„Tatort“Illegal in Deutschland: ARD-Krimi dreht sich um Menschen, die keine Stimme haben

„Tatort“-Ermittler Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) möchte Jon (Alois Moyo) helfen, der seinen Sohn vermisst.

„Tatort“-Ermittler Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) möchte Jon (Alois Moyo) helfen, der seinen Sohn vermisst. 

Ein neuer Fall führt die „Tatort“-Ermittler Thorsten Falke und Julia Grosz in eine Welt, die den meisten fremd ist: Es geht um Menschen, die sich illegal in Deutschland aufhalten – und daher kaum Rechte besitzen.

„Verborgen“ lautet der schlichte Titel des neuen NDR-„Tatorts“: Ein unbekannter Toter wird im Palettenkasten eines Lkw gefunden. Spuren führen die herbeigerufenen LKA-Beamten Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Julia Grosz (Franziska Weisz) nach Hannover. Der Tote war ein junger Schwarzer.

In Hannover meldet sich Jon (Alois Moyo), der seinen Sohn vermisst und der sich in der Szene der Illegalen auskennt. Schon viele Jahre lebt der mit einem Touristenvisum aus Afrika eingereiste Mann mit seiner Frau Hope (Sheri Hagen) und dem mittlerweile 17 Jahre alten Sohn Noah ohne Papiere in Deutschland.

„Tatort“: Neuer Fall dreht sich um schwieriges gesellschaftliches Thema

Wenn ein solches Visum abgelaufen ist, wird man automatisch zum Illegalen. Doch vielen Menschen geht es wie Jon, Hope oder Sam (Ben Andrews Rumler), einem Freund Noahs, den Falke ebenfalls kennenlernt. Diese Menschen arbeiten und wohnen irgendwo ohne Verträge und Lohnsteuerkarte, sie hangeln sich so durch. Sie leben ohne Papiere, Krankenversicherung und all die anderen Rechte sowie Pflichten, die man als Normalbürger so hat.

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Jon will Falke und Grosz helfen, den Fall des jungen Toten, dessen Identität schwer feststellbar ist, aufzuklären. Im Gegenzug hofft er, dass ihm die Ermittler bei der Suche nach seinem verschwundenen Sohn helfen.

Über den Doppelfall steigen Falke und Grosz in die Schattenwelt Hannovers „herab“. Dort arbeiten Menschen ohne Papiere auf Baustellen, in Küchen, als Putzkräfte und in anderen Jobs, bei denen wenig Fragen gestellt werden.

Während Hope den Polizisten sehr kritisch gegenübersteht, öffnet sich Jon Falke gegenüber und führt ihn in seine Welt ein. Die beiden Männer verstehen sich gut. Hope hingegen ist mit der Ärztin Simone Kemper (Rebecca Rudolph) befreundet, bei der sie auch putzt. Die Medizinerin behandelt in ihrer Praxis auch Menschen ohne Versichertenkarte. Können Falke und Grosz die Fälle der beiden jungen Männer aufklären?

„Tatort“ im NDR: Ein Lehrstück über deutsche Gegenwartskultur

Der zehnjährige Jubiläumsfall Thorsten Falkes – sein erster „Tatort: Feuerteufel“ lief am 28. April 2013 – ist weniger ein spannender Krimi als der Blick in eine Szene, die man gerne „übersieht“. Wotan Wilke Möhring sagt dazu: „Es gibt diese Menschen, und es sind viele! Der Bauarbeiter, die Küchenhilfe, der Taxifahrer, der Pfleger, die Putzfrau – wir sind umgeben von Papierlosen, die illegal beschäftigt sind, in Unternehmen, die weder einen ordentlichen Lohn bezahlen noch Sozialabgaben entrichten. Sie sind die Profiteure dieser inhumanen Situation!“

Verantwortlich für diesen Blick hinter die Kulissen, der von POC-Schauspielerinnen und Schauspielern in vielen kleinen und größeren Rollen getragen wird, ist ein rein weibliches Kreativ-Trio: Das Drehbuch schrieben Julia Drache („Love Addicts“) und die junge afrodeutsche Autorin Sophia Ayissi. Regie führte Neelesha Barthel („Marry Me – Aber bitte auf Indisch“), deren Mutter Inderin ist. Ohne erhobenen Zeigefinder und angenehm frei von Pathos erzählt der „Tatort“ vom Alltag und der Lebenswirklichkeit der Illegalen, in die Falke und Grosz – quasi an Stelle der Zuschauer – als unwissende Beobachter eingeführt werden.

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Einige der besten Szenen des Films sind jene, in denen man illegal Arbeitenden einfach dabei zuschaut, wie sie zu nachtschlafender Zeit schicke Büros wieder frisch machen, in Markthallen Waren auspacken, die Verpackungen entsorgen oder auf zahlreichen Baustellen werkeln.

Arbeit als Fluch, Arbeit als Segen – denn von irgendwas muss man ja leben. Interessant ist, wie viele Menschen auf diese Art und Weise Jahrzehnte in Deutschland verbringen, ohne dass sie uns auffallen. Auch wenn der Film als Krimi von überschaubarem Spannungswert ist: Das unaufgeregt kontemplative, manchmal bittere, aber auch liebevolle Hereinschauen in eine fremde Welt, die mitten im „legalen“ Deutschland parallel existiert, ist durchaus beachtlich. Insofern ist der „Tatort: Verborgen“ ein angenehm undidaktisches Lehrstück über deutsche Gegenwartskultur.

Zehn Jahre Wotan Wilke Möhring als Kommissar Falke im „Tatort“

Zehn Jahre ist Wotan Wilke Möhring nun im Dienst. Zu Jubiläen wirft man gerne einen Blick zurück und in diesem Fall darauf, was sein Ermittler Falke seitdem geleistet hat. Begonnen hatte der damals schon sehr populäre Schauspieler Wotan Wilke Möhring mit Petra Schmidt-Schaller an seiner Seite. Die stieg 2015 auf eigenen Wunsch nach dem bisher vielleicht besten Falke-Film „Verbrannt“ (nach der wahren Geschichte des in einer Polizeizelle ums Leben gekommenen Oury Jalloh) aus.

Sechs Krimis mit Schmidt-Schaller folgten bislang zwölf Einsätze mit Franziska Weisz. Mit beiden Partnerinnen hatte der Hamburger Ex-Punk Falke aka Wotan Wilke Möhring Glück, denn sie gehören zu den besten deutschsprachigen Schauspielerinnen ihrer Generation.

Die Drehbücher der sich in Hamburg und quer über Niedersachsen verteilenden LKA-Fälle waren hingegen von unterschiedlicher Qualität. Schlimme Flops gab es wenige, aber auch nur wenige Filme, die auf ewig im „Tatort“-Gedächtnis haften bleiben. Solides gehobenes Mittelfeld, könnte man sagen, ist es, was der NDR hier abliefert. Mit einzelnen Ausreißern nach oben.

Übrigens: Gestartet war Falke in Hamburg mit der Superstar-Konkurrenz eines Til Schweiger, der Wotan Wilke Möhring schnell so ein bisschen aufs Land verdrängte. Vom Schweiger-„Tatort“ spricht mittlerweile kaum noch jemand, während Möhring und Weisz beständig liefern. Manchmal ist gehobenes Mittelfeld vielleicht gar nicht so schlecht. (tsch)