Kampfmittel für KyivDebatte um Kampfjet-Forderung: Wie positioniert sich Deutschland?

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf einem Profilfoto während seiner Lateinamerika-Reise in Chile.

Bundeskanzler Olaf Scholz, hier auf einem Foto vom 30. Januar 2023, lehnt die Lieferung von Kampfjets für die Ukraine ab. Doch es gibt mittlerweile auch andere Stimmen.

Erst Panzer, jetzt Kampfjets: Einige Staaten zeigen sich der Forderung der Ukraine gegenüber aufgeschlossen. Bundeskanzler Scholz lehnt sie jedochab.

Um das Land aus den Fängen Russlands und Machthaber Wladimir Putin zu befreien, fordert Kyjiw neben den bereits abgesegneten Kampfpanzern auch westliche Kampfjets zur Unterstützung einer Offensive.

Für Russland würde das, wie es in Moskau heißt, „nichts Gutes“ bedeuten. Doch was würden Militärflugzeuge bei der Verteidigung gegen den russischen Angriff bringen? Zu den möglichen Lieferungen einige Fragen und Antworten:

Ukraine-Krieg: Forderung westlicher Kampfjets

Welche Typen von Kampfflugzeugen will die Ukraine?

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Die Ukraine hat im Gegensatz zu der klaren Forderung bei Kampfpanzern keine einheitliche Linie, wenn es um die Kampfjets geht. Vizeaußenminister Andrij Melnyk erwähnte faktisch alle bekannten Flugzeugtypen wie die US-amerikanischen F-16, F-35, die europäischen Entwicklungen des Eurofighters und der Tornados, die französischen Rafale und schwedische Gripen. Vor allem aber dürfte es um die F-16 gehen.

Die USA haben umfangreiche und überzählige Bestände an älteren Kampfflugzeugen – inklusive eines großen Flugzeug-Schrottplatzes auf der Luftwaffenbasis Davis-Monthan in Arizona, wo Militärmaschinen ausgeschlachtet werden. Bei den älteren Flugzeugtypen wie F-15 oder F-16 sowie F-10 („Warzenschwein“) könnte es wohl möglich sein, die Instandsetzung auf dem freien Markt einzukaufen. Ersatzteile sind in großer Zahl vorhanden. Grundvoraussetzung ist die Ausbildung.

Wie begründet die Ukraine ihre Forderung nach Kampfjets – und was können diese aus Sicht des Landes leisten?

Kriegsziel der Ukraine ist die komplette Befreiung des von Russland besetzten Staatsgebiets – einschließlich der bereits 2014 annektierten Halbinsel Krim. Für einen effektiven Vormarsch der demnächst von westlichen Kampfpanzern gestärkten Bodentruppen müssen diese idealerweise von der Luftwaffe unterstützt werden. Aufgrund der weiter funktionierenden ukrainischen Flugabwehr setzt Russland eigene Jets nur begrenzt in Frontnähe für Bombardements ein.

Im Krieg gelingt es beiden Seiten immer wieder, gegnerische Flugzeuge abzuschießen. Berichte über direkte Luftkämpfe zwischen ukrainischen und russischen Kampfjets gab es nur in den ersten Kriegstagen. Westliche Jets könnten hier vor allem Lücken schließen helfen. Doch die Rückerlangung der Lufthoheit wäre auch nach der Lieferung Dutzender Kampfjets aus dem Westen nicht zu erwarten. Das wäre nur möglich, wenn die russischen Flugabwehrsysteme komplett ausgeschaltet werden.

Womit kämpfte die ukrainische Luftwaffe bisher?

Vor dem Krieg hatte die Ukraine den Londoner Analysten des International Institute for Strategic Studies zufolge etwa 110 einsatzfähige Kampfflugzeuge. 70 davon Jagdflugzeuge des sowjetischen Typs Mig-29 und Suchoi 27. Dazu noch 45 Suchoi 25 und 24 zur Bekämpfung von Bodenzielen. Während des Krieges soll Kyjiw den Waffenanalysten der Investigativgruppe Oryx zufolge weitere 18 Suchoi 25 aus verschiedenen Quellen erhalten haben.

Polen lieferte zudem Medienberichten nach bereits Mig-29 in Einzelteilen, und auch die Bundesregierung steuerte Mig-29-Ersatzteile bei. Das russische Militär will dabei bereits mehr als das Dreifache aller real vorhandenen ukrainischen Flugzeuge abgeschossen haben.

Die westlichen Unterstützer der Ukraine haben inzwischen umfangreiche und schwere Waffen für den Kampf am Boden und zur Flugverteidigung geschickt. Abwehrsysteme wie Patriot und Iris-T wirken überaus effektiv gegen feindliche Flugzeuge, Raketen und Drohnen und dies 24 Stunden am Tag – und schützen doch nur auf einen gewissen Umkreis des eigenen Standortes. Anders Kampfflugzeuge, die zum Schutz großer Regionen geeignet sind, wenn auch nur für beispielsweise eineinhalb Stunden pro Flug.

Bundeskabinett schließt Kampfjet-Lieferung nach Kyjiw aus

Was bedeutet eine mögliche Lieferung der Flugzeuge für den weiteren Kriegsverlauf?

Mehr noch als zur Überwachung und dem Schutz gegen Angriffe können Kampfflugzeuge als sogenannte Luftnahunterstützung in Kämpfe am Boden eingreifen. Und mehr noch: Sie ermöglichen es, die Kraftquellen („center of gravity“) des Gegners anzugreifen. Die Ukraine wäre befähigt, Nachschubwege, Aufmarschgebiete, Treibstofflager und strategische Ziele Russlands zu zerstören. Spätestens da – so befürchten einige – wird politisch gefährlich, was im Sinne der Selbstverteidigung nicht verboten scheint. Nehmen Sie hier an unserer Umfrage teil:

Russland würde die Lieferung von Kampfjets als weiteren großen Schritt sehen für die von Moskau ohnehin seit langem behauptete direkte Beteiligung des Westens an dem Konflikt in der Ukraine. Der für Rüstungsfragen zuständige russische Diplomat Konstantin Gawrilow sagte im russischen Staatsfernsehen, dass die Jets das Kampfgebiet geografisch vergrößern würden. Das bedeute „nichts Gutes“ für Russland, sei aber auch keine Katastrophe.

Wie spiegelt sich die Forderung in der politischen Debatte in Deutschland?

Mehrere Länder, darunter die USA und Polen, schließen die Lieferung von Kampfjets an die Ukraine nicht aus. In der Bundesregierung will man dieses Signal nicht setzen. Weder als Vorhaben noch als Option akzeptieren derzeit Politiker der Ampel-Koalition diesen Schritt, ganz vorn Kanzler Olaf Scholz (SPD).

Während seines Besuchs in Chile wurde Scholz deutlich: „Es ist dazu jetzt alles gesagt, auch von mir“. Der Kanzler finde es „eigenwillig, dass diese Debatte geführt wird“ und warnt erneut vor einem „Überbietungswettbewerb“, bei dem „innenpolitische Motive statt die Unterstützung der Ukraine im Vordergrund stehen“, wie die „tagesschau“ berichtet.

Aber auch die Vorkämpfenden der Leopard-Lieferung, die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann und der Grüne Anton Hofreiter, machten deutlich, dass sie gegen eine Lieferung von Kampfjets sind. Verteidigungsminister Boris Pistorius schließt eine Lieferung von Kampfjets ebenfalls aus: „Kampfflugzeuge sind viel komplexere Systeme als Kampfpanzer und haben eine ganz andere Reichweite und Feuerkraft. Da würden wir uns in Dimensionen vorwagen, vor denen ich aktuell sehr warnen würde“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“.

Doch es gibt inzwischen auch andere Stimmen: Anders als Bundeskanzler Scholz lässt sich SPD-Co-Chefin Esken nicht zu einem „Nein“ zu Kampfflugzeugen für die Ukraine hinreißen. Am Sonntag (29. Januar 2023) sagte sie im ARD-„Bericht aus Berlin“, dass es wichtig sei, sich im Vorgehen mit seinen Partnern – besonders den USA – abzustimmen. Die SPD-Politikerin fand klare Worte: Entscheidend sei, dass Deutschland und die Nato nicht zur Kriegspartei würden.

Christoph Heusgen, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, befürwortet hingehen eine Kampfjet-Lieferung nach Kyjiw, wie der „Spiegel“ berichtet. „Ich glaube, dass die Lieferung von Kampfjets adäquat ist, um die Ukraine besser zu schützen gegen die Angriffe der Russen“, stellte er in der ARD-Sendung „Europamagazin“ von Sonntag klar.

Wie würde Russland auf die Lieferung von Kampfjets reagieren, und was kann es diesen entgegensetzen?

Russland hat zwar schon jetzt keine Lufthoheit gegenüber der Ukraine – allerdings auch seine Kampfjet-Verbände noch nicht im vollen Umfang im Einsatz. Das russische Staatsfernsehen zeigt fast täglich voller Stolz die zerstörerische Kraft russischer Raketen, die von Flugzeugen abgeschossen werden. Der General und Militärpilot Wladimir Popow sagte in einem Interview der Moskauer Zeitung „MK“, dass Russland die Kampfjets mit Luft-Luft-Raketen abschießen würde. Wenn das nicht gelinge, müssten sie auf den Luftwaffenstützpunkten durch Hochpräzisionswaffen zerstört werden.

Dabei wies auch das Verteidigungsministerium in Moskau zuletzt Angaben des Westens zurück, Russland könnten die Raketen und die Munition ausgehen. Von ihren Zielen der Besetzung der vier ukrainischen Regionen Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson will Russlands Machtführung nicht ablassen. Kremlchef Wladimir Putin hat immer wieder betont, dass die Atommacht Russland ihre Interessen mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln durchsetzen werde. (dpa/eg)