Michelle Hunziker über ihre Sekten-Vergangenheit„Sie haben mich mit dem Tod erpresst“

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Michelle Hunziker ist heute eine international erfolgreiche Moderatorin.

  • Uns verriet die Moderatorin, wie sie die Alkoholsucht ihres Vaters in die Arme der Sektetrieb.
  • Sie berichtet, wie hart ihre Mutter arbeiten musste, um die Schulden ihres Vaters zu begleichen.
  • Hunziker schildert, wie ihr die Sekte mit dem Tod gedroht hat.

Mailand – Mit dieser Beichte schockierte sie Millionen Fans: Michelle Hunziker und ihre Sekten-Vergangenheit bei den „Kriegern des Lichts“ hatte ungeahnte Ausmaße – bis hin zum Sex-Verbot (hier mehr dazu nachlesen). In unserem großen Interview spricht die Moderatorin jetzt über ihre Beweggründe, das Thema öffentlich zu machen, ihre Familie und ihren heutigen Glauben.

Was möchtest Du mit dem Buch erreichen?

Ich möchte andere Betroffene warnen. Ich möchte nicht, dass andere das erleiden, was ich erlitten habe. Ich hoffe, dass das Buch anderen Leuten die Möglichkeit gibt, nicht den gleichen Fehler zu begehen. Außerdem war das Schreiben auch therapeutisch für mich. Wenn man das einmal so rauslässt, wirkt das heilend.  

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Warst Du damals zu leichtgläubig?

Ja! Ich war 21 Jahre alt und noch naiv. Ich war außerdem katholisch aufgewachsen und hatte ein schönes Verhältnis zu Gott. Ich habe ihn immer mit Liebe verbunden.

Als mein Vater dann alkoholkrank wurde und ich in eine persönliche Krise geriet, wurde ich böse auf ihn und auf Gott. Ich hatte viele Fragen, gerade in Bezug auf Gott. Ich hatte als Kind auch oft das Gefühl, ich würde nicht geliebt. Damit war ich ein perfektes Opfer. 

Wie hast Du dich dadurch verändert?

Es ist jetzt mit 40 nicht mehr so einfach, mich reinzulegen… Ich habe jetzt mehr Lebenserfahrung. Heute ruft mich immer mein Mann an, bevor er Menschen anstellt – weil er von meiner Menschenkenntnis profitieren möchte. Er sagt, ich merke immer sofort, ob jemand gut oder schlecht ist.

Das Vertrauen und die  positive Einstellung zum Leben habe ich sowieso nie verloren. Das ist aber meine Lebenseinstellung: auch in schwierigen Momenten bleibe ich positiv. Dennoch: Was ich damals mitgemacht habe, hätte mich zerstören können – so wie es viele zerstört. Das macht dich psychologisch, physisch und  finanziell kaputt.

Viele erholen sich nie davon. Dementsprechend lange hat  es auch bei mir gedauert, das zu verarbeiten. Heute ist es so einfach, sich zu verlieren. Meine Botschaft ist: Leute, die euch wirklich lieb haben, verlangen kein Geld. Ein echter Lifecoach ist ein Kind, ein Ehepartner, ein Freund oder ein Priester. Aber niemand, der Geld verlangt. Jemandem zu helfen  sollte doch eine Mission sein und nicht an Geld gebunden sein.

Wann hast Du begriffen, dass man Dir etwas Böses will?

Das hat sehr lange gedauert. Der Modus Operandi der  Sekte war ähnlich wie bei allen Sekten. Die ticken alle gleich. Der erste Schritt ist, den Menschen das Gefühl zu geben, sie seien die Wichtigsten auf der Welt.

Sie überschütten dich mit Aufmerksamkeit und Liebe. Wenn du dann unter Kontrolle bist, trennen sie dich von deiner Familie und von deinen Liebsten. Damit die dir nicht die Möglichkeit geben, aufzuwachen. Der dritte Schritt ist schließlich die Isolation und die Strafen.

An diesem Punkt habe ich erst gemerkt, was mir da angetan wird. Nach drei Jahren! Da habe ich gesagt: Das will ich jetzt definitiv nicht mehr. Da haben sie mich mit dem Tod erpresst, sie haben mir gesagt: Du wirst sterben. Ich habe aber gesagt: Lieber tot und frei als in dieser Situation. 

Wurdest Du damals wirklich nicht geliebt – oder hast Du dir das eingebildet?

Letzteres. Ich möchte  niemandem eine Schuld zusprechen. Ich möchte nur zeigen, wie man unter so einer Situation leiden kann. Meine Eltern haben ja mitgelitten. Ich dachte damals, mein Vater liebt den Alkohol mehr als mich.

Das ist natürlich nicht wahr. Er war krank. Und meine Mutter hatte keine Zeit für mich, weil sie arbeiten musste, um die Schulden meines Vaters zu bezahlen. Das weiß ich heute. Damals fühlte es sich nur anders an. 

Wie stehst Du selbst zum Thema Alkohol?

Bis ich 15 war, musste ich schon weinen, wenn ich nur ein Glas Wein in den Händen meiner Eltern gesehen habe. Das war ein echtes Trauma. Inzwischen trinke ich schon mal selbst ein Gläschen Rotwein zu einer guten Pasta.

Aber mehr immer noch nicht. Mich wirst Du nie betrunken sehen. Ich finde das schrecklich, die Kontrolle zu verlieren. Es gibt Freunde, die seit Jahren versuchen mich einmal betrunken zu sehen. Das wird aber nie passieren. Das hat auch mit meiner Kindheit zu tun.

Hast Du heute noch manchmal das Gefühl, nicht geliebt zu werden?

Nein. Ich habe meine innere Mitte gefunden. Die größte Stärke ist, selbst zu lieben und nicht geliebt werden zu wollen. Heute kümmere ich mich – und das macht mich glücklich. Ich fühle mich am richtigen Platz. Für mich ist wirklich die Familie das Allerwichtigste.

Könnten deine Kinder auch auf eine Sekte reinfallen?

Nein, da bin ich mir ganz sicher. Ich habe eine gute Kommunikation mit meinen Kindern, damit gebe ich ihnen meine Stärke mit. Meine älteste Tochter hat das Buch aber noch nicht gelesen. 

Auri hat gesagt, sie brauche ihre Zeit dafür. Es ist für sie schwierig, so etwas über ihre Mutter zu lesen, denn sie hat damals von der Sekte nichts mitbekommen, weil ich sie da total rausgehalten habe. Deshalb gebe ich ihr dafür auch Zeit. Ich bin mir sicher, dass sie es irgendwann lesen wird.

Wie gläubig bist Du heute?

Ich war immer eine gläubige Person und bin es heute noch. Trotz dieser Erfahrung habe ich Gott nicht aufgegeben. Aber mein Glaube hat sich geändert.

Dogmen habe ich abgestreift. Ich brauche keinen Meister mehr, der mir zeigt wo es lang geht. Ich gehe aber weiter gerne  in die Kirche. Am liebsten, wenn sie leer ist und ich dort ganz für mich beten kann. Dann finde ich dort meinen Frieden.

Viele treten aus, weil die Kirche keine Antworten auf moderne Fragen zu geben scheint.

Ich glaube, das stimmt zum Teil. Wer heutzutage die Bibel liest, muss ein Theologe sein, um sie zu verstehen. Wenn Dir die jemand übersetzt, hilft sie dir aber. Leider geben im Religionsunterricht und im Gottesdienst nur wenige verständliche Antworten auf die Fragen, die Kinder und Heranwachsende haben. Man muss Verständnis schaffen, keine Strafen aussprechen. Deshalb treten auch so viele aus.

Wann sehen wir dich mal wieder im deutschen TV?

Ich spreche jetzt natürlich viel über das Buch, bin damit  in verschiedenen Talkshows. Ansonsten spreche ich mit Produzenten über neue Formate, auch in Deutschland. Ich kann natürlich keine tägliche Produktion in Deutschland stemmen. Mein Leben findet in Italien statt. Aber es gibt bereits Pläne, über die ich aber noch nicht reden kann.