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„Das gehört sich nicht“Kollegen-Schelte: Was Niedecken an vielen Köln-Liedern stört

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„Alles fließt“: Wolfgang Niedecken blickt beim Interview-Termin Mitte August 2020 auf den Rhein, im Hintergrund das Köln-Panorama.

von Jan Wördenweber (jan)

Köln  – Wolfgang Niedecken ist immer für mindestens eine Geschichte gut. Auch deshalb ist er bundesweit ein gern gesehener Talkshow-Gast. In den vergangenen Monaten ist besonders „vill passiert“, wie der 69-Jährige sagen würde. Vieles hat sich angestaut, vieles ist entstanden – unter anderem ein neues BAP-Album – und nicht nur das und Corona bewegt die Kölner Rocklegende.

Und so entwickelt sich am Marienburger Rheinufer ein Interview, das es in sich hat. Wolfgang Niedecken: Schonungslos offen – teilweise knallhart, auch zu sich selbst – und ebenso humorvoll.  

Wolfgang Niedecken: Tränen bei neuem BAP-Song in der Familie

EXPRESS: Das neue Album wird zwar erst am 18. September veröffentlicht. Aber was man vorab hören konnte, ist purer Rock’n‘Roll. So viele schnelle Uptempo-Nummern gab es lange nicht mehr bei BAP. Wie kam es dazu? Wolfgang Niedecken: Das war Vorsatz. Wir wollten ein rockiges Album machen. Erst ganz am Schluss habe ich die Balladen betextet. Die tun dem Album aber auch gut, weil sie wie kleine Oasen sind, wo man mal Luft holen kann.

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Eine davon heißt „Mittlerweile Josephine“, die Sie ihrer Tochter Jojo gewidmet haben. Das geht dermaßen ans Herz, selbst wenn man keine Kinder hat… Das ist in der Tat ein Song, wo bei allen Beteiligten die Tränen geflossen sind, als ich ihn vorgespielt habe. Meine Ladys sind eigentlich ziemlich taff und nicht so nah am Wasser gebaut. Aber bei der Nummer hat es sie dann voll erwischt…

Wie kam es zu dem Song? Die Nummer hieß als Demo „Rosie“, ich fand allein schon die Musik von unserem Gitarristen Ulle wunderschön. Das Solo hat mich übrigens an das vom „November Rain“ von Guns `n` Roses erinnert. Was fang ich mit der „Rosie“ an? Irgendwann kam ich dann auf Josie, allerdings haben wir die Jojo nie Josie genannt. Im Pass steht Joana-Josephine. Bei Kindern ist das manchmal so, dass sie irgendwann ein Alter erreicht haben, wo diese Verkleinerungsformen nicht mehr passen. Hansi Flick hätte auch sicher gerne, dass man ihn Hans Flick nennen würde. Aber dafür ist es jetzt zu spät: Alle lieben „Hansi Flick“ und das ist gut so.

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Auf dem Marienburger Bootshaus sprach EXPRESS-Redakteur Jan Wördenweber mit Wolfgang Niedecken.

In dem Song blicken Sie als Vater auf das Leben ihrer Tochter. Wenn man das macht, dann gehen bei einem jede Menge Bilder ab. Was haben wir mit dem Kind nicht alles erlebt! Die Jojo war immer total wild und frech, die war immer schon Rock ’n‘ Roll. Umso schöner, dass der Song offenbar nicht nur meiner Familie unter die Haut geht.

Normalerweise würden jetzt neben einem Album auch die Tourdaten veröffentlicht. Wie sehr lähmt Corona den BAP-Betrieb? Noch sind wir Feuer und Flamme. So eine unfassbar gute Resonanz auf ein neues Album habe ich lange nicht mehr erlebt. Aber: Wir können einfach keine Tour planen. So ist das nun mal.

Also ist Geduld das große Wort? Genau das ist es: Geduld haben. Nicht nachlässig werden, was die Corona-Maßnahmen betrifft. Keith Richards würde auch nichts anderes sagen als: Leute, bleibt vernünftig!

Apropos Keith Richards: BAP rockt wie lange nicht mehr. Der neue Song „Amelie“ etwa klingt so, als wären bei BAP noch ZZ Top und Rory Gallagher dabei. (lacht): Ja, und in der Mitte kommt sogar noch ein schönes Jimi Hendrix-Zitat aus „Crosstown Traffic.“

Textlich aber werden Kritiker sicher sagen, dass Wolfgang Niedecken immer mehr zurück blickt. Das ist in vielen Songs so, nicht erst seit gestern. Ja, was willst Du als alter Mann sonst auch machen? (lacht)

Das wäre jetzt meine nächste Frage gewesen… Ich werde den Teufel tun und mich mit kurz vor 70 als Berufsjugendlicher aufspielen! Als wenn ich mit 69 noch gleich drauf wäre wie mit 25. Das wäre Quatsch. Ich singe über das, was ich erlebt habe. Aber immer aus der Warte von dem, dem ich die Zähne putze. Ich werde mich nicht verstellen, nur weil einige Leute das Gefühl haben, der könnte ja auch mal so tun, als ob er gerade zum ersten Mal gevögelt hätte. Was für ein Scheiß; Ich habe 4 erwachsene Kinder und 2 Enkel, hallo!?

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Am Rhein ist er zu Hause: Wolfgang Niedecken veröffentlicht mit BAP am 18. September ein neues Studio-Album.

Im Song „Arrangiert“ äußern Sie Kritik an Leuten, die angepasst durchs Leben gehen. Aber wer kann es sich heute noch anders herum leisten? Da ist jemand schnell seinen Job los, ob am Fließband oder in der Bank. Ja, deshalb bemühe ich mich ja auch, sie zu verstehen. Das Lied endet übrigens versöhnlich. Was will denn jemand machen, der eine Familie zu ernähren hat, und nicht das Privileg eines Künstlers hat? Ich bin immer am besten, wenn ich gegen den Wind laufe.

Wie meinen Sie das? Ich bin am besten, wenn ich bin wie ich bin. Und ich bin nun mal keiner, den Du einplanen kannst. Wenn jemand mich für eine bestimmte Sache einplanen will, ist der schon mal auf dem Holzweg. Mich kannst Du nicht vor einen Karren spannen. Wenn, dann spanne ich mich selbst vor einen Karren. Das war schon immer so. Wenn ich zu irgendwas genötigt wurde, war ich relativ schnell weg.

Heute gegen den Strom zu schwimmen ist wahrscheinlich einfacher als in Ihren Jugendjahren im spießigen Nachkriegsdeutschland. Oder? Ich habe schon recht früh gemerkt, wo meine Talente liegen und wo nicht. Ich hätte gar nichts anders machen können. Ich konnte malen, und ich konnte der Frontmann einer Band sein. Ich bin kein begnadeter Gitarrist, ich bin kein Caruso, ich war immer happy, dass ich begnadete Musiker in der Band hatte, die geholfen haben, meine Texte musikalisch umzusetzen.

Wolfgang Niedecken: BWL oder Jura war ausgeschlossen

Hätte es denn überhaupt einen anderen Job als Künstler gegeben für Sie? Wenn, dann hätte ich mir Lehrer für Geschichte, Erdkunde oder Deutsch vorstellen können – neben Kunstlehrer versteht sich. Mein Vater hätte es gerne gesehen, wenn ich Jura oder BWL studiert hätte. Aber das war absolut ausgeschlossen.

Corona bestimmt seit Monaten die öffentliche Diskussion. Dabei scheinen die Corona-Leugner immer lauter zu werden. Welche Fehler sind Ihrer Meinung nach gemacht worden? Da kein Mensch wissen konnte, wie sich diese Pandemie entwickelt, ist es doch klar, dass auch Fehler gemacht wurden. Ein ganz blöder war, dass man am Anfang gesagt hat, Masken würden nichts bringen – weil es zu wenige davon gab. Das hat sich in den Köpfen der Leute festgesetzt. Als die Masken dann da waren, waren sie plötzlich notwendig. Es wäre besser gewesen, wenn jemand die Eier gehabt hätte zuzugeben, dass man nicht vorgesorgt hatte. Ich finde zum Beispiel Karl Lauterbach sensationell, weil er den Mut hat, auch schlechte Nachrichten zu überbringen.

Wolfgang Niedecken: Lob für Karl Lauterbach

Der Kölner Dauergast bei Lanz und Co. ... Ja, der hat bei mir sowas von gewonnen. Der lässt sich einfach nicht unterkriegen – ob mit Fliege oder ohne. Joode Mann!

Aber viele Politiker werden die Grunderfahrung gemacht haben, dass Ehrlichkeit oft bestraft wird. Aber man kann doch einfach auch mal sagen: „Ich weiß es nicht!“ Das ist doch in Ordnung. Ich musste das ja auch mal lernen. Als ich Anfang der 80er Jahre erstmals zu politischen Themen befragt wurde, da habe ich gedacht, ich müsste von allem eine Ahnung haben und habe vermutlich teilweise unfassbaren Scheiß erzählt. Anstatt zu sagen: Weiß ich nix von – tut mir leid. Hast Du nicht noch ‘ne andere Frage… 

Im Zuge der Corona-Pandemie werden die Masken-Gegner und Leugner immer lauter. Beunruhigt Sie das? Ich sag es mal so: Vor allen Dingen darf man nicht hinnehmen, dass da Nazis mitlaufen. Diese Bewegung ist sowieso ein Scheinriese. Die sind nicht wirklich groß. Die tun so, als ob sie groß wären. Das ist ihr Konzept. Du merkst erst, wie klein sie sind, wenn Du Dich mit denen angelegt hast. Der mit Abstand größte Teil der Bevölkerung steht zum Glück hinter den Maßnahmen.

Auf dem Cover des neuen Albums schauen Sie vom Vierungsturm auf den Rhein, passend zum Titel „Alles fließt.“ Wie kam es dazu? Es ist ein bewusst klares Bekenntnis zu meiner Heimat. Inspiriert hat mich das berühmte Foto von Walter Dick, das die Hohenzollernbrücke 1946 zerbombt im Rhein liegend zeigt. Das hängt bei mir im Arbeitszimmer. Ich sehe es täglich und denke immer wieder: So weit darf es nie mehr kommen.

„Liebe Deine Stadt“ steht auf der Nord-Süd-Fahrt. Ein Spruch, den Sie unterschreiben? Ja, denn ich mag meinen Heimathafen tatsächlich gerne. Es sind vor allem die Menschen, die sie wieder aufgebaut haben, aus den Trümmern dieser zerbombten Stadt… Da bin ich aber nicht der einzige: Die Kölner lieben ihre Stadt abgöttisch. Auf dieser Klaviatur können ja auch Sie als EXPRESS-Journalist endlos spielen, solange es nicht Überhand nimmt. Der einzige, der Sie dann ab und zu mal ermahnt, bin ich (lacht).

Es geht von „charmant bis platt“, wie Sie selbst in „Dausende vun Liebesleeder“ singen. Absolut. Deshalb mag ich die allzu plumpe Ranschmeiße mancher Kollegen nicht. Die Liebe zu Köln ist unschuldig und verletzbar. Die darf man nicht ausnutzen. Das gehört sich nicht.