Abo

Kölner Unternehmer packt aus„Den Strand sah ich erstmals mit 19 Jahren“

Yakup Aras (32) weiß aus eigener Erfahrung, wie Bildung, soziale Teilhabe und Finanzen zusammenhängen. Mit seiner „Learn Company“ will er die Lage für Kinder aus einkommensschwachen Familien verbessern.

Yakup Aras (32) weiß aus eigener Erfahrung, wie Bildung, soziale Teilhabe und Finanzen zusammenhängen. Mit seiner „Learn Company“ will er die Lage für Kinder aus einkommensschwachen Familien verbessern.

Aktualisiert

Yakup Aras kennt Armut. Heute hilft er Kindern in Not.

Das Görlinger Zentrum am Kölner Stadtrand ist das, was man einen sozialen Brennpunkt nennt. Weit weg ist hier im 12. Stock eines Wohnturms der hippe Kern des Bezirks Ehrenfeld. Die Skyline der Metropole am Horizont mit Colonius, Kölnturm und Dom scheint nicht mehr zu dieser Welt aus grauem Beton zu gehören.

„Einmal ging es auf Klassenfahrt, da war ich in der 4. Klasse. Wir standen am Reisebus und ich habe meinem Vater gesagt, dass ich Geld brauche. Da hat er mir 5 Euro gegeben und gemeint, wenn ich am Freitag wiederkomme, dann solle ich von dem Rest Brot mitbringen“, berichtet Yakup Aras. „Er hatte kein Verhältnis zum Geld und zu den Realitäten, die es an einer deutschen Schule gab.“ Sein Händedruck ist fest, sein Blick entschlossen. Von der Verzweiflung durch Armut ist nichts zu spüren.

Vom Brennpunkt-Kind zum Unternehmer

Der 32-Jährige hat die Lebenswirklichkeit der meisten der 10.000 Bewohnerinnen und Bewohner dieser Großwohnsiedlung längst hinter sich gelassen. Wer könnte diesen Menschen besser zur Seite stehen als einer von ihnen? Vor acht Jahren gründete Aras mit einem Kommilitonen die „Learn Company“, einen Nachhilfeanbieter. Die Räumlichkeiten in Bocklemünd befinden sich im Erdgeschoss eines der Querriegel, gegenüber einer Sparkasse, einem Netto und einem Barbershop in einer heruntergekommenen Passage.

Wie bedeutend Bildung nicht nur für die Schulzeit, sondern für die soziale Teilhabe ist, hat Aras am eigenen Leib erfahren. Aufgewachsen in Wuppertal mit acht Geschwistern, musste er sich alles selbst beibringen. Seine Eltern flohen aus den kurdischen Gebieten der Türkei, die Mutter ist Analphabetin. Der Vater „wusste, was er für die Arbeit braucht, wie er mit seinem Vorgesetzten zu reden hat, hat aber ansonsten kaum Deutsch gesprochen“, so Aras. Zu Hause wurde Kurdisch gesprochen.

Dennoch legte der Vater großen Wert auf Bildung und sammelte jedes Buch, das er auf dem Sperrmüll, in Bücherregalen oder auf Flohmärkten fand. „Er hat Bücher für uns gesammelt. Einmal verteilte er Lexika unter den vier jüngsten Kindern, ohne zu wissen, was das überhaupt ist.“

Vater bestand darauf, dass Kinder Lexika lesen

„Er bestand darauf, dass wir die lesen, also haben wir uns aufgeteilt, einer hat von A bis D gelesen und so weiter, und die Bände dann untereinander getauscht. Er hat sehr viel Wert auf Bildung gelegt, obwohl er selber keine hatte“, erzählt Aras.

Mit der „Learn Company“ wollen der Gründer und sein Team Kindern aus einkommensschwachen Familien Bildung und soziale Teilhabe ermöglichen. Deshalb finden sich auch Freizeitkurse im Angebot.

„Aufgrund dieser Armut bei uns zu Hause konnte ich nie mit den Kindern über andere Sachen als die Schule sprechen. Hobbys, Urlaube - das gab es bei uns nicht“, so Aras. In den Sommerferien habe er immer gehofft, nicht nach seinem Urlaub gefragt zu werden. „Damit ich keine Lügengeschichten erfinden muss“, erinnert er sich.

Der Vater war Alleinverdiener und arbeitete wegen einer Gehbehinderung in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Dazu kam das Kindergeld, mehr nicht. Früh jobbte Aras, um auszuhelfen, übersetzte beim Amt und sogar auf seinem eigenen Elternsprechtag.

Das Foto zeigt Yakup Aras, rechts, mit Kindern, links, bei einem Angebot der durch ihn gegründeten Firma „Learn Company“. Foto: Privat

Das Foto zeigt Yakup Aras, rechts, mit Kindern, links, bei einem Angebot der durch ihn gegründeten Firma „Learn Company“. Foto: Privat

Heute möchte er alle erreichen: Die Kinder, die Anspruch auf staatlich geförderte Nachhilfe haben, aber auch jene, die knapp durchs Raster fallen, weil die Eltern zu viel verdienen – und dennoch arm sind. Dafür hat er das Plus-1-Programm ins Leben gerufen: Eltern, die finanziell besser dastehen, zahlen für die Nachhilfe ihrer Kinder. „Wir nehmen von diesem erwirtschafteten Geld eine gewisse Prozentzahl und verwenden sie für das Plus-1-Programm oder stecken sie in soziale Projekte im Sozialraum, Feste und Veranstaltungen, die wir unterstützen und alles, was dazu gehört“, erläutert Aras.

Von Köln aus in die ganze Republik

Dieses Programm sei deutschlandweit einzigartig und habe der Firma den Sprung nach Berlin ermöglicht. Neben der Hauptstadt ist die „Learn Company auch in Chorweiler und Porz sowie in Remscheid und Wuppertal vertreten. Das Büro ist in Ehrenfeld. „In Köln ist alles entstanden, hier ist die Zentrale, das Herz des Unternehmens“, das laut Gründer ungefähr 3000 Schüler bundesweit betreut.

Kooperationen mit zwei Dutzend Schulen in Köln

Der Erfolg des Konzepts zeige sich darin, dass „immer wieder neue, aber jedes Jahr überwiegend andere Schüler kommen“, erklärt Aras. 300 Kräfte geben den Kindern und Jugendlichen bundesweit Nachhilfe. Die Stunden finden auch online, zu Hause, in den Schulen – 32 insgesamt, davon 24 in Köln – sowie in Unterkünften für Geflüchtete oder CVJM-Einrichtungen statt.

Aras versteht, woher die Probleme der Kinder kommen, er weiß, dass Armut, Bildung und Zukunftschancen zusammenhängen. „Ich konnte nie darüber reden, wie ein Stadion von innen aussieht, darüber reden, wie ein Strand aussieht. Ich habe den Strand zum ersten Mal mit 19 gesehen, als ich von meinem Ersparten in Urlaub geflogen bin.“

Die Noten des zweitjüngsten Kindes der Familie waren zwar gut, trotzdem flog er zweimal von der Schule und brach schließlich ab. Er habe früh die Lust verloren, erst als Erwachsener holte er die Abschlüsse auf dem zweiten Bildungsweg nach und machte eine duale Ausbildung.

Mehr als nur Nachhilfe

Heute unterstützt er Kinder auf ihrem Weg. „Oft kommen die Schulen auf uns zu, weil sie durch andere Kooperationspartner von uns gehört haben.“ Oder Schulsozialarbeiter, durch Kollegen, durch gemeinsame Arbeitskreise. Auch die Mitarbeitenden der „Learn Company“ gehen aktiv auf Partner zu und sind in Stadtteilkonferenzen sowie Arbeitsgruppen vertreten (red).

Dieser Inhalt wurde mit Hilfe von KI erstellt.