CoronaTönnies-Mitarbeiter tauchen unter – Zahl der Fälle auf 1331 gestiegen

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Polizisten sprechen am Samstag in Verl mit Bewohnern, die hinter einem Bauzaun unter Quarantäne stehen.

Verl – Dieser Artikel wurde zuletzt um 14.49 Uhr aktualisiert am 21. Juni 2020.

Nach dem Corona-Ausbruch beim Fleischproduzenten Tönnies wurde ein Teil der Stadt Verl, nahe Bielefeld, in der Mitarbeiter der Firma leben, zur Quarantänezone erklärt.

  • Über Tausend Mitarbeiter wurden beim Fleischverarbeiter Tönnies positiv auf Corona getestet
  • Ein Teil der Stadt Verl in NRW wurde nun unter Quarantäne gestellt
  • Ministerpräsident Laschet äußerte sich am Nachmittag zur Lage

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Drei Straßenzüge im Stadtteil Sürenheide wurde am Samstagnachmittag abgeriegelt. Für alle Bewohner – auch die, die mit Tönnies nichts zu tun haben – gilt ab jetzt erstmal: kein Rein- und Rauskommen. 

Corona-Ausbruch bei Tönnies: Drei Straßenzüge abgeriegelt

Mitarbeiter der Stadt umzäunten das Gebiet am Samstag. Ein Versorgungszentrum für die Bewohner in Quarantäne soll eingerichtet werden, so das Deutsche Rote Kreuz, das die Menschen die ersten beiden Tage mit Lunchpaketen versorgt und Hygieneartikel bereitstellen will. Insgesamt 670 Bewohner sind betroffen. 

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Menschen in einem Wohnhaus beobachten, wie die Feuerwehr Bauzäune aufstellt.

Mehr Fälle bekannt: Über ein Fünftel der Belegschaft infiziert

Die Zahl der bekannten Corona-Infizierten bei Tönnies ist derweil durch die umfangreiche Tests auf 1331 gestiegen. Damit sind mehr als ein Fünftel der Belegschaft infiziert. Dies teilte der Kreis Gütersloh am Sonntag mit. Die Reihentestungen auf dem Gelände der Firma seien am Samstag abgeschlossen worden, hieß es. Insgesamt 6139 Tests seien gemacht worden, 5899 Befunde lägen bereits vor.

Trotz Quarantäne-Gebot: Haben Tönnies-Mitarbeiter Deutschland verlassen?

Alle Mitarbeiter der Firma Tönnies wurden in häusliche Quarantäne geschickt, bei Verstößen können ordnungsrechtliche Bescheide veranlasst werden. Alle Unterkünfte von Tönnies-Mitarbeitern werden in unregelmäßigen Abständen kontrolliert.

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Derweil berichtet die „Bild“, dass sich am Samstag mehrere rumänische Mitarbeiter von Tönnies trotz Quarantäne-Anordnung auf den Weg in die Heimat gemacht haben sollen. Mehrere Mitarbeiter der Fleischfirma sollen der Zeitung erklärt haben, sie führen oder flögen nach Rumänien.

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Mitglieder der Feuerwehr bauen am Samstagabend Bauzäune in einer Wohnsiedlung im Ortsteil Sürenheide auf.

Nun wurde bekannt, dass der Kreis Gütersloh Hinweise hat, dass Tönnies-Beschäftigte tatsächlich vor der Quarantäne in ihre Heimatländer zurück gereist sind. „Eine Handhabe, das zu unterbinden, hatten wir zu der Zeit nicht”, gab eine Sprecherin des Kreises bekannt.

Eine Anwohnerin will zudem beobachtet haben, wie am Freitag eine Gruppe Männer mit Reisetaschen vor einem Haus stand und dann in einen Transporter stieg. „Abends sahen wir, wie ein Auto aus Bulgarien bis unters Dach mit Gepäck beladen wurde. Heute Morgen war der Wagen verschwunden. Wir haben hier den Eindruck, dass sich die Bewohnerzahl in den Häusern deutlich reduziert hat”, soll sich die Frau geäußert haben.

Firma Tönnies soll Corona-Regeln missachtet haben

„Wir waren viel zu viele in dem Werk, saßen in den Kantinen dicht an dicht. Sie gaben uns nur eine Maske pro Tag. Einige zogen sie auf, andere ließen sie unterm Kinn, das wurde nicht kontrolliert. Vor einigen Tagen sagte mein Mann, dass es ihm nicht gut geht. Dann wurde er positiv auf Corona getestet. Niemand hat uns geholfen, wir haben große Angst“, soll sich die 32-Jährige geäußert haben.

Corona bei Tönnies: Mitarbeiter soll Zustände kritisiert haben

Ein anderer 28-jähriger Mitarbeiter soll die Zustände außerhalb der Arbeitszeiten so beschrieben haben: „Wir leben in speziellen Unterkünften. In meinem Zimmer sind wir zu dritt. In den anderen Zimmern sind Arbeiter, die positiv auf Corona getestet wurden. Wir alle hausen seit Monaten zusammen. Und man hat uns gesagt, dass das auch so bleiben soll”.

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 Frisch geschlachtete Schweine hängen in einem Kühlhaus des Fleischunternehmens Tönnies. Das Bild stammt aus 2017.

Der Fleischbetrieb in Rheda-Wiedenbrück ist für 14 Tage geschlossen. Das habe der Kreis verfügt, wie der Leiter des Krisenstabes, Thomas Kuhlbusch, am Samstag in Gütersloh mitteilte.

Am Standort Rheda-Wiedenbrück, dem größten Schlachtereibetrieb Deutschlands, sind nach Unternehmensangaben rund 6500 Menschen tätig. Rund die Hälfte aller Beschäftigten in der gesamten Tönnies-Unternehmensgruppe arbeiten nach Angaben eines Sprechers über Subunternehmen für Tönnies. Insgesamt seien Menschen aus 87 Nationen für Tönnies tätig. Die mit Abstand größten Gruppen kämen aus Rumänien und Polen. Rund ein Drittel der Beschäftigten mit ausländischer Nationalität lebe mit ihren Familien in Deutschland.

Clemens Tönnies äußert sich zum Corona-Desaster

Am Samstagabend stellte sich Clemens Tönnies erstmals der Öffentlichkeit in einer Pressekonferenz. Tönnies bedankte sich beim Krisenstab für dessen Arbeit.

Das Unternehmen, so Tönnies, stehe vor einer existenziellen Krise. Es ginge aber nicht mehr um Tönnies. Hier geht es um Menschen und den Kreis.“ Er stehe „in der Verantwortung“ und „werde alles dafür tun, dieses Unternehmen aus der Krise zu führen“. Weiter versprach er: „Wir werden so nicht weiter machen. Wir können das Lebensmittel Fleisch auf ordentliche Art gewinnen und dem Verbraucher sicher liefern.“

Der Unternehmer wies die Vorwürfe des Landkreises Gütersloh zurück, bei der Beschaffung der Wohnadressen von Mitarbeitern unkooperativ gewesen zu sein. „Wir haben datenschutzrechtliche Probleme“, sagte Tönnies bei der Pressekonferenz am Samstag.

Clemens Tönnies: „Stehe in der Verantwortung”

Laut Werkvertragsrecht dürfe das Unternehmen die Adressen der betreffenden Arbeiter nicht speichern. Co-Konzernchef Andreas Ruff fügte hinzu: „Wir haben alle Daten, die wir hatten, sofort an die Behörden weiter gegeben.“

Das Statement der Tönnies-Führung folgte auf eine Pressekonferenz des Kreises am Samstag. Dort hatte der Leiter des Krisenstabs Thomas Kuhlbusch gesagt, das Vertrauen in die Firma Tönnies sei gleich Null.

Der Fachbereichsleiter Gesundheit beim Kreis berichtete zudem, dass Tönnies bis Freitag Listen der Beschäftigten geliefert hatte, bei denen bei 30 Prozent die Adressen fehlten. Bei Anfragen habe die Firma zögerlich reagiert.

Unterdessen hat sich die NRW-Polizei auf einen Großeinsatz eingestellt.

Bei der Polizei Bielefeld wurde eine sogenannte BAO, eine „Besondere Aufbauorganisation“ gebildet, die mögliche Einsätze landesweit koordiniert.

Quarantäneüberprüfung durch die Polizei

Der Kreis Gütersloh hatte nach Angaben vom Freitag ein Hilfeersuchen an die Polizei gerichtet. „Sie soll die Ordnungsbehörden der Kommunen bei der Quarantäneüberprüfung unterstützen“, hieß es in einer Mitteilung.

Beamte einer Einsatzhundertschaft aus Dortmund verteilten sich am Samstag im Gebiet des Kreises Gütersloh. Nach Angaben einer Sprecherin der Polizei Bielefeld sollen sie bei Anforderung durch die Ordnungsbehörden unterstützend tätig werden, „beispielsweise wenn Kontrollen durchgeführt werden“.

Dies war nach ihren Angaben bis zum Mittag noch nicht der Fall. „Wir werden als Polizei nicht eigeninitiativ tätig“, sagte die Sprecherin.

Rheda-Wiedenbrück: Quarantäneanordnung für die Mitarbeiter

Das Land will die Quarantäneanordnung für die Mitarbeiter konsequent durchsetzen. Es werde dazu alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, hatte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Freitagabend in Düsseldorf gesagt. „Wir müssen sicherstellen, dass in dieser Situation jeder sich an die Regeln hält.“

Einen Corona-Ausbruch habe es „in dieser Größe“ in NRW bisher nicht gegeben.

Lockdown soll verhindert werden

Der Kreis hatte am Freitag verfügt, dass alle rund 6500 Mitarbeiter des Fleischproduzenten Tönnies am Standort Rheda-Wiedenbrück mitsamt allen Haushaltsangehörigen in Quarantäne müssen. Das betreffe auch die Verwaltung, das Management und die Konzernspitze, teilte der Kreis Gütersloh am Freitagabend mit.

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Für einige Mitarbeiter galt allerdings eine sogenannte Arbeitsquarantäne. Das heißt, dass sie sich zwischen Arbeits- und Wohnort bewegen dürfen – ausschließlich. Das gilt nach Angaben eines Konzernsprechers auch für den Gesellschafter Clemens Tönnies. (mas/dpa)