Die USA denken über eine Lieferung von Tomahawk-Raketen an die Ukraine nach. Allein der Gedanke daran versetzt Moskau in helle Aufregung und sorgt für schrille Drohungen.
Tomahawk-Panik in MoskauDüsterer Ratschlag kursiert

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Eine Aufnahme des britischen Verteidigungsministeriums zeigt einen Tomahawk-Marschflugkörper beim Start. Großbritannien besitzt als einzige Nationen neben den USA einige Tomahawks.
Panik in Moskau! Russische Zeitungen warnen vor einem „Schritt in Richtung Dritter Weltkrieg“, Propagandisten und Propagandistinnen zweifeln am Verstand von US-Präsident Donald Trump und in den sozialen Medien kursiert ein düsterer Ratschlag: Jeder sollte wissen, wo der nächste Luftschutzbunker ist.
Der Grund für den ganzen Wirbel? Die US-Regierung spielt mit dem Gedanken, Tomahawk-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern – und trifft damit offenbar einen Nerv im Kreml.
Offiziell gibt sich Kremlsprecher Dmitri Peskow am Donnerstag (2. Oktober) noch zurückhaltend und kündigt nur eine „angemessene“ Reaktion an. Doch hinter den Kulissen kocht es. Der Duma-Abgeordnete Alexei Schurawlew warnt vor einer „neuen Phase des Krieges“. Sollten die USA die Raketen liefern, würden sie zur Kriegspartei, poltert er.
Die Drohungen werden immer wilder: Russland sei dann gezwungen, seine Oreschnik-Raketen näher an die USA zu verlegen, vielleicht sogar nach Venezuela, lässt der Vize-Chef des Verteidigungsausschusses verlauten. Ein anderer Politiker warnt Washington vor „gefährlichen Provokationen“ und einer „direkten Kriegsbeteiligung“.

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Eine Aufnahme der US Navy zeigt einen Tomahawk-Marschflugkörper vor einem amerikanischen F-14-Kampfjet.
Gleichzeitig versucht der Kreml, die Sache herunterzuspielen. Drohen und beschwichtigen – eine Doppelstrategie. „Es wird die Situation auf dem Schlachtfeld nicht ändern, ob sie übergeben werden oder nicht“, behauptet Russlands UN-Botschafter Wassili Nebensja. „Ich bin zuversichtlich, dass wir notfalls eine Lösung finden werden“, schiebt er nach.
Alles nur leere Drohungen? US-Analysten und -Analystinnen vom Institut für Kriegsstudien sehen darin ein bekanntes Muster. Schon bei der Lieferung von HIMARS-Raketen oder F-16-Kampfjets habe Moskau lautstark gedroht – ohne dass etwas passierte. Jetzt wolle Russland die USA erneut mit Gerede über eine „gefährliche Eskalation“ einschüchtern, um die Tomahawk-Lieferung zu verhindern. Ein klares Zeichen für die Nervosität im Kreml.

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Tomahawk-Rakete
Die Angst ist greifbar. In russischen Telegram-Kanälen geht die Panik um. „Offenbar wird sich die Kriegslage bald noch weiter verschärfen. Ich spreche von Tomahawk-Raketen“, schreibt ein kremlnaher Blogger und warnt: „Jeder sollte wissen, wo der nächste Luftschutzbunker ist.“ Auch die Staatsmedien schäumen. Trump habe „den Verstand verloren“, wird dort gehetzt. Die Nerven liegen blank.
Doch was macht den Tomahawk so gefährlich? Ein russischer Militärexperte erklärt gegenüber der Exil-Zeitung „Novaya Gazeta Europe“: Die Waffe ist extrem treffsicher. Im Golfkrieg verfehlten von fast 300 Raketen nur 15 ihr Ziel. „Für Luftabwehrsysteme ist es ziemlich schwierig, diese Rakete zu erkennen und zu zerstören“, sagt auch Militäranalyst David Sharp. Die Ukraine könnte damit Rüstungsfabriken und Militärbasen tief in Russland treffen.
Und was sagt Kiew? Präsident Wolodymyr Selenskyj bestätigt am Donnerstag gegenüber Reportern und Reporterinnen die Gespräche mit den USA. „Wir haben über Langstreckensysteme gesprochen“, so Selenskyj. Seine knappe Antwort auf die Frage nach einer Lieferung: „Wir werden sehen.“ Alles hänge jetzt von Trumps Entscheidung ab.
Ob die USA die Super-Waffe aber wirklich liefern, ist völlig unklar. Eine Entscheidung aus Washington steht noch aus. Typisch für Trumps unberechenbaren Kurs gegenüber Russland. Immerhin: Der US-Sondergesandte für die Ukraine, Keith Kellogg, betonte zuletzt, dass es keine Einschränkungen mehr für ukrainische Angriffe auf Ziele tief in Russland gebe.
Experte: Eine echte Lieferung schwer vorstellbar
Viele Experten und Expertinnen bleiben dennoch skeptisch. Die Drohung sei wohl nur „ein Versuch, Druck auf Putin auszuüben“, meint Analyst Sharp. Eine echte Lieferung sei „schwer vorstellbar“. Auch Pawel Aksyonow von der BBC glaubt nicht daran: „Die Lieferung dieser Waffen an die Ukraine wäre die schwerwiegendste Eskalation im gesamten Konflikt.“ Er rechnet damit, dass Trump am Ende einen Rückzieher macht.
Selbst in der Ukraine ist die Hoffnung gedämpft. Der Militäranalyst Roman Switan erwartet von Trump „keine Wunder“, nachdem schon die Lieferung von ATACMS-Raketen so schwierig war. Um den Krieg wirklich zu wenden, bräuchte es ohnehin „Hunderte oder Tausende“ dieser Raketen.
Aber eine kleine Hoffnung bleibt. „Der Krieg hat uns bereits mit vielen Überraschungen konfrontiert. Daher können wir die Lieferung dieser Waffen nicht hundertprozentig ausschließen“, gibt Analyst Sharp zu bedenken. Sein Fazit: „Selbst eine kleine Anzahl von Tomahawks könnte der russischen Armee schweren Schaden zufügen.“ (red)