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Demo am WDR in KölnVorwürfe gegen TV wegen „Atatürk-Hitler-Vergleich"

Kemalisten: Demo am WDR

Die Demonstranten am Vierscheibenhaus des WDR am Appellhofplatz

von Ayhan Demirci (ade)

Köln – Wegen eines kritischen Beitrages über den türkischen Staatsgründer Mustafa Kemal, genannt Atatürk, haben sich am Samstagnachmittag etwa 100 Protestierer am WDR am Appellhofplatz versammelt. Auch in anderen Städten kam es zu Demos. 

Vorwurf: ARD diffamiert Atatürk

Die Teilnehmer warfen der ARD die Diffamierung Atatürks, verfälschende Berichterstattung und Fehlen von journalistischer Sorgfalt vor. 

Es geht um einen vom NDR in Hamburg verantworteten Bericht in der letzten Ausgabe des Kulturmagazins „Titel, Thesen, Temperamente" (1. Dezember). Der Kurzbeitrag thematisiert die Massaker an den kurdisch-alevitischen Bewohnern der Provinz Tunceli (damals Dersim) in den Jahren 1937/1938.

Alles zum Thema Recep Tayyip Erdogan

Moderator Max Moor stellt eingangs Atatürk als modernisierenden Staatsmann dar, der für viele Türken bis heute eine Lichtgestalt sei, aber zum Erreichen seiner Ziele skrupellos „über Leichen ging" und in der Anwendung von Giftgas kein Tabu gesehen habe. Ein Fakt?

Die von feudalen Strukturen geprägte und Stammesführern beherrschte Provinz Dersim war ein Zentrum des auch gewaltsamen Widerstands gegen die türkische Staatsgewalt, die mit der Ausrufung der Republik 1923 das rückständige Land zu modernisieren suchte. Über zehntausend Bewohner und Aufständische wurden durch die türkische Armee, die die Revolte blutig niederzuschlagen suchte, getötet. 

Giftgas soll in Nazideutschland bestellt worden sein

Die Autoren des Films erklären nun, Atatürk habe zur Brechung des Widerstandes in der Provinz Dersim auch vor dem Einsatz von Giftgas nicht zurückgeschreckt. Sie führen ein staatliches Dokument vom 7. August 1937 an, das in türkischen Archiven entdeckt worden sei: eine Bestellung von 20 Tonnen Giftgas und einer automatischen Befüllungsanlage im damaligen Nazi-Deutschland.  

(Lesen Sie auch: Tränen in Köln – ein Mengele-Opfer erzählt)

Das gezeigte Papier trägt augenscheinlich die Unterschrift Atatürks und weiterer Regierungsmitglieder. „Die Deutschen hatten Giftgas und das brauchte er", heißt es im Bericht über Atatürk. Nacheinander werden der türkische Staatschef und der deutsche Diktator Adolf Hitler gezeigt.

Dr. Mustafa Tosun, Vorsitzender des Verbandes der Kemalisten in Europa, hält das Dokument und die Atatürk-Unterschrift zumindest für zweifelhaft. Derartige historische, komplexe Themen seien zudem kein Stoff für einen Sechs-Minuten-Beitrag.  „Die Behauptung, Atatürk hätte mit dem NSDAP-Regime kooperiert, ist eine Diffamierung und verdreht die Tatsachen."

Ganz im Gegenteil hätte die Türkei unter Atatürk viele Verfolgte aus Deutschland bei sich aufgenommen und sie vor Unterdrückung und Tod bewahrt.

ttt: Hitler und Atatürk wurden nicht gleichgesetzt

Die ttt-Redaktion teilte mit, man habe Kemal Atatürk nicht mit Adolf Hitler verglichen oder gleichgesetzt. Es habe 1937  Zeitzeugenberichte über den Einsatz von Giftgas gegen die Bevölkerung gegeben. Zudem sei eine Tonaufnahme des ehemaligen Außenministers Ihsan Sabri Caglayangil, der den Einsatz bestätigt, ein Indiz.

Dass es zu Massakern in der Provinz kam, ist in der türkischen Geschichtsschreibung mittlerweile unbestritten. Der heutige Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte sich 2011 für die Taten entschuldigt.

Die Affäre um den TV-Beitrag eröffnet wiederum einen Blick auf die Entwicklung der beiden im Ersten Weltkrieg verbündeten und unterlegenen Mächte nach 1918.

Deutsches Reich und Osmanisches Reich, die Verlierer des Ersten Weltkrieges

Hier das Ende der Herrscherdynastie der Hohenzollern, die Abdankung des Kaisers und die Gründung der brüchigen Weimarer Republik. Es folgten turbulente Jahre der Blüte und des totalen Absturzes, der zur Abschaffung der Demokratie durch Adolf Hitlers barbarische Nazidiktatur, zum Weltenbrand und Holocaust führte. 

Dort das Ende der Herrscherdynastie der Osmanen, der Befreiungskampf gegen die Siegermächte des Ersten Weltkrieges und die griechische Besatzung und die Gründung der türkischen Republik durch den Initiator und Anführer der Befreiungsbewegung Mustafa Kemal Atatürk.

Der Revolutionär und erste Staatspräsident schuf das Kalifat ab und etablierte ein europäisch geprägtes Rechtssystem. Bis 1945 war die Türkei geprägt von der autoritären Ein-Parteienherrschaft der Republikanischen Volkspartei (CHP), Erst danach wurde ein Mehrparteiensystem etabliert.

Im Zweiten Weltkrieg hatten sich die beiden Länder 1941 vertraglich zu einem gegenseitigen Nichtangriffspakt verpflichtet. 1944 aber brach die Türkei die diplomatischen Beziehungen zum Deutschen Reich ab und erklärte am 23. Februar 1945 Deutschland und Japan symbolisch den Krieg, 

Buch über die Beziehung der Nazis zu Atatürk und der Türkei

Der Historiker Stefan Ihrig analysierte in seinem 2014 auf englisch erschienenen Buch „Atatürk in the Nazi Imagination" („Atatürk in der Vorstellung der Nazis", Verlag Harvard University Press), wie die Nazis in der Türkei zeitweise ein Vorbild sahen. „Für die Nazis war Atatürk der Führer einer völkischen Erneuerungsbewegung, ein völkischer Modernisierer.", erklärt Ihrig. Umgekehrt habe Atatürk „keinerlei Sympathien für seinen Verehrer Adolf Hitler gehegt" (lesen Sie hier das ganze Interview).