Die von US-Präsident Donald Trump und der EU beschlossenen Sanktionen gegenüber Russland wurden bei „Maybrit Illner“ vom ukrainischen Top-Diplomaten Andrij Melnyk gefeiert. Norbert Röttgen platzte später jedoch der Kragen.
Schalte aus Auto Ukrainischer Diplomat feiert bei Illner US-Kurswechsel

Copyright: ZDF/Jule Roehr
Ungewöhnlich: Diplomat Andrij Melnyk war aus einem Auto in New York zugeschaltet.
Aktualisiert
Donald Trump verhängt Sanktionen gegen Russland: Ein guter Anlass, das Thema der Talkshow „Maybrit Illner“ zu ändern. War noch bis Donnerstagmorgen eine Sendung zu „Putin spielt mit Trump“ geplant, wurde der Titel kurzerhand in „Trump und Europa gegen Putin“ abgewandelt.
„Donald Trump ist wie eine Wetterfahne und der Wind hat sich mal wieder gedreht“, brachte es die Gastgeberin eingangs auf den Punkt.
„Wir sehen endlich, dass US-Präsident Trump und die Amerikaner nicht nur Zuckerpolitik-Politik betreiben, sondern endlich - nach langem Warten - auch die Peitsche herausgeholt haben“, zeigte sich der ukrainische Top-Diplomat Andrij Melnyk sichtlich erleichtert.
Putin müsse „endlich Stopp sagen, eine Waffenruhe zusagen und Friedensgespräche beginnen“. Ungewöhnlich: Melnyk musste angesichts des heftigen New Yorker Verkehrs aus einem Auto ins Studio zugeschaltet werden.

Copyright: ZDF/Jule Roehr
„Zum ersten Mal kommt der Westen mit diesen Entscheidungen aus dem Reaktionsmodus in einen Aktionsmodus hinein, um selber das Handeln zu bestimmen“, glaubt der Unionsfraktionsvize Norbert Röttgen an die Wirksamkeit der neuen Sanktionen gegenüber Russland.
„Zum ersten Mal kommt der Westen aus dem Reaktions- in den Aktionsmodus hinein“, bezeichnete Norbert Röttgen von der CDU insbesondere die Sekundärsanktionen gegen alle, die mit Russland Ölgeschäfte machen wollten, als einen „entscheidenden Hebel“, der das Geschäftsmodell Russlands schwerwiegend beschädige.
In Kombination mit dem 19. Sanktionspaket, das die EU-Staaten am Abend zuvor gegen Russland beschlossen hätten, sei das eine „gewaltige Maßnahme“. 80 Prozent des russischen Ölexportes und 25 Prozent der Staatseinnahmen seien fortan von den Sanktionen betroffen. Auch wenn er nicht wüsste, ob die Positionierung Trumps von Dauer sei.
Kehrtwende oder kurzes Wetterleuchten?
Genau daran äußerte Frederik Pleitgen vom US-Nachrichtensender CNN seine Zweifel: Trump lasse sich bewusst ein Hintertürchen offen. Zudem sei bei Umsetzung der Sanktionen und beim Kontrollieren der Ölflüsse „sicherlich viel Luft nach oben“.
Kehrtwende oder kurzes Wetterleuchten?: „Trump möchte nicht hinter den Europäern zurückbleiben“, gab sich Friedens- und Konfliktforscherin Hannah Neumann, die in ihrer Funktion als Grünen-Europapolitikerin geladen war, optimistisch. Wenn die EU mit entscheidenden Schritten nach vorne gehe, dann könnten die USA und Trump mitgezogen werden - vor allem, wenn es gelinge, die eingefrorenen russischen Gelder für die Ukraine zu nutzen.

Copyright: ZDF/Jule Roehr
„Wenn Putin den Krieg will, soll er ihn bitte auch bezahlen“, sagte die Europa-Abgeordnete Hannah Neumann von den Grünen.
Ausgerechnet diese „Reparationsanleihe“ in Höhe von 140 Milliarden Euro auf eingefrorenes russisches Staatsvermögen war auf dem Herbstgipfel der EU zwar nicht beschlossen worden. „Es gab aber von allen 26 Staaten die sehr deutliche politische Willenserklärung“, betonte Neumann. „Es geht nur um die Details der technischen Ausgestaltungen.“ Man wolle das Prinzip „Wer den Krieg bestellt, der bezahlt ihn auch“ umsetzen, so die Europaabgeordnete. Sie gehe davon aus, dass die Anleihe im Dezember kommen und dann Geld fließen werde.
Hoffentlich, denn ohne diese Gelder sei Deutschland das einzige große Land innerhalb der EU, die über eine Zahlungsfähigkeit verfüge, warnte Röttgen. „Wenn sie nicht käme, hätten wir in Europa und der Ukraine im Hinblick auf die Verhandlungen und einen Frieden ein großes Problem.“
Reparationsanleihen laut Strafrechtsexperte „raffinierte juristische Konstellation“
Von der Anleihe hänge viel davon ab, ob die Ukraine den Kampf gegen Russland fortsetzen könne, hoffte auch Melnyk auf eine kreative Lösung, denn noch gebe es berechtigte Vorbehalte gegen diese Maßnahme.

Copyright: ZDF/Jule Roehr
„Putin hat in diesem Jahr 100.000 tote russische Soldaten zu verantworten, das beeindruckt ihn nullkommanull - das zählt für ihn nicht“, redete sich Norbert Röttgen in Rage.
Es gehe nicht darum, das russische Vermögen direkt für die Ukraine zu nutzen - das sei völkerrechtlich verboten, erklärte der Strafrechtsexperte Reinhard Merkel die „raffinierte juristische Konstellation“. Die Gelder sollen als Hintergrundsicherung für 150 Milliarden Euro dienen, die die EU aus anderen Vermögen an die Ukraine zahle. Schließlich habe die Ukraine Anspruch an Reparationszahlungen durch den Aggressor Russland. Allerdings hätte bisher keine Großmacht solche Zahlungen geleistet, gab Merkel zu bedenken.
„Wenn das mit Russland gelingt, dann entsteht ein globales Negativ. (...) Die Länder im globalen Süden werden das wahrnehmen, dass man es Russland gegenüber durchsetzt, aber im Westen nicht.“
Strafrechtsexperte mit Vorschlag für Verhandlungen
Damit war Merkel mit seinen kritischen Einwänden nicht am Ende. Seitens der EU fehle ihm ein praktikables Modell für eine Friedenslösung. „Die Rede ist immer, Putin an den Verhandlungstisch zu zwingen“, meinte er, „aber was wird man da von ihm verlangen?“
Die Antwort von Röttgen, dass es um die Wiederherstellung des Völkerrechts gehe, kommentierte er mit einem lapidaren: „aussichtslos“. Die maximalen Forderungen der EU führen zu keiner Verhandlung, vielmehr müsse man mit Vorschlägen in Verhandlungen gehen, sagte Merkel und hatte auch schon eines parat: „Warum nicht annektierte Gebiete in staatliche Unabhängigkeit entlassen?“, bezog er sich auf ein Modell, das er mit zwei Hamburger Kollegen ausgearbeitet hatte.
„Den Fehler, von dem ich glaube, dass Sie ihn machen: Sie stellen sich Putin vor, als wäre er einer von uns, der unser Denken im Wesentlichen teilt, vielleicht unterschiedliche Meinungen hat“, bezeichnete Röttgen den Vorschlag als unrealistisch. „Putin hat in diesem Jahr 100.000 tote russische Soldaten zu verantworten, das beeindruckt ihn nullkommanull - das zählt für ihn nicht.“
Das wollte der CDU-Politiker an Putins Handeln erkennen. Vor allem, dass der russische Präsident unlängst mit Drohnen einen Kindergarten angreifen ließ, ging ihm sichtlich nahe. Es sei kein Krieg gegen Soldaten, sondern ein Vernichtungskrieg gegen die Bevölkerung. „Ich messe Putin nur an seinen Taten und kann nicht verstehen, wie einem menschliches Leben vollkommen egal ist - gemessen an der historischen Mission, die er erfüllt“, redete er sich in Rage: „Das ist die Realität. Modelle ausmalen, das ist nicht das Problem. Aber der Wille ist das Problem.“
Die Europäer sollten „ein eigenes Konzept und einen Vorschlag auf den Tisch legen und nicht nur schauen, wie die Achterbahn der Emotionen zwischen Russland und den USA abläuft“, pflichtete ausgerechnet Melnyk Merkel bei: Hätten sie eine eigene starke Position, dann würden sie nicht von beiden Seiten komplett ignoriert. Dann könnte man Initiative zurückgewinnen. (tsch)