Kölner Oberstaatsanwalt„Zu lasche Urteile? Das ist mir viel zu pauschal“

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Der Kölner Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer besuchte die EXPRESS-Redaktion in Niehl zum Köln-Gespräch.

Köln – Er liebt die kölsche Lebensart, die kulturelle Szene der Stadt und die feine italienische Küche vom „Cucina Di Rosa“ im Agnesviertel. Beruflich erlebt Ulrich Bremer (51) ein krasses Kontrastprogramm. Mord und Totschlag ist das Tagesgeschäft des Oberstaatsanwalts, er leitet die Kapitalabteilung der Behörde und ist Pressesprecher.

Sie werden als Oberstaatsanwalt und Pressesprecher der Behörde täglich mit dutzenden Verbrechen und Vergehen in Köln konfrontiert. Fühlen Sie sich persönlich in dieser Stadt sicher?Ich würde auch nicht unbedingt um drei Uhr nachts die Kölner Ringe an manchen Stellen hinabspazieren, sondern eher ein Taxi nach Hause nehmen. Aber generell fühle ich mich in Köln sehr sicher. Nach der Silvesternacht 2015/16 haben mich auswärtige Bekannte und Verwandte gefragt, ob man überhaupt noch nach Köln reisen sollte. Der Ruf der Stadt hat gelitten.

Ich bin froh, dass die Kölner sich ihre weltoffene und tolerante Lebensweise bewahrt haben. Auch wenn Spötter das gerne mal mit Gleichgültigkeit gleichsetzen.

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Entscheidungen der Justiz scheinen der Bevölkerung ja alles andere als gleichgültig zu sein, was diverse hitzige Diskussionen in den sozialen Medien zeigen.

Wenn sie auf Facebook-Shitstorms hinaus wollen. Da ärgert es mich schon, wenn etwa unsachlich über Anträge der Staatsanwaltschaft gehetzt wird. Ich habe den Ehrgeiz, Dinge immer verständlich darzustellen. Das war etwa in einem Fall schwierig, als Jugendliche einen älteren Herrn in der KVB verprügelt haben, keiner der Täter aber in Haft kam.

Weil das Volk solche Entscheidungen nicht immer versteht.Es sieht dann in den Medienberichten gerne mal so aus, dass der Oberstaatsanwalt keinen Haftgrund sieht, alle anderen aber schon. Dabei sind die Voraussetzungen für U-Haft sehr streng. Wer einen festen Wohnsitz hat, für den gilt erst mal keine Fluchtgefahr. Und eine Wiederholungsgefahr greift in vielen Fällen nur bei Sexualdelikten oder bandenmäßiger Begehung.

Der Kölner Justiz sagt man ja generell nach, zu lasch zu urteilen.

Das ist mir viel zu pauschal und wird den Richtern auch nicht gerecht. Es gibt ja angeblich dieses Nord-Süd-Gefälle. Schon in Koblenz würde viel härter geurteilt. Köln ist aber eine Millionenstadt, hier passiert es nun mal häufiger, dass ein Dealer mit 500 Gramm Kokain unterwegs ist.  Diese Fälle muss ein Richter einordnen.

Die Rückmeldungen aus der Bevölkerung sind aber auch sehr ambivalent. Dem einen erscheint ein Urteil von sechs  Monaten Haft auf Bewährung für einen Handydieb aus der Silvesternacht als zu hart, der andere beschwert sich über die Bewährung und setzt es mit Freispruch gleich.

Dass die Totraser vom Auenweg mit Bewährung davonkamen, will aber auch die Staatsanwaltschaft nicht akzeptieren.

Das ist richtig, und daher haben wir in dem Fall auch Revision eingelegt. Gleichwohl muss man sehen, dass hier eine fahrlässige Tötung angeklagt war, kein vorsätzliches Tötungsdelikt. Der Strafrahmen liegt hier bei maximal fünf Jahren.

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Bremer im Gespräch mit  EXPRESS-Lokalchef Christian Lorenz,  Chefredakteur  Thomas Kemmerer sowie den Redakteuren  Hendrik Pusch, Carsten Rust und Robert Baumanns (v.l.).

Und warum kann man in Köln bei solchen Raser-Idioten, die mit 100 Sachen quer durch die Stadt jagen, keinen Vorsatz annehmen? In Berlin geht das doch auch, dort wurden zwei City-Raser wegen Mordes angeklagt.

Der Fall lag anders. Aber auch wir werden künftig den möglichen Vorsatz sehr genau prüfen.  Gerade durch die Fälle der Vergangenheit, die auch groß in der Presse waren,  sollten potenzielle Raser gewarnt sein und sich nicht unbedingt auf Fahrlässigkeit berufen können. Aber auch hier sind die Vorgaben des Bundesgerichtshofs sehr streng.

Sie sind ja gleichzeitig auch Pressesprecher der Staatsanwaltschaft. Was gilt es da bei der Auskunft über aktuelle Fälle zu beachten?

Es ist ein Spannungsfeld zwischen dem Informationsbedürfnis der Bevölkerung und dem Schutz von Persönlichkeitsrechten. Ein Beispiel: Ein Trainer in einem Sportverein wird beschuldigt, Kinder unsittlich berührt zu haben.

In Deutschland gilt aber zunächst einmal die Unschuldsvermutung. Also werde ich in so einem Fall, der höchstpersönliche Lebensbereiche berührt, nur sehr zurückhaltend Auskunft geben. Wir wollen niemandem ein Schild in den Vorgarten stellen mit der Aufschrift: „Hier wohnt ein Sex-Täter.“

Gibt es für Sie als Pressesprecher durch die zunehmende Digitalisierung neue Anforderungen?

Unsere niederländischen Kollegen sind bereits über Twitter unterwegs, dort wird direkt mit der Bevölkerung kommuniziert. So weit sind wir noch nicht. Was ich feststelle, ist ein bei den Medien offenbar gestiegener Druck, online  immer der erste mit der Nachricht zu sein.

Alles wird schnelllebiger. Das kann dann auch mal schiefgehen. Ein Bespiel: Der EXPRESS hatte im Dezember über ein Tötungsdelikt am Flughafen berichtet. Laut Oberstaatsanwalt, da war ich gemeint, soll eine Mutter ihr Neugeborenes mit den Händen erstickt haben. Das hatte ich so nie gesagt und entsprach auch nicht den Tatsachen. Ich habe dies dann bei der Verteidigung der Beschuldigten richtigstellen müssen, um drohenden Schaden von dem Verfahren abzuwenden.

Welcher Fall hat Sie zuletzt persönlich am meisten bewegt?

Da war sicher der Mordfall in der Salatbar sehr herausragend. Die Arbeit an dem Fall war enorm, es gab viele Spuren, mehrere Aktenbände wurden gefüllt. Am Ende überführte ein DNA-Abgleich den Täter, nach neun Jahren. Da Mord nicht verjährt, ermitteln wir immer wieder in alten Fällen. Auch, weil sich die DNA-Technik immer verbessert. Aktuell ermitteln wir wieder in einem Tötungsdelikt im Frankenforst aus dem Jahr 1992. Hier wurde eine Joggerin getötet.

Wie nah ist ein Staatsanwalt in Ihrer „Mord und Totschlag“-Abteilung denn überhaupt am Geschehen dran?

Sehr nah! Es gibt immer Kollegen in Bereitschaft, die von der Polizei zum Tatort gerufen werden. Da liegt bei Mordfällen dann auch meistens noch die Leiche. Der Staatsanwalt verschafft sich so einen ersten Überblick über den Tatverlauf und die Umgebung. Später ist er auch bei der Obduktion in der Gerichtsmedizin dabei.

Das ist ja sicher nicht jedermanns Sache…

Richtig, manche Kollegen bearbeiten lieber Tötungsdelikte, die anderen wälzen Steuerbescheide von verdächtigen Wirtschaftsstraftätern. Es möchte auch nicht jeder in Fällen islamistischer Netzwerke ermitteln. Das ist ein ganz anderes Arbeiten und von hoher politischer Brisanz.