„Schau an!“RKI-Chef bei Pressekonferenz genervt, er macht bissige Anspielung gegen Politiker

Limits für Großveranstaltungen, weitgehende 2G-Regeln beim Einkaufen, mehr Beschränkungen für Ungeimpfte: Bund und Länder haben deutlich nachgelegt, um die derzeitige Pandemie-Lage in den Griff zu kriegen. Einen Tag nach den Beschlüssen äußerten sich nun Wieler und Spahn.

Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (41) und der Präsident des Robert-Koch-Instituts Lothar Wieler (60) informierten am Freitagvormittag, 19. November 2021, ab 10 Uhr über die Corona-Lage in Deutschland in einer Pressekonferenz. Es war wohl ihr letzter gemeinsamer Auftritt.

Während Jens Spahn vor allen Dingen die weitreichenden Beschränkungen für Ungeimpfte rechtfertigte und davor warnte, dass die Klinikbelastung weiter ansteigen wird (Die Lage werde „rund um Weihnachten ihren traurigen Höhepunkt erreichen“), konnte sich der Chef des Robert-Koch-Instituts, Wieler, einige bissige Bemerkungen nicht verkneifen. Die richteten sich gegen jene, die zu früh Maßnahmen wieder zurücknehmen und wieder steigende Fallzahlen in Kauf nehmen.

Die wichtigsten Aussagen der Pressekonferenz können Sie hier noch einmal nachlesen.

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Pressekonferenz zur Corona-Lage: Das sagen Spahn und Wieler

  • Als sich schlussendlich auch Jana Wolf (Vorstand der Bundespressekonferenz) bei allen Beteiligten bedankte, kam es zu einer tragikomischen Szene: „Bei Ihnen hoffen wir auf ein baldiges Wiedersehen“, so die Journalistin. Bei den Worten fasst sich Wieler an den Kopf und schüttelt ihn, der Saal lacht. Soll wohl heißen: besser nicht. Wolf ergänzt: „Es wäre schön, wäre das Treffen nicht unter pandemischen Bedingungen.“
  • Am Ende der Pressekonferenz gab es eine große Dankesrunde. Spahn bedankte sich bei den Expertinnen und Experten. „Wir können uns glücklich schätzen in Deutschland, dass wir so viele Experten haben.“ Besonderer Dank galt Wieler. „Sie haben zeitweise viel abbekommen in der Debatte, aber nie den Kopf eingezogen. Ich war dankbar, Sie an meiner Seite zu wissen. Bleiben Sie gesund!“
  • Nächste Frage: Portugalhat eine vergleichsweise hohe Impfquote, trotzdem musste wieder die Notlage ausgerufen werden. Wieler erklärt: Die rund 87 Prozent Impfquote des Landes seien sicher gut, aber: „Eine hohe Impfquote allein reicht im Winter auch nicht aus.“ Auch wenn man einen Immunschutz brauche, der so hoch ist „wie irgendmöglich“. „Wir werden die Pandemie nicht beenden, bevor nicht jeder einen Immunschutz hat. Und lieber hole ich mir den über eine Impfung als über eine Infektion.“ Wieler richtet sich erneut an die Politik: „Wenn die Zahlen wieder steigen, desto früher müssen die Maßnahmen wieder eingeführt werden. Beobachtung ist wichtig. Das wird uns noch einige Monate bewegen.“
  • Wieler: „Die Stiko macht eine hervorragende Arbeit.“ 18 Mitglieder, die ehrenamtlich und auf Basis von wissenschaftlichen Daten arbeiten. „Das machen sie auch diesmal.“ In den Entscheidungen würden auch die Begründungen umfänglich wissenschaftlich beschrieben. „Lesen Sie das bitte. Ich bin der Stiko mehr als nur dankbar, was sie leistet.“
  • Stiko-Chef Mertens erklärte jüngst, er wolle seine Kinder nicht gegen Corona impfen. Was sagen Spahn und Wieler dazu? Spahn: „Die Stiko genießt hohes Ansehen, es ist auch wichtig, dass Empfehlungen auf wissenschaftlicher Basis gemacht werden.“ Gerade Kinderimpfungen seien eine sensible Frage, die viele Eltern beschäftige. Eine Zurückhaltung bei den Kinderimpfungen halte er da für richtig. „Ich würde es begrüßen, wenn die Entscheidung als Empfehlung abgegeben wird, nicht als persönliche Meinung.“
  • Auf Nachfrage spricht Wieler erneut eine Mahnung an die Politik und an die Bürger aus: „Wenn die Maßnahmen von gestern umgesetzt werden, dann wird die vierte Welle schneller brechen, sie wird weniger Todesopfer fordern“, sagt er. Er fügt an: „Je mehr Menschen nach der vierten Welle immunisiert sind, desto weniger schlimm wird die fünfte Welle werden.“
  • Werden sich Wieler und Spahn gegenseitig vermissen? Schließlich ist es wohl Spahns letzter Auftritt in seiner Funktion als Gesundheitsminister. Spahn erklärt, er werde seinen Job grundsätzlich vermissen. „Weil ich das gerne getan habe, was ich als Gesundheitsminister gemacht habe.“ Wieler gab sich nüchterner: „Man weiß ja erst, ob man es vermisst, wenn man es nicht mehr hat.“ Das Plenum lacht.
  • Wieler kann sich anschließend einen bissigen Seitenhieb gegen die Entscheidungsträger in der Politik nicht verkneifen: „Ich sage auch schon mal vorweg: Wenn die Maßnahmen später wieder gelockert werden, dann werden die Zahlen auch wieder steigen. Schau an!“ 
  • Nächste Frage: Wann werden die Maßnahmen zu einer Minderung der Infektion führen? Wieler: „Die werden nur zu etwas führen, wenn sie auch konsequent umgesetzt werden. In den letzten Monaten wurden sie eben in der Praxis nicht konsequent, umgesetzt, das muss man auch mal sagen.“ Man werde in etwa zwei Wochen sehen, ob der Anteil der Kranken nicht mehr steigt, die ins Krankenhaus kommen. „Wir sehen das bei den Todesfällen in drei bis vier Wochen. So lange dauert das eben.“
  • Wieler: „Das Thema Impfpflicht muss sehr sorgsam diskutiert werden. Wie wird sie vollzogen, wie gehen wir damit um, dass der Impfschutz keinen 100-prozentigen Schutz gibt? Das muss man alles sehr gut kommunizieren.“ Es brauche eine intensive Debatte, die vor allen Dingen jene führen sollten, die über die Impfpflicht entscheiden. 
  • Bei den Nachfragen der Journalisten geht es um die geplante Impfpflicht. Wie soll sie durchgesetzt werden, will ein Journalist von Spahn wissen. Der erklärt seine „sehr skeptische“ Haltung, die werde er auch in seinem Abstimmverhalten zum Ausdruck bringen. 
  • Wielers Appell daher: „Lassen Sie sich impfen.“ Die Hygieneregeln sollten dringend eingehalten werden. „Wenn es Ihnen nicht gut geht, suchen Sie bitte auch in einer Pandemie ihre Ärzte auf.“ Wieler dankte den Menschen, die sich verantwortungsbewusst verhalten, den vielen Krankenhausmitarbeitern, die so viel opfern, um gegen die Pandemie zu kämpfen.
  • Wieler zeichnet ein düsteres Szenario: „Wenn die Kliniken am Limit sind, wirkt sich das auf die vermeintlich einfachen Eingriffe aus. Ich sage vermeintlich, weil auch eine Hüft-OP kann schmerzhaft sein. Später müssen auch schwerwiegende Eingriffe verschoben werden.“ Auch Krebs-Diagnosen könnten etwa verzögert werden, das könnte die Heilungschancen für viele vermindern, das Sterberisiko könnte steigen. „Aktuell finden mindestens fünf Prozent weniger Tumor-Operationen statt.“
  • „Mit allem, was wir heute wissen, könnte Omikron ansteckender sein und Geimpfte und Genesene leichter infizieren“, so Wieler. Omikron könnte zu noch mehr Fällen führen als Delta zu seiner Zeit. Deshalb müssten alle Maßnahmen jetzt flächendeckend umgesetzt werden. „Wir haben keine Zeit zu verlieren, keinen einzigen Tag“, so Wieler. 
  • Wieler geht auf die hohen Fallzahlen ein: „Wir sind noch auf einem sehr hohen Plateau.“ In einigen Regionen kämen Labore und Gesundheitsämter bereits nicht mehr mit der Kontaktnachverfolgung hinterher. Etwas mehr als ein Prozent der gesamten Bevölkerung sei derzeit infiziert, so Wieler. 4800 Covid-Patienten liegen auf den Intensivstationen, die Zahl werde zunehmen. „Unweigerlich“. 
  • Das Erreichen der gesteckten Impfziele scheitert nicht am Impfstoff. Es ist genug Booster-Impfstoff vorhanden. „Wenn wir uns alle jetzt impfen, machen wir uns das beste Weihnachtsgeschenk.“
  • Seit dem 18. November wurden zehn Millionen Menschen geimpft. Zehn Millionen der Dosen seien bereits ausgeliefert, weitere zehn Millionen werden noch einmal ausgeliefert, weitere werden folgen. Das Ziel der 30 Millionen Impfungen könnte damit rein rechnerisch bereits Ende nächster Woche erreicht werden. Lieferungen für das Jahr 2022 würden jetzt vorgezogen.
  • Die gute Nachricht: Die Impfkampagne nimmt enorm Fahrt auf, wie Spahn erklärt. Über zwei Millionen Impfungen in zwei Tagen. „Wir kommen zurück zu den Rekordzahlen aus dem vergangenen Frühjahr.“ 12,1 Millionen Auffrischimpfungen gibt es zudem aktuell in Deutschland. 
  • Um Weihnachtenherum werde wohl der traurige Höhepunkt der vierten Welle erreicht, so Spahn. „Es geht jetzt darum, sie zu brechen.“
  • Man habe viel früher konsequent Maßnahmen für Ungeimpfte beschließen müssen, so Spahn. Die Luftwaffe fliegen Kranke derzeit quer durch die Republik. Die Intensivstationen füllen sich weiter. „Jeder, der noch mit einer Impfung hadert, der muss sich diese Bilder vor Augen führen.“ Jeder, der sich nicht impft, werde sich jetzt infizieren. 
  • Jens Spahn: „Deutschland stemmt sich gegen die vierte Welle. Die Maßnahmen kommen spät, für manche zu spät. Nun aber sind sie endlich da.“ Ist es eine Pandemie der Ungeimpfte? Da gibt es viel Kritik an dem Begriff. Spahn dazu: „Sicherlich sind auch Geimpfte stärker am Infektionsgeschehen beteiligt. Aber wahr ist auch: Die Inzidenz der Ungeimpften liegt deutlich höher als die der Geimpften.“ Auch der Anteil der Ungeimpften in den Krankenhäusern sei viel höher. 

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Im Kampf gegen die beispiellose Corona-Welle greifen im Advent in ganz Deutschland strengere Schutzauflagen – und umfassende Beschränkungen für Ungeimpfte.

Bund und Länder beschlossen am Donnerstag nach langem Ringen eine Reihe von Maßnahmen mit Folgen für Millionen Bürger, um die Virusausbreitung zu bremsen. Dazu zählen Zuschauer-Begrenzungen bei Großveranstaltungen, Ungeimpften wird im Weihnachtsgeschäft der Zutritt zu den meisten Läden verwehrt. Auch Apotheken und Pflegefachkräfte sollen Impfungen übernehmen können, im Dezember kommen Millionen Dosen zusätzlich. Der Verkauf von Böllern und Feuerwerk zu Silvester wird bundesweit verboten. (mg/dpa)