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Köln-GesprächAndreas Rettig: Man kann nicht mehr mit goldenen Steaks punkten

Andreas Rettig seht auf einem Fußballplatz.

Andreas Rettig, hier am 24. September auf dem Sportplatz der SC Victoria Köln, ist Geschäftsführer des Drittlegisten.

EXPRESS.de lädt zum Gespräch: Diesmal Andreas Rettig, der als Fußballer regionale Stationen wie FV Bad Honnef, Viktoria Köln, SC Brück und Wuppertaler SV durchlief. Anschließend war er unter anderem für Bayer 04 Leverkusen tätig und war Manager des 1. FC Köln. Seit Mai 2021 ist Rettig Vorsitzender der Geschäftsführung bei Viktoria Köln.

von Christof Ernst (che)

Köln. Selbst ist der Mann: Zum Köln-Gespräch erscheint Andras Rettig (58), Sportdirektor von Drittligist Viktoria Köln, mit einer Thermoskanne Kaffee, zwei Bechern und einem Schälchen mit Kaffeesahne in den Händen. An diesem schönen Herbsttag wandern wir zum Trainingsplatz, setzen uns vor die Umkleidekabine, und los geht’s.

Themen gibt’s genug: Rettigs Rückkehr nach Köln, seine Vorstellungen von sozial-verantwortlichem Profifußball und seine ausgesprochen erfrischende Kritikfreudigkeit.

Andreas Rettig im Köln-Gespräch mit klarem Heimatbekenntnis 

Herr Rettig, Sie haben als Sportdirektor bei Spitzenvereinen des deutschen Fußballs gearbeitet. Jetzt haben Sie bei Viktoria Köln, Dritte Liga, angeheuert. Ein Abstieg?

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Andreas Rettig: Auf keinen Fall. Meine Rückkehr nach Köln hatte mehrere gute Gründe. Zum einen ist es die alte Verbundenheit zur Viktoria, bei der ich früher selbst gespielt habe. Auch Mäzen Franz-Josef Wernze war ein wichtiger Grund. Zum anderen hatten meine Frau und ich das Vagabundenleben satt und wollten nicht mehr umziehen. Wir haben in ganz tollen Städten gelebt. Aber unsere Heimat ist Köln, wo wir in Lindenthal zu Hause sind.

Kann es sein, dass sich Ihre Frau Cordula besonders freut, wieder in Köln zu sein?

Rettig: Aber ja, sie ist fest verwurzelt in Köln. Obwohl: Wir sind beide nicht einmal hier geboren. Meine Frau kam in Hilden zur Welt, ich in Leverkusen. Aber auf den Ort unserer Geburt hatten wir seinerzeit keinen Einfluss. (Rettig lacht). Cordula ist ein richtiger Karnevals-Jeck: Die Nacht von Weiberfastnacht bis Rosenmontag ist sie auf Jöck. Egal wo wir gelebt haben – ob in Hamburg, Augsburg oder Freiburg – immer hatte sie in ihrem Apotheken-Arbeitsvertrag reinschreiben lassen, dass sie in der Karnevalswoche frei hat. Außerdem lebt ihre 87-jährige Mutter in Hürth.

Andreas Rettig: „Man kann nicht mehr mit goldenen Steaks und extra eingeflogenen Frisören punkten“

Seit Sie bei Viktoria Köln im Amt sind, steht in den Verträgen der Spieler und Mitarbeiter eine sogenannte Gemeinwohl-Klausel. Was bedeutet sie?

Rettig: Sie besagt, dass jeder mindestens eine Stunde im Monat etwas Sinnstiftendes tun soll, und zwar in den Bereichen Nachhaltigkeit, Soziales sowie Bildung. Wir machen den Spielern Vorschläge, was sie tun können. Das kann zum Beispiel eine Blutspende sein. Auch die dient dem Gemeinwohl. Dieser Passus in unseren Verträgen ist übrigens einmalig im deutschen Fußball.

Warum haben Sie das eingeführt?

Rettig: Eine Branche wie der Fußball, die mit und durch ihre Öffentlichkeit Geld verdient, braucht gesellschaftliche Akzeptanz. Wenn Jugendliche für „Fridays for future“ auf die Straße gehen, dann kann man nicht mehr mit goldenen Steaks und Frisören punkten, die extra für die Spieler eingeflogen werden. Die Zeiten sind längst vorbei.

Aber dann liest man ganz aktuell, dass Cristiano Ronaldo 125 Millionen Euro im Jahr verdient.

Rettig: Ja, und das ist einfach nur noch unanständig und abstoßend, aber das ist nicht allein Herrn Ronaldo anzulasten. Auch die „normalen“ Spieler im Profibereich verdienen fast immer mehr als in der realen Wirtschaft. Und das kann zu einem großen Problem werden. Da werden oft Sozialfälle produziert.

Wie meinen Sie das?

Rettig: Die Karriere eines Spielers dauert in der Regel bis zum 35. Lebensjahr. In der Zeit hat er sich wegen des Gehaltes an einen hohen Lebensstandard gewöhnt. Solange er aktuell das Trikot seines Vereins trägt, kriegt er den besten Tisch beim Italiener. Aber dann ist das vorbei, und das Portemonnaie ist ganz schnell leer. Da muss man rechtzeitig vorsorgen.

Andreas Rettig braucht kein dickes Auto und keine Designer-Klamotten

Haben Sie sich selbst darangehalten?

Rettig: Ja, ich befolge beruflich und privat die simple Regel, nicht mehr auszugeben, als ich eingenommen habe. Außerdem haben sich meine Frau und ich nie über Statussymbole definiert. Wir brauchen kein dickes Auto und keine Designer-Klamotten. Wir sind nicht knauserig, aber wir haben das Geld immer gut zusammengehalten, so dass es jetzt für eine tägliche warme Mahlzeit reicht.

Sie gelten im Sport und darüber hinaus als Mann der klaren Worte. War das schon immer so?

Rettig: Es war ein Prozess. Zu Beginn meiner Karriere als Fußballer war ich noch nicht auf Krawall gebürstet, sondern eher zurückhaltender. Später hat mich das Stromlinienförmige, das Glattgebügelte und dieser Einheitsbrei, den man oft in Interviews zu hören bekommt, immer häufiger geärgert. Ich vertrete den Standpunkt: Wenn ich mich vor eine Kamera stelle, muss ich auch was zu sagen haben – oder ich lasse es bleiben. Da profitiere ich im Übrigen von der oben erwähnten finanziellen Unabhängigkeit: Ich muss mich bei Kritik nicht fragen, ob ich dabei jemanden vors Schienbein trete. Für den diplomatischen Dienst bin ich denkbar ungeeignet.

Müssen Sie durch Ihre Offenheit nicht die Folgen in den sogenannten sozialen Medien fürchten?

Rettig: Nein, weil ich diese nicht konsumiere und weder bei Facebook, Instagram, Twitter oder wo auch immer unterwegs bin.

Wie politisch ist der Fußball?

Rettig: Ich würde es nicht begrüßen, wenn Spieler parteipolitisch unterwegs wären. Aber wenn es darum geht, sich zu gesellschaftlichen Fragen zu positionieren, muss auch der Fußball seine Stimme erheben.

Sollten sich mehr Fußballer als schwul outen?

Rettig: Wenn nicht im bunten, toleranten Köln, wo sonst? Es ist aber immer eine Einzelfallentscheidung. Man kann ein Outing nicht verordnen. Selbst Corny Littmann, der ehemalige Präsident von St. Pauli, der offen schwul lebt, sagt: „Das muss jeder für sich entscheiden.“ Die Zeit wäre eigentlich längst reif dafür, aber die Angst vor dem Outing scheint immer noch übermächtig zu sein.

Wie sieht Ihr Leben abseits des Fußballs aus? Gehen Sie zum Beispiel ins Theater? Das Angebot in Köln ist groß.

Rettig: Zu wenig, wie ich gestehen muss. Zuletzt habe ich Peter Lohmeyer im Schauspielhaus gesehen. Ich rede mich gerne damit heraus, dass Fußball ja auch Kultur ist.

Träumen Sie manchmal noch von 1985, als Sie im Trikot des Wuppertaler SV die Flanke schossen, die zum „Tor des Monats“ führte?

Rettig: Ja, und den Traum halten wir immer noch am Leben. Das sind Klaus-Dieter Nuyken, der damals das Tor schoss, unser Mitspieler Andreas Haremski und ich. Wir treffen uns seit zehn Jahren einmal im Jahr, gehen irgendwo in eine Bahnhofskneipe und spielen Skat. Klaus-Dieter legt dann die Medaille, die er damals bekam, auf den Tisch. Und ich kann Ihnen nur sagen: Das Tor wird nach jedem Kölsch schöner!

Sie spielten damals Rechtsaußen.

Rettig: Ja, aber nur auf dem Platz. Um es mit einem Augenzwinkern zu sagen: Seit der Geburt habe ich eine medizinisch anerkannte Rot-Grün-Schwäche.

Zurück zum Anfang: Drei Gründe, warum Köln die geilste Stadt Deutschlands ist.

Rettig: Die Viktoria, die linke und die rechte Rheinseite. Das sind doch drei Gründe, oder?