Der Kölner Neumarkt: Für die einen ein Verkehrsknotenpunkt, für andere die Hölle auf Erden. Suchtkranke und Dealer kämpfen hier täglich ums nackte Überleben. Einer von ihnen bricht sein Schweigen.
„Nicht mein Problem!“Heftige Einblicke: Kölner Dealer packt aus

Copyright: Arton Krasniqi
Drogenabhängige prägen das Bild rund um den Neumarkt.
04.09.2025, 06:02
Vor einem Café am Josef-Haubrich-Hof reißt Domenico sein T-Shirt hoch. Auf seinen Rippen: ein bizarres Tattoo. Es ist die Zeitleiste seiner Knastaufenthalte, eine düstere Doku auf seiner Haut. Zehn Jahre insgesamt, sagt er.
Sein Geschäft: Kokain-Deals am Neumarkt. So finanziert er seine eigene Crack-Sucht. Der Italiener öffnet die Faust, zeigt die weißen Krümel darin. „Ein Scheißzeug ist das. Wenn du es einmal nimmst, willst du immer mehr“, warnt er gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Dramatische Zustände am Neumarkt
An diesem Nachmittag Ende August ist der 33-Jährige einer von rund 50 Männern und Frauen am Josef-Haubrich-Hof. Sie alle suchen, kaufen oder verkaufen Drogen. Ein paar Meter weiter, auf der Lungengasse, hockt ein abgemagerter Mann in einem Hauseingang und zündet seine Crack-Pfeife an. Passanten und Passantinnen gehen achtlos vorbei.
Die Zustände am Neumarkt sind dramatisch. Polizei, Ordnungsamt, Streetworker und Streetworkerinnen – sie alle sind im Dauereinsatz. Das Elend ist längst auch zum heißen Thema im Kommunalwahlkampf geworden, wo Politiker und Politikerinnen über Lösungen und neue Drogenhilfeeinrichtungen streiten.
Doch was sagen die, um die es geht? Die Suchtkranken, die Kleindealer und die Obdachlosen, die hier Tag für Tag ums Überleben kämpfen? Viele wollen nicht reden, andere wollen Geld. Doch einige erzählen ihre Geschichte – schonungslos ehrlich.
Domenico (Name geändert), der Dealer vom Josef-Haubrich-Hof, kam vor eineinhalb Jahren nach Köln. Seitdem hat er 20 Kilo abgenommen – wegen des Cracks. Die Angst der Leute, den Neumarkt zu betreten? „Ist nicht mein Problem“, sagt er knallhart. „Das ist das Problem vom Kölner Bürgermeister.“ Seine Forderung: Ein großes Haus für Süchtige, mit Schlafplätzen, Essen, Duschen und der Abgabe von Suchtmitteln.
Solange sich nichts ändert, müsse er eben „dies und das“ machen, um an Geld zu kommen. Was das heißt? Raub, Diebstahl, Dealen – der brutale Alltag der Szene.
Immer wieder Geschrei, Schubser, Jagdszenen. „Das hast du hier alle fünf Minuten, es geht immer um Geld“, erzählt Marco, der etwas abseits steht. „Meistens um fünf Euro für einen Kopf Crack.“ Kopf ist der Szenen-Ausdruck für eine Konsumeinheit.
Der 24-Jährige ist obdachlos, hat Koch in einem Kölner Luxusrestaurant gelernt. Jetzt verkauft er geklaute Fußballtrikots und E-Zigaretten, um zu überleben. „Für 5 Euro kriege unten in der KVB-Haltestelle zwei Stücke Pizza“, sagt er.

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Die Polizei führt auf dem Josef-Haubrich-Hof regelmäßig Personenkontrollen durch.
Plötzlich mischt sich ein hagerer Mann ein, der sich Hector nennt. Er grinst und verrät Marco: „Wir kennen uns aus dem Drogenkonsumraum.“
Hector zeigt eine offene Wunde am Arm. Blutvergiftung. „Crack hat alles schlimmer gemacht“, sagt er. „Hier läuft viel Dreckspack rum, die bedrohen Leute und ziehen sie ab.“ Er zeigt eine Narbe am Ohr, zwei genähte Wunden an der Brust. „Messer“, erklärt er. „Dreckspack.“
Seine Lösung? „Die sollen die kleinen Junkies hier in Ruhe lassen.“ Er fordert eine Anlaufstelle, wo Drogen straffrei weitergegeben werden können.
Eine Idee, die inzwischen sogar von Polizeipräsident Johannes Hermanns und Sozialdezernent Harald Rau diskutiert wird: eine kontrollierte Abgabe von Drogen oder Ersatzstoffen an Schwerstabhängige.
In diesem Moment nähern sich sechs Polizisten und Polizistinnen der Bereitschaftspolizei. „Personenkontrolle“, sagt einer. Hector wird zur Seite gebeten. „Siehst du?“, ruft er. „Jeden Tag, das ist doch nicht normal.“ Die Beamten und Beamtinnen finden Spritzen bei ihm. Das Ergebnis: Platzverweis.
Jack zeigt Verständnis für die Ängste der „normalen Leute“. „Vor allem für Kinder ist das total blöd.“ Er träumt ebenfalls von einer großen Hilfseinrichtung, aber nicht direkt am Neumarkt. „Hier ist keine Ruhe.“ Aber auch nicht zu weit weg, „höchstens vier Haltestellen“.
Dann schlurft Jack davon, seine Plastiktüte über der Schulter. Auch diese Nacht wird er wieder hier schlafen, trotz der Gewalt und der Gefahr. Warum? Seine Antwort ist so simpel wie erschütternd: „Weil hier nun mal die Dealer sind.“ (red)