Zusammen beim FCDaum über Lattek: Mein Training interessierte ihn sowieso nicht

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Wiedersehen im Jahr 2007. Udo Lattek als TV-Experte trifft auf den FC-Trainer Christoph Daum.

Köln – Natürlich denken die meisten beim Thema Christoph Daum (66) sofort an den Kokain-Skandal aus dem Jahr 2000. Die Flucht nach Florida, die bizarren Pressekonferenzen. Aber der Meistertrainer erlebte auch ganz andere emotionale Momente in seiner Karriere. Eine besondere Beziehung pflegte er zu Udo Lattek (†2015 in Köln). Im Juli 1987 kam Lattek als Sportdirektor von Bayern München zum 1. FC Köln. Dort war Daum gerade seit einem knappen Jahr Cheftrainer.

In seiner Autobiographie „Immer am Limit“ erzählt Daum von besonderen Momenten.

Ich war das genaue Gegenteil von Udo. Nichts an mir war laut oder glänzte, im Gegenteil, ich etablierte mich still und langsam als Bundesligatrainer. Wer behauptet, ich sei schon damals ein Großmaul gewesen, erzählt Blödsinn. Trotzdem begannen die Menschen, stärker Notiz von mir zu nehmen. Das lag vor allem daran, dass ich Taten sprechen ließ.

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„Kölns Trainer auf Erfolgskurs: Vom Däumling zum Riesen“, titelte der Express. Endlich, dachte ich im ersten Moment, dennoch blieb die Unsicherheit. Udo stellte alles und jeden in den Schatten. Er ließ sich von Menschen und Medien in Köln dafür feiern, dass er zum FC gekommen war.

Udo Lattek: „Was soll das Auslaufen schon bringen – Aussaufen bringt viel mehr!“

Manchmal wirkte Udos Macht wie eine Bedrohung. Würde er mich einmal öffentlich angehen, könnte ich gleich einpacken. Ich reagierte darauf, indem ich seine Nähe suchte. Ich brauchte keine taktischen Ratschläge von ihm, mein Training interessierte ihn sowieso nicht, aber ich wollte seinen Segen. Ich erzählte ihm zum Beispiel von meiner Aufstellung für das nächste Spiel oder welche Taktik ich wählen würde. Ich wollte einen Konsens mit ihm, um mich sicherer zu fühlen. Er sollte mich einfach nur bestätigen: Toll, Christoph, das hast du richtig entschieden, so ungefähr. Aber solche Dinge kümmerten Udo überhaupt nicht. Stattdessen sagte er fast immer: „Ach, das machst du schon.“ Nur einmal fragte er kritisch nach, warum ich so viel Wert auf intensives Regenerationstraining legen würde. „Was soll das Auslaufen schon bringen – Aussaufen bringt viel mehr!“ Das sollte wohl ein Scherz sein. Ich blieb an ihm dran.

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Erfolgs-Duo: Christoph Daum trainierte den 1. FC Köln, Udo Lattek war ab 1987 Sportdirektor.

Einsilbig waren unsere Unterhaltungen nie, ganz im Gegenteil. Besonders unsere Gespräche im Hotel gingen manchmal bis in die frühen Morgenstunden. Ich ließ die Mannschaft damals nicht nur vor den Auswärtsspielen, sondern auch in der Nacht vor unseren Heimspielen im Hotel übernachten. Am Anfang schliefen wir noch im Novotel an der Dürener Straße. Das war damals ein schlichtes Hotel in Köln, gute Betten, solides Essen, großer Konferenzraum – mehr brauchten wir nicht. Später zogen wir auf Udos Betreiben ins Bonotel um.

Die Hotelbesitzer wollten uns unbedingt bei sich einquartieren, und bei diesen Verhandlungen überraschte mich Udo. „Wenn wir bei euch schlafen sollen, muss für den Trainer und mich abends die Post abgehen!“, sagte er den Besitzern. Sie verstanden im ersten Moment offenbar genauso wenig wie ich. „Was soll das denn heißen?“, fragte einer von ihnen. Udo rollte mit den Augen. „Na, dass ihr freitagabends für reichlich Kaltgetränke und Unterhaltung sorgt!“, antwortete er. Darauf war ich nicht die Spur vorbereitet gewesen, ich kam mir wieder vor wie ein kleiner Junge. Ich versank in meinem Sessel. Udo grinste nur, und natürlich setzte er sich mit seiner Forderung durch.

Christoph Daum: „Wenn Udo Lattek vor mir stand oder neben mir saß, wurde ich klein“

Es kursierten später unheimlich viele Geschichten über Udo Lattek. Dass er gerne einen zu viel trank und dabei alle Hemmungen verlor. Auch damals wurde schon viel erzählt. Natürlich kannte ich diese Gerüchte. Sie veränderten jedoch nichts an meinem Bild von Udo. Wenn er vor mir stand oder neben mir saß, wurde ich klein. Udo machte nicht nur auf dicke Hose, er war die dicke Hose. Es gab nichts, was ihn aus der Fassung brachte.

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Seine Biografie „Immer am Limit“ schrieb Christoph Daum mit dem Journalisten Nils Bastek. Das Buch (320 Seiten, 22 Euro) erscheint am 12. Oktober bei Ullstein.

Umso größer war mein Schock, als ich das erste Mal mit ihm in seinem Hotelzimmer saß. Wir tranken noch ein, zwei Bier, bis Udo plötzlich Tränen in den Augen hatte. Ich weiß nicht, ob es der Alkohol war oder einfach nur ein Vertrauensbeweis, jedenfalls fing er an, mir von seinem Sohn Dirk zu erzählen. Dirk war 1981 im Alter von nur 15 Jahren an Leukämie verstorben. „Was ist das für ein Gott, der einen Jungen so jung sterben lässt?“, fragte Udo mit tränenerstickter Stimme. Er blickte mich nicht an, und ich weiß nicht, ob er überhaupt eine Antwort erwartete. Udo saß auf einem Sessel, die Ellbogen auf die Oberschenkel gestützt, die Handflächen auf seinem Gesicht. Die Tränen flossen langsam durch seine Finger. „Warum ist diese Welt so ungerecht?“ Er versuchte nicht, seine Trauer zu verstecken.

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich fühlte mich unwohl und wollte verschwinden, nur seine Tränen hielten mich fest. Was konnte ich ihm schon über das Leben erzählen? Er wusste doch so viel mehr als ich. Mein eigener Sohn Marcel war gerade mal ein Jahr alt, die Bilder seiner Geburt schossen mir durch den Kopf, konnte ihm auch so etwas passieren? Es war unvorstellbar. Udo weinte bitterlich, während ich schweigend auf meinem Sessel saß. Ich hätte mich am liebsten in Luft aufgelöst. Udo hatte Dirks Tod nie verkraftet; aber kann man so was überhaupt verkraften? Ich hatte nichts geahnt, wie auch?

Es fiel mir unfassbar schwer, in diesem Moment den richtigen Umgang mit ihm zu finden. Ich hatte ihn ja nur stark und laut gekannt. Das klingt vielleicht komisch, aber seine Tränen ließen Udo für mich zu einem Menschen werden. Ich hatte in ihm den Übertrainer mit den ganzen Titeln gesehen, jetzt schlug ein Herz in seiner Brust. Er konnte seine Gegner mit wenigen Worten kleinmachen, jetzt zeigte er sich selbst ganz winzig. Wie hatte er diese Rolle nur all die Jahre spielen können?

Ich habe mich später nie getraut, ihn auf diesen Abend anzusprechen. Es war merkwürdig. Schon am nächsten Tag schien es so, als hätte es die Nacht nie gegeben. Udo rannte wieder mit breiter Brust durch die Gegend und markierte den Starken. Seine Fassade faszinierte und verstörte mich, er machte einfach weiter.