Sonja Zietlow, Hans Meiser & CoTalkshows der 90er – unfassbar, worüber man im TV diskutierte

Fernseh-Moderatorin Verona Feldbusch lacht am 30. April 1998 während eines Festes in Hürth, nachdem sie Talkmaster Hans Meiser eine Torte ins Gesicht geworfen hat.

Torte für den Talker: Verona (damals noch Feldbusch) und Hans Meiser – halb bedeckt von Sahnecreme – 1998.

Die 90er schwimmen auf der gegenwärtigen Retro-Welle ganz oben. Auch wenn die Talkshows und deren Themen eher unterirdisch waren.

von Stefanie Monien (smo)

Heute dienen Talkshows vor allem der Einordnung von politischen und gesellschaftlichen Ereignissen – oder es wird in heiterer Runde geplauscht. Meist wohlwollend, nicht verletzend.

Dass sowas auch mal ganz anders ging (und täglich noch dazu), zeigen die Daily-Talkshows aus den 90er und frühen Nuller-Jahren. Frei nach dem Motto „Die Meisers und die Laberwelle“ blickt unsere Autorin zurück ins Zeitalter der geifernden Gäste. 

Talkshows in den 90ern: „Laberwelle“ im Fernsehen

Die 90er und (frühen) 2000er: Was waren das nicht für puppenlustig-peinliche Fernsehjahre? Ich kann mich noch genau erinnern, dass meine Eltern (die übrigens auch die „Lindenstraße“ zunächst für Schund hielten) die Hände über dem Kopf zusammenschlugen und den Untergang des Abendlandes heraufbeschworen, als die „Laberwelle“ im Fernsehen anrollte.

Alles zum Thema RTL

Hier mehr lesen: Hans Meiser im Alter von 77 Jahren gestorben

Denn was hatten der gute Hans Meiser, der im September 1992 auf RTL  mit seinem gleichnamigen täglichen Talk den Startschuss zum televisionären Fremdschämen gab, und seine Kollegen nicht alles für Themen?

  • „Ich strippe für mein Leben gerne“
  • „Mein Freund ist pervers“
  • „Mein Kind ist nicht von dir“
  • „Tattoosucht – du siehst aus wie Karneval“
  • „Ich bin stolz, eine Schlampe zu sein“
  • „Mein Busen macht die Welt verrückt“
  • „Sonnenbank! Du grillst dich noch zu Tode“

Unfassbar auch das Thema „XXL Mama – du bist zu fett, um eine gute Mutter zu sein“ – es schien keine Grenze zu geben, die thematisch hätte unterschritten werden können.  

Denn egal, ob es um Emanzen, Pickel oder Exhibitionisten ging: Mit „Talk“, also Gespräch, hatte das Ganze meist wenig zu tun. Es wurde bis 2003 in mehr als 20 Daily-Talk-Formaten gebrüllt, krakeelt, gegeifert und gekreischt, was die Mikrofone hergaben – ein in phonetisches Grauen geronnenes Billo-Format, produziert wie am Fließband.

Das mehr oder weniger offen als „Klatschvieh“ geschmähte Publikum schien dabei einen irrationalen Impetus zu entwickeln: Aufspringende Menschen im Studio, die wilde Verwünschungen ausstießen oder aggressiv Partei für einen der Protagonisten ergriffen – es herrschte oft eine Stimmung wie auf einem mittelalterlichen Marktplatz kurz vor der Hinrichtung.

Auf einem sehr großen Marktplatz allerdings, denn 1998 schauten immerhin 14 Millionen Menschen am Tag zu. Hach! Und das alles ungebremst, ungefiltert – und bestimmt auch bisweilen unreflektiert.

Heute wäre das, was z.B. Ilona Christen (RTL), Arabella Kiesbauer (ProSieben), Vera Int-Veen (Sat.1), Bärbel Schäfer (RTL), Sonja Zietlow (Sat.1), Andreas Türck (ProSieben), Oliver Geissen (RTL), Britt Hagedorn (Sat.1) oder der betont betuliche Pfarrer Jürgen Fliege (ARD) mehr oder weniger routiniert „wegmoderierten“, so wohl nicht mehr möglich.

Als dann irgendwann alle noch so abseitigen Themenfelder beackert waren und die Talker verstummten, kam der große Auftritt von Recht und Gesetz: Richterin Barbara Salesch (gerade wieder täglich mit ihrem Revival bei RTL), „Das Strafgericht“ mit Richter Ulrich Wetzel, „Das Jugendgericht“ (Dr. Ruth Herz/Kirsten Erl), Richter Alexander Hold und „Das Familiengericht“ mit Richter Frank Engeland urteilten „Im Namen des Volkes“.

Ob sie dabei auch übergriffige Schreihälse aus den einstigen Talkshows vor dem Richtertisch hatten, ist nicht bekannt. Möglich allerdings wäre es! (smo)