das wäre? „Resilienz-Coach – wenn einer gelernt hat, Krisenzeiten zu überleben – dann ja wohl ich.“