„Ultra“ angeklagtBundesliga-Klubs versagen bei Problem-Fans

Neuer Inhalt

Fans des FC Schalke 04 zünden am 24.11.2012 im Spiel gegen Eintracht Frankfurt in Gelsenkirchen (Nordrhein-Westfalen) Pyrotechnik auf der Tribüne. Im Fußball sorgen die sogenannten «Ultras» immer wieder für Diskussionen.

Gelsenkirchen – Sie haben sich Karten über Strohleute für den Gästeblock beschafft, um bei der Champions-League-Partie von Schalke 04 gegen den späteren englischen Meister Manchester City ordentlich Randale zu machen. Das Ende der Partie an jenem 20. Februar 2019 naht. Die Heimmannschaft verspielt ihren Vorsprung.

Als das 2:3 kurz vor Schluss fällt, brüsten sich Man-City-Fans im Gästeblock mit dem Siegestor. Manche schicken obszöne Gesten zur Schalker Nordkurve hinüber. Man-City-Fan Paul W. zeigt den heimischen Anhängern zwei Mittelfinger.

Peter K. ist führendes Mitglied der Ultra-Truppe „Hugos“

Peter K. (Name geändert), einschlägig polizeibekannt als führendes Mitglied der berühmt-berüchtigten Gelsenkirchener Ultra-Truppe „Hugos“, zieht sich die Kapuze über den Kopf. So jedenfalls hat es die Polizei ermittelt.

Alles zum Thema Polizeimeldungen

Seine drei Begleiter tun es ihm gleich. Unauffällig nähert sich der 30-jährige groß gewachsene Schlacks den englischen Fans. Die Arme hält der Schläger verschränkt hinter dem Rücken, als er auf Paul W. trifft. Der Fan aus Manchester hat ordentlich Bier geladen, später werden die Ärzte 2,8 Promille in seinem Blut finden.

Und so reagiert der Brite gar nicht, als ihn die Faust des deutschen Angreifers am Kinn trifft. Hilflos knallt Paul W. den Ermittlungen zufolge mit dem Hinterkopf auf den Boden. Er erleidet ein schweres Schädeltrauma, schwebt tagelang in akuter Lebensgefahr.

Die Polizei stellt später ein Video vom Geschehen sicher. Dort ist nach unseren Informationen zu erkennen, dass sich Peter K. seelenruhig vom Tatort entfernt. Fünf Ordner sind laut einem polizeilichen Aktenvermerk zu sehen, die das Geschehen verfolgen – aber weder einschreiten noch versuchen, die Täter festzuhalten.

Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung gegen Fußball-Fans erhoben

Peter K. ist inzwischen wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Zwei seiner Komplizen müssen sich ebenso wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten, das Verfahren gegen den dritten wurde abgetrennt.

Der Fall dokumentiert einmal mehr das Versagen der deutschen Bundesliga-Klubs im Umgang mit ihren Problemfans. Auch die Justiz tut sich mitunter schwer, notorisch gewalttätige Hooligans in die Schranken zu weisen. So sind alle drei Angeklagte seit Jahren in der polizeilichen Liste „Gewalttäter Sport“ erfasst.

Peter K. hat in seiner Kriminalakte allein bis 2015 zwölf Einträge. Die Polizei stuft ihn als „Rädelsführer“ der Hugos in die höchste Kategorie C ein. Demnach nutze der Kampfsportler jede Gelegenheit, „sich an gewalttätigen Auseinandersetzungen zu beteiligen.“

Durch Aufstieg des 1. FC Köln werden mehr „Hochrisikospiele“ erwartet

Die Gewalt in und neben den Fußballstadien reißt seit Jahren nicht ab. In vier Wochen beginnt das Liga-Spektakel erneut. Und wieder wird es Verletzte und Randale auf den Rängen geben. Zumal durch den Aufstieg des 1.FC Köln erneut mehr sogenannte „Hochrisikospiele“ mit Gegnern wie Schalke oder Mönchengladbach anstehen.

In der Bundesliga stieg die Zahl der verletzten Anhänger und Polizisten in der vorvergangenen Spielzeit um knapp 100 auf 555. Auch in der dritten Liga kletterte die Quote.

2,1 Millionen Arbeitsstunden für die Polizei

Laut der Bundesstatistik der „Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze“ (ZIS) drehen sich die gut 10.000 registrierten Delikte meist um Körperverletzung, Widerstand gegen Beamte, Landfriedensbruch oder das verbotene Abfackeln von Pyrotechnik. 2,1 Millionen Arbeitsstunden der Polizei fielen in dem Zeitraum an. Aktuellere Daten für die abgelaufene Hin- und Rückrunde 2018/19 liefert die ZIS im kommenden Herbst.

Vor diesem Hintergrund hält sich Susann Zschiesche, stellvertretende Leiterin der Zentralstelle, mit einer abschließenden Einschätzung zurück. Nur so viel: Die Erfahrung zeige, „dass Gewalt bei Fußballspielen ein zentrales Problem bleibt“. Mit Sorge beobachteten die Experten in der Vergangenheit „einen weiter steigenden Organisierungsgrad der gewaltbereiten Teile der Ultraszene“.

Gewerkschaft der Polizei fordert härtere Strafen für Fußball-Rowdys

Michael Mertens, Chef der Gewerkschaft der Polizei in NRW, warnt deshalb: „Wenn wir nicht aufpassen, können die Dinge derart eskalieren, dass sie den Fußballsport gefährden.“ Mertens plädiert dafür, dass Justiz und Klubs weitaus härter gegen „Fußballstraftäter vorgehen als bisher.“

Die Statistik gibt ihm recht. Das gewaltbereite Fan-Potenzial beziffern Polizeiexperten der ZIS bundesweit auf gut 13.600 Personen, darunter entfallen 3288 auf die höchste Stufe C.: Leute wie der Schalker Hooligan Peter K..

Und dennoch verhängten die Klubs in allen drei Ligen bis zum Herbst 2018 nur knapp 1667 Stadionverbote. Für geübte Störer wie K. war es ein Leichtes, sich für die CL-Partie zwei Karten im Gäste-Block über einen harmlosen Schalker Fan-Club zu beschaffen.

„Ich habe nur gesehen, dass eine Person auf dem Boden lag“

Dass die Ordner tatenlos zusahen, als der Kampfsportler den Man-City-Fan ins Koma zu prügelte, hatte eventuell auch mit ihrer Qualifikation zu tun. „Ich habe nur gesehen, dass eine Person auf dem Boden lag, ich war so geschockt, dass ich noch nicht mal die Polizei hinzuziehen konnte“, gab einer der Männer zu Protokoll. Wie sich herausstellte, hatte die verantwortliche Sicherheitsfirma Subunternehmen angeheuert, um genügend Personal einsetzen zu können.

Martin Feist, ehemals Manager bei Securitas und Sicherheitsberater, weiß um das Problem. Viele der Ordner bei Fußballspielen oder Konzerten arbeiteten auf 450-Euro-Basis.

Ein Kurs von 40 Stunden bei der Industrie- und Handelskammer nebst sauberem polizeilichem Führungszeugnis genüge: „Und schon sollst Du in einer Fußball-Arena mit aufgeheizter Stimmung für Ordnung sorgen.“ Ein Unding, meint Feist.

Innenminister Herbert Reul fordert besser ausgebildete Ordner

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) mahnt die Klubs, in die Stadionsicherheit zu investieren. Reul fordert „mehr und besser ausgebildete Ordnerdienste, damit beispielsweise gefährliche Pyrotechnik gar nicht erst in die Stadien gelangt und Stadionverbote auch konsequent durchgesetzt werden.“

Bei „Hochrisikospielen“ präferiert der Minister personalisierte Tickets, um Gewalttäter aus den Arenen zu verbannen. Sein Fazit: „Fußball ist bekanntlich die schönste Nebensache der Welt. Die dürfen wir uns nicht von als Fans getarnten Gewalttätern kaputt machen lassen. Da müssen die Vereine klare Kante zeigen. Und auch beim Thema Sicherheitsvorkehrungen in den Stadien haben die Klubs definitiv noch Luft nach oben.“