„Kitchen Impossible“Geständnis: Warum sich Tim Mälzer „wie ein Versager“ fühlte

Fernsehkoch Tim Mälzer sitzt in der Küche seines Restaurants „Die Gute Botschaft“.

Fernsehkoch Tim Mälzer, hier in der Küche seines Restaurants „Die Gute Botschaft“ Anfang Januar 2021, fühlte sich in der Corona-Krise wie ein Versager.

In der VOX-Sendung „Kitchen Impossible 2020 – Die Tagebücher der Küchenchefs“ gaben Star-Koch Tim Mälzer und andere Gastronomen aus ganz Deutschland ehrliche und emotionale Einblicke in ihre Erfahrungen und Gedanken zur Corona-Krise.

In den Gourmettempeln und den Seelen ihrer Betreiber hat die Corona-Pandemie Spuren gelassen. Die dreistündige VOX-Sendung „Kitchen Impossible 2020 – Die Tagebücher der Küchenchefs“ (11. September 2021) dokumentierte die Durststrecke und Existenzängste einer ganzen Branche – aber auch ihre neue Kreativität. Tim Mälzer und Co. geben tiefe Einblicke.

„Wir werden nie mehr unbeschwert vor uns hinkochen“, sagt Starkoch Tim Mälzer bei „Kitchen Impossible 2020 – Die Tagebücher der Küchenchefs“ (VOX) - und seine prominenten Kollegen Haya Molcho, Viktoria Fuchs, Max Strohe, Max Stiegl und Alexander Wulf nicken vielsagend.

Drei Stunden erzählen sie in einem laut Mälzer weltweit einzigartigem Projekt über ihre Hoffnungen und Enttäuschungen während der Lockdowns 2020 und 2021, die weit über das Berufliche hinaus gehen. „Wir wussten ja alle nicht, wie lange es gehen würde“, fasst Mälzer die Grundsorge aller zusammen. „Das Schlimmste am dreiwöchigen Lockdown sind die ersten fünf Monate.“

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Um sich mit der Herausforderung nicht allein zu fühlen, aktivierte Medienprofi Mälzer bereits zu Pandemiebeginn eine Handvoll seiner Kollegen, die Krisenphase privat zu dokumentieren: Wie sehr geht es ihnen professionell an den Kragen? Was macht es mit ihnen und ihrem Umfeld?

„Kitchen Impossible”: TV-Koch Tim Mälzer fühlte sich wie ein Versager

Mit den durch zwei Lockdowns veränderten Bedingungen in der Gastronomie hadern die Chefköche mal mehr, mal weniger: Haya Molcho vom Wiener „Neni“ sieht sogar etwas Positives in der Pandemie: „Wir haben verlernt zu verzichten“ und nun sei „das Normale ist besonders geworden“.

Alexander Wulf vom Restaurant „Troyka“ im nordrhein-westfälischen Landkreis Heinsberg - dem „deutschen Wuhan“ (Max Strohe) - erinnert sich indes nur ungern an das widerwillig etablierte Take Away: „Meine ganze Persönlichkeit steckt in einem Gericht, und dann wird es vakuumiert und in Pappe gepackt.“

Zwei lange Schließungen innerhalb weniger Monate, keine greifbare Perspektive durch die Politik und erst spät die überlebenswichtigen Hilfen: „Nicht nur als Unternehmer hat mich das angekotzt“, so Wulf. Gastgeber Mälzer fühlte sich insbesondere vor seinen perspektivlosen Mitarbeitern „wie ein Versager“: „Wir sind da völlig schuldlos hineingerutscht und sahen jahrzehntelange Arbeit den Bach hinuntergehen.“

Die Verantwortung lastete schwer auf ihm: „Ich stand vor einer Mitarbeiter-Triage“ und immer wieder drängte sich die Frage auf: „Wie weit kann man mit seinen eigenen Mitteln gehen?“

Gastronom über Zeit nach Lockdown: Wiedereröffnungen fühlten sich „fast an wie Sex“

Sterneköche in gestärkten Kochjacken, aber nicht vor feinem Porzellan, sondern vor Batterien von Pappboxen: Nicht nur diese Bilder aus der privaten, an „Intimität nicht zu übertreffenden“ (Mälzer) Krisendokumentation der „Kitchen Impossible“-Gastronomen stimmen melancholisch. „Leicht depressive Züge“ haben diese Zeit charakterisiert, so Mälzer, und Max Strohe vom „Tulus Lotrek“ in Berlin ergänzt: „Es war immer nur irgendein Tag in der endlosen Weite des Lockdowns.“

Zwischen der eigenen Angst und der Verantwortung für die großen Teams, runtergebremst von ihren üblichen bis zu 16-Stunden-Tagen und abgeschnitten von ihrer „Lebensader“ (Max Stiegl), dem Austausch mit den Gästen: Da fühlten sich die Wiedereröffnungen „fast an wie Sex“, so Alexander Wulf. Dazwischen waren die Köche quasi zur Kreativität gezwungen, die Ungewöhnliches hervorbrachte: neue Vernetzungen mit lokalen Lieferanten, Versandhandel, Take Away und Geistesblitze wie Gourmet-Tierfutter (Stiegl), Strohes Klinik-Service „Kochen für Helden“ und, quasi als Höhepunkt, die Mälzer'sche „Bäm Box“ zum Valentinstag, inklusive Wein, edlen Snacks und ausgewählten Sex Toys.

„Kitchen Impossible 2020 – Die Tagebücher der Küchenchefs“: Es geht um Solidarität

Und so zeigt sich über drei Stunden Sendezeit, in denen die Anwesenden, ausgestattet mit (vermutlich) bestem Wein, Käse, Obst und Crackern, wahlweise klagen, beschwören, lachen und sinnieren, vor allem eines: Solidarität.

„Die Krise zeigt, dass es sich bei uns nicht nur um Statistiken und Nummern handelt, sondern um Menschen“, sagte Tim Mälzer bereits im Frühjahr bei „Markus Lanz“, und zwar unter Tränen. Denn beim zweiten Lockdown habe sich alles nochmal verschärft, trotz bereits erfolgter Hygiene- und anderer Anstrengungen: „Da gingen bei mir endgültig alle Mittelfinger hoch“, erinnert sich Max Strohe.

Und wenn sich selbst so toughe Medienmenschen wie der Hamburger Mälzer am Ende ihrer Kräfte zeigen, schwindet die angesichts der vergleichsweise komfortablen Staatshilfen für die Gastronomie leichte Zuschauerskepsis: Ja, wir sind immer noch alle von einer „dunklen Wolke getroffen“ (Mälzer), aber im „Verzicht auf das menschliche Miteinander“ (Haya Molcho) spielten die Restaurants doch eine besonders systemrelevante Rolle.

Köche bei „Kitchen Impossible”: „Wir finden keine Mitarbeiter mehr“

„Ausgelassen und frei gelassen“ fühle man sich nach der Beschränkung dieser ganz besonderen Lebensfreude, stellt Max Stiegl fest. Allerdings stehe man vor ganz neuen Herausforderungen: „Wir finden keine Mitarbeiter mehr.“ Das Vertrauen in die Gastronomie sei noch nicht ganz wieder hergestellt, bestätigt Tim Mälzer: „Unsere Grundordnung ist eben über den Haufen geworfen.“ Aber immerhin: „Wir dürfen wieder!“

Also Hinfallen, Kochmütze richten, weiter? „Ja eh“, sagt der Österreicher Max Stiegl. Er hat gut reden: Mitten in der Krise, zwischen Renovierung und dem Verkauf von Eingeweckten ernannte ihn der Gault Millau zum „Koch des Jahres“. (tsch)