Die Kinostadt: Es gab Zeiten, in denen sich fast in allen Kölner Stadtteilen ein sogenanntes Lichtspielhaus befand. In der Reihe „Kölner Geheimnisse“ erinnert sich ene Zeitzeugin an aufregende Kinoerlebnisse in Braunsfeld.
Neben MarienbildDer Horrorfilm, der das Veedelskino beendete

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Aachener Straße 559 in Braunsfeld:Früher war hier ein Kino, heute befindet sich im Haus neben der Gaststätte Marienbild eine Drogerie.
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Wer einmal im Biergarten der Gaststätte „Marienbild“ an der Aachener Straße gesessen und sich gewundert hat, warum das angrenzende Gebäude hinten raus so tief ins Gelände ragt – hinter der riesigen Außenwand befand sich eins der größten Kölner Vorortkinos.
Die Geschichte des Libra – des ersten Lichtspielhauses in Braunsfeld - ging im September 1968 zu Ende. Bis zu 1200 Menschen saßen an jenem Schlussabend im Saal, um die letzte Vorstellung zu sehen: „Die Stunde, wenn Dracula kommt“, ein Horrorfilm des italienischen Regisseurs Mario Bava (1914-1980). Man kann den Schwarz-weiß-Streifen, der als ein Meisterwerk des Genres gilt, auf Youtube sehen, aber er ist nichts für schwache Nerven.
„Dass wir das Kino schlossen, war ein Schock für Braunsfeld. Ich glaube, deswegen wollte ich zum Abschied auch etwas Schockierendes zeigen“, erzählt Heidi Weigand-Diederichs. Sie hatte das Libra zusammen mit ihrem Mann geleitet, der ein leidenschaftlicher Cineast und in den Kenntnissen neuester Filmvorführtechnik stets auf der Höhe gewesen sei. Doch mit nur 44 Jahren war Ernst-Fred Weigand-Diederichs 1966 an den Folgen eines Herzinfarktes gestorben.

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Das Kino „Libra“ in den 1960er Jahren.
Die allerbesten Zeiten hatten die Kölner Stadtteilkinos da schon hinter sich. Eine Statistik im akribisch recherchierten Buch „Kino in Köln“ (Emons Verlag) weist aus, wie die Zahl der Kinos zwischen 1950 und 1959 von 52 auf 87 und die Zahl der jährlichen Besucher auf 16,35 Millionen angewachsen war. In den Jahren darauf aber wurde die Konkurrenz durch das Fernsehen immer größer.
So gingen in immer mehr Stadtteilkinos die Lichter aus. Nach der Schließung des Libra wurde das Haus Aachener Straße 559 umgebaut. Ein Kaiser's Supermarkt zog ein und blieb Jahrzehnte, heute befindet sich im ehemaligen Kinogebäude eine dm-Drogerie.
Hinten erinnert die originale, heute wegen Baufälligkeit gesperrte Feuertreppe an die vergangenen Zeiten. Im Gedächtnis von Heidi Weigand-Diederichs sind diese noch sehr lebendig. Die gestaffelten Eintrittspreise im Libra weiß sie auswendig: 90 Pfennig, 1,10 DM, 1,30 DM, 1,70 DM und zwei Mark die Loge: „Je teurer es wurde, desto dicker wurde die Polsterung, in den Logen war sie am dicksten. “
Ungemütlich wurde es mit dem Pfarrer der Gemeinde, als Ingmar Bergmans Skandalfilm „Das Schweigen“ 1963 in die Kinos kam. „Kunstwerk oder Pornographie?“ titelte die „Welt“. Der Veedelspfarrer von St. Josef, so erzählt es Heidi Weigand-Diederichs, habe von der Kanzel gepredigt: „Kein guter Christ geht in diesen Schweinefilm!“ Der Geistliche habe sogar den Vater ihres Mannes aufgesucht und ihn ermahnt, den Film nicht zu zeigen. Nicht, dass der Gottesmann keinen Grund zur Aufregung gehabt hätte, schließlich geht es in dem Drama unter anderem um Sex in einer leerstehenden Kirche. Doch der Pfarrer erhielt nicht die erhoffte erzkatholische, sondern eine kaufmännische Antwort, wie sich Heidi Weigand-Diederichs genüsslich erinnert: „Nein, hat mein Schwiegervater geantwortet, ich zeige den Film nicht, aber Sie geben mir das Geld, das ich dadurch verliere.“
Das Braunsfelder Publikum bekam Bergmans Werk also schließlich doch zu sehen und verhielt sich dabei äußerst auffällig: Im Saal habe zunächst gähnende Leere geherrscht, erzählt Weigand-Diederichs. Erst als das Licht ausging und die Vorfilme samt Reklame starteten, hätten sich die Reihen plötzlich gefüllt – niemand wollte sich ertappt fühlen.

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Erhaltene Fotos zeigen den Saal, der Platz für 1200 Zuschauer bot. Das Kino eröffnete 1937.
Angefangen hatte die Geschichte des Libra bereits 1937 mit der Aufführung der US-Screwballkomödie „Sieben Ohrfeigen“. Nach Zerstörungen im Krieg wurde das Filmtheater im Jahr 1949 wiedereröffnet. Köln erlebte im folgenden Jahrzehnt einen regelrechten Kinoboom. 1959 gab es in der Stadt 87 Kinos mit 45683 Plätzen, 16 Millionen Besucher wurden gezählt.
Es habe vor allem in den 1960ern ein unglaubliches Filmangebot gegeben, erinnert sich Heidi Weigand-Diederichs. Das Libra-Publikum sei treu gewesen: „Die neuesten Filme wurden erst in den Kinos der Innenstadt gezeigt, Wochen später kamen sie dann in die Vororte. Unsere Stammkundschaft wartete geduldig, bis es so weit war. Wir besaßen das Bezirkserstaufführungsrecht“, erzählt sie. Sonntagvormittag wurden Kinderfilme gezeigt. „Heute noch werde ich in Braunsfeld von älteren Herrschaften angesprochen, die erzählen, wie schön es damals für sie als Kinder gewesen sei.“

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Cover Kölner Geheimnisse Band 2 von Ayhan Demirci und Maira Schröer
Diese Geschichte stammt aus dem neuen Köln-Buch „Kölner Geheimnisse Band 2/ 50 neue spannende Geschichten aus der Dom-Metropole“, das im Bast-Verlag erschienen ist (192 Seiten, 24 Euro). Sieben Jahre nach Erscheinen des ersten Bandes sind es diesmal die Autoren Ayhan Demirci und Maira Schröer, die sich auf die Spuren Kölner Geschichte begeben haben und ausgehend von Objekten und Relikten in der Stadt von außergewöhnlichen Begebenheiten erzählen.

