Bald 3600 Euro Bußgeld?Wie die meisten Deutschen wirklich über eine Impfpflicht denken

Eine Ärztin bekommt in einem Pop-Up-Impf-Ort in Tübingen ihre Impfung mit dem Wirkstoff von Biontech von einem Medizinstudenten verabreicht. Die Ampel-Koalitionäre wollen mit ihrer Mehrheit im Bundestag die Corona-Impfpflicht in Krankenhäusern und Pflegeheimen einführen.

Eine Ärztin bekommt in einem Pop-Up-Impf-Ort in Tübingen ihre Impfung mit dem Wirkstoff von Biontech von einem Medizinstudenten verabreicht. Die Ampel-Koalitionäre wollen mit ihrer Mehrheit im Bundestag die Corona-Impfpflicht in Krankenhäusern und Pflegeheimen einführen. 

In Österreich soll sie im Februar kommen und auch bei uns in Deutschland wird sie heiß diskutiert: die Impfpflicht. Doch wie könnte sie aussehen? Wie hoch könnten die Strafen für Impfverweigerer sein? 

Während die vierte Welle über Deutschland rollt und die Zahlen tagtäglich auf neue Rekordwerte steigen, fällt das Wort immer häufiger: Impfpflicht. Selbst jene Politiker, die sie rigoros ausgeschlossen hatten, könnten sie sich nun vorstellen. Die Ampel-Koalitionäre wollen mit ihrer Mehrheit im Bundestag die Corona-Impfpflicht in Krankenhäusern und Pflegeheimen einführen, eine allgemeine Impfpflicht wird hier aber – auch wegen der FDP – wie ein heißes Eisen angefasst. Am Dienstag dann hat sich der künftige Kanzler Olaf Scholz erstmals für eine allgemeine Impfpflicht beim Bund-Länder-Treffen ausgesprochen. 

Auch bei den Juristen zeichnet sich längst ein Trend ab. Die Impfpflicht bekommt Rückendeckung aus der Rechtswissenschaft.

Modellierer, Experten und auch der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister sind sich einig: Eine Impfpflicht würde in der akuten Lage, in der sich Deutschland derzeit befindet, nicht helfen. Aber sie könnte uns vielleicht vor einer fünften Welle bewahren.

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Impfpflicht in Deutschland? Juristen geben Rückendeckung

Eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus – rechtlich wäre sie durchaus denkbar. Sie wäre, so etwa die Ansicht des Staatsrechtlers Ulrich Battis, vom Grundgesetz gedeckt. „Eine solche allgemeine Impfpflicht ist durchaus vertretbar – und zwar, um das Leben anderer Menschen zu schützen“, sagte der Rechtswissenschaftler von der Berliner Humboldt-Universität der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ in der vergangenen Woche. Battis verwies auf Artikel 2 des Grundgesetzes, der den Schutz des Lebens anderer Menschen festlegt. „Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, das ebenfalls der Artikel 2 festschreibt, hat dahinter zurückzutreten.“

Der Bielefelder Rechtsprofessor Franz C. Mayer geht im Gespräch mit dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND) in eine ähnliche Richtung: „Die Freiheit der Einzelnen endet da, wo Freiheit und Gesundheit anderer in Gefahr sind – das ist hier der Fall, wenn die Impfkampagne nicht gelingt.“

Mayer machte klar, dass es um eine Impfpflicht und keinen Impfzwang ginge. Für Impfverweigerer seien ein Bußgeld oder gesetzliche Regelungen zum Verlust des Krankenversicherungsschutzes denkbar. Auch Ministerpräsident Kretschmann hält Bußgeld für möglich. Niemand werde im Gefängnis landen oder von der Polizei zum Impfen abgeholt.

Impfpflicht: In Österreich wird über 3600 Euro Bußgeld diskutiert

Doch wie hoch könnte dieses Bußgeld aussehen? In Österreich, wo ab Februar die Impfpflicht gelten soll, aber noch nicht in ein Gesetz gegossen wurde, wird schon mit Zahlen jongliert. Die Frage der Sanktionen“, so schwant etwa der „Wiener Zeitung“, werde „zum Drahtseilakt“. Im Newsportal „Oe24“ war vor kurzem gar von „bis zu 3600 Euro“ die Rede. Bei mehrfachen Vergehen von besonders hartnäckigen Verweigerern „könnte die Sache auch strafrechtlich relevant werden“, so ein Mitglied der österreichischen Bioethikkommission in den „Vorarlberger Nachrichten“.

Das Grundgesetz gibt Impfverweigerern nicht das Recht, andere Menschen durch uneinsichtiges Verhalten zu gefährden.
Gunnar Duttge, Strafrechtsprofessor

In Deutschland gehen die Debatten nun in eine ähnliche Richtung. Zwar haben viele Politiker Angst vor der rechtlichen Situation, vor ablehnenden Urteilen aus Karlsruhe. Gunnar Duttge, Strafrechtsprofessor und Leiter der Abteilung für Medizin- und Biorecht an der Universität Göttingen, sagte im RND aber nun: Diese Angst sei übertrieben. „In Wirklichkeit kann der Staat unter Wahrung des Ordnungsrahmens der Grundrechte sehr viel machen.“ Das Grundgesetz gebe Impfverweigerern nicht das Recht, andere Menschen durch uneinsichtiges Verhalten zu gefährden.

Impfpflicht in Deutschland: „Der Staat darf sukzessive eskalieren”

Am Ende sei es eben eine Sache der Verhältnismäßigkeit: „Der Staat darf sukzessive eskalieren, um Leib und Leben von Menschen zu schützen.“ Das heißt: Zunächst müsse man aufs mildere Mittel zurückgreifen: Ordnungswidrigkeiten und Geldbußen. Bei einer Zuspitzung der Gefahren könnten besonders hartnäckigen Verweigerern aber durchaus auch Kriminalstrafen nach dem Strafgesetzbuch drohen. 

Der Experte verweist auf Paragraf 316 des Strafgesetzbuchs, der für Trunkenheitsfahrten mit mehr als 1,1 Promille Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr androht. Schon nach geltendem Recht werde ein typischerweise gefährliches Handeln als solches generell unter Strafe gestellt.

Der Saarbrücker Pharmazie-Professor Thorsten Lehr sagte „RTL direkt“ gar, im nächsten Frühjahr führe kein Weg an einer Impfpflicht vorbei. Sie könne die Lage „schlagartig“ ändern. „Das Ende der Pandemie liegt mit der Impfpflicht in unseren Händen.“ 

Impfpflicht: Nicht jede Art der Pflicht ist denkbar

Impfpflicht ist aber nicht gleich Impfpflicht: Die Ampel etwa will eine Impfpflicht für bestimmte Einrichtungen, etwa Klinken und Heimen. Maßnahmen, die Fachleute für längst überfällig halten. Eine Impfpflicht über direkte Gruppen gibt es auch schon: für die Bundeswehr. Der Staat kann bei den ihm direkt Untergebenen einen Impfzwang ausüben, das gilt etwa auch für Polizisten. Für die Männer und Frauen der Bundeswehr sind schon jetzt Impfungen „duldungspflichtig“.

Auch möglich: eine sogenannte indirekte allgemeine Impfpflicht. Heißt: Der Zugang zu praktisch allen öffentlichen Bereichen wäre an einem Impfnachweis geknüpft: Konzertsaal, Geschäft, Supermarkt. Das ließe sich ausweiten auf private Zusammenkünfte in geschlossenen Räumen, erklärt Kathi Gassner, Verwaltungsrechtlerin in Mannheim, dem RND

Impfpflicht: Auch Großteil der Deutschen ist dafür

Schwieriger hingegen wäre eine direkte allgemeine Impfpflicht, also eine Pflicht für alle, denen es medizinisch zuzumuten ist, eine Injektion zu bekommen. Hier könnte sich jemand schon dadurch ein Bußgeld einhandeln, dass er ungeimpft sein Haus verlässt. Das aber gelte juristisch als wackelig. 

Rein rechtlich würde einer Impfpflicht also nichts im Wege stehen, um aus dieser Corona-Endlosschleife herauszukommen. Und auch die Deutschen wären laut Umfragen dafür: Viele finden die Corona-Politik derzeit zu lasch, ergab das ZDF-Politikbarometer am Sonntag. Für eine allgemeine Corona-Impfpflicht sind 69 Prozent, dagegen sind 29 Prozent aller Befragten. Die Pflicht würde also auch Rückendeckung vom Großteil der Deutschen bekommen. (mg/mit dpa)