Stalins langer SchattenWie Putin die neue Begeisterung für den Diktator nutzt

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Großbritanniens Premier Winston Churchill, US-Präsident Harry S. Truman und der sowjetische Diktator Josef Stalin 1945 in Potsdam.

von Maternus Hilger (hil)

Moskau – Das Foto der „großen Drei“ ging um die Welt. Großbritanniens Premier Winston Churchill, US-Präsident Harry S. Truman und der sowjetische Diktator Josef Stalin hatten in harten Verhandlungen vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 im Schloss Cecilienhof bei Potsdam die europäische Nachkriegsordnung nach dem Sieg über Hitler-Deutschland festgezurrt.

So wie einst Stalin in Siegerpose sieht sich heute auch Russlands Präsident Wladimir Putin (67) – als Erneuerer und Bewahrer Russlands, einer Supermacht, an der keiner mehr vorbeikommt.

Stalin genießt noch immer hohes Ansehen in Russland

In Russland ist der blutrünstige Stalin (1878-1953) omnipräsent. Der Sowjetdiktator genießt auch 67 Jahre nach seinem Tod immer noch große Sympathiewerte. 70 Prozent der Bevölkerung sind der Ansicht, dass Stalin eine positive Rolle für ihr Land gespielt habe, so eine Umfrage des unabhängigen Lewada-Zentrums in Moskau aus dem letzten Jahr. T-Shirts, Pullis, Mützen und Poster mit Stalin-Konterfei sind gefragt.

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Der Georgier symbolisiert für die meisten Russen nicht nur den Sieg über die Nazis, sondern auch den Aufstieg der UdSSR zur Weltmacht. Die war eine Zeit lang im Niedergang, bis Putin kam, der neue Supermann, der Russland wieder großgemacht hat wie einst Stalin. Und das soll so bleiben – natürlich noch sehr lange. Gerade hat der 67-Jährige die Verfassung ändern lassen, um möglicherweise bis 2036 an der Macht bleiben zu können.

Putin: Macht um jeden Preis

Anfangs noch moderat, hat sich der frühere KGB-Offizier Putin schnell vom „lupenreinen Demokraten“, wie der frühere SPD-Kanzler Gerhard Schröder (76) seinen Freund mal nannte, innerhalb von fast 20 Jahren an der Macht in einen eiskalten Despoten verwandelt.

Mit einer gigantischen Aufrüstung und völkerrechtswidrigen Coups – wie der Besetzung der Krim, der Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine sowie seinem Eingreifen in Syrien und Libyen und seinen Bestrebungen, den Westen mit Propaganda und Unterstützung rechter Gruppen zu schwächen. Internationale Proteste? Ignoriert er.

Auch Stalin kannte keine Skrupel, wenn es darum ging, seine geopolitischen Interessen durchzusetzen.

Wladimir Putin: Unterdrückung der Opposition

Und auch innenpolitisch kennt Putin kein Pardon. Oppositionelle, die sich mutig zur Wehr setzen, verschwinden schnell und oft für sehr lange Zeit im Gefängnis oder müssen sogar um ihr Leben fürchten. Gerade erst wurde der russische Historiker Juri Dmitrijew nach seinem Einsatz für Aufklärung von Verbrechen unter Stalin zu dreieinhalb Jahren Straflager verurteilt.

Offiziell erging der Schuldspruch in Petrosawodsk, weil der 64-Jährige seine Adoptivtochter sexuell missbraucht haben soll. Eine Erfindung, um ihn mundtot zu machen, sagt die Menschenrechtsorganisation Memorial, für die Dmitrijew arbeitete. Beweise für eine Schuld Dmitrijews gibt es auch laut Gutachten nicht.

„Dmitrijews Anklage ist im Kontext mit den Anstrengungen der russischen Behörden zu sehen, die Verbrechen Stalins kleinzureden“, teilte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch mit.

Russland kennt viele solcher Fälle – und es werden immer mehr. Vieles erinnert an die Diktatur Stalins – mit einem Unterschied: Während sich das heutige Russland formal noch einen Rest von Rechtsstaatlichkeit leistet, galt zu Stalins Zeiten völlige Rechtlosigkeit, der Millionen Menschen zum Opfer fielen.

Garant von Russlands Glanz und Glorie

Der Sieg über Nazi-Deutschland ist für Putin der patriotische Kitt, der die große Mehrheit der Russen verbindet – inklusive der Heroisierung Stalins. All das nutzt er, um sich selbst in dieser Tradition als Garant von Russlands Glanz und Glorie zu präsentieren. Die Politik seiner Vorgänger Gorbatschow oder Jelzin, die Verbrechen Stalins zu verurteilen, hat er aufgegeben.

„Für uns Bürger Russlands ist die Erinnerung an den Großen Vaterländischen Krieg, an alle, die gekämpft haben und die gestorben sind, die für den Sieg gekämpft haben, absolut heilig“, sagte er jüngst anlässlich des 75. Jahrestages des Sieges über Hitler. Mit 27 Mio Toten hatte die Sowjetunion die meisten Opfer im Zweiten Weltkrieg zu beklagen. Korrekt. Aber Geschichtsklitterung und der unheilige Hype um Stalin trüben das Gedenken, vor allem, wenn unter den Teppich gekehrt wird, dass der Diktator ein Massenmörder war – wie Hitler.