Planlos durch die KriseWie Politiker immer weiter unser Vertrauen verspielen

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Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller, Kanzlerin Merkel, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder: Der Corona-Gipfel im Kanzleramt führt erneut zu schwammigen Neujustierungen.

von Martin Gätke (mg)

Köln – Da sind sie mal wieder, die „neuen“ Maßnahmen: Deutschland wurstelt sich weiter durch die Corona-Krise. Und greift auf altbekannte Instrumente zurück: längerer Lockdown, erweiterte Maskenpflicht. Doch fest steht jetzt schon: Wir haben dabei versagt, unsere Alten und Hilfsbedürftigen zu schützen. Und Besserung ist auch keine in Sicht. Statt früh knallhart durchzugreifen, fummeln wir immer ein bisschen an diesen „So-lala“-Bestimmungen rum. Wenn die Politik so schwammig weitermacht, verspielt sie unser Vertrauen, findet unser Redakteur. Ein Kommentar.

Keine Frage: Die Corona-Maßnahmen, die wir jetzt alle seit Monaten bestreiten müssen, sind alternativlos geworden. Die nun beschlossene Verlängerung des Lockdowns war unumgänglich. Wir stecken allesamt seit fast einem Jahr in einer Ausnahme-Situation, die noch die dagewesen war. Und wir alle tragen mit unserem Verhalten zu dieser Pandemie bei.

Den Masterplan hat niemand von uns, auch nicht unsere gewählten Volksvertreter. Doch ihre derzeitige „Erst-hü-dann-hott”-Planung bietet wenig Perspektive. Viele Probleme sind hausgemacht.

Alles zum Thema Corona

Corona: Am Anfang war das „Wir”-Gefühl

Was haben wir uns am Anfang der Krise selbst auf die Schulter geklopft: Die Politik hat schnell reagiert. Shutdown, alles dicht. Maskenpflicht. Jeder muss mitmachen. Als Corona noch neu war für uns und die Maske noch ungewohnt, herrschte bei vielen noch eine Art „Wir“-Gefühl. Wir gegen das Virus. Wir schaffen das zusammen. Arsch zusammenkneifen und durch da. Gesamtgesellschaftliche Solidarität. Die Politiker bekamen viel Lob, das Vertrauen in sie war lange nicht mehr so groß.

Doch das ist jetzt über ein dreiviertel Jahr her. Aus dem schnellen Knallhart-Lockdown von damals sind Stotter-Maßnahmen geworden. Alle zwei Wochen treffen sich die Regierenden hinter verschlossenen Türen, mauscheln unter Ausschluss der Öffentlichkeit umher, gefühlte Ewigkeiten wird über Details diskutiert. Um dann im Ergebnis an kleinen Stellschrauben herumzufummeln.

Corona: Mit Beschluss-Wirrwarr durch die Pandemie

Beispiel: Schulen. In NRW sollten sie offen bleiben, auf Teufel komm raus. Jetzt ist alles dicht – und das wird sich erst einmal nicht ändern.

Und während Präsenzunterricht nicht geht, konnten bis vor kurzem noch immer Millionen Menschen in geschlossenen Räumen zusammenkommen. Angestellte durften weiter ins Büro zitiert werden. Der Präsenzbetrieb an Schulen wird eingestellt, die Fabriken machen weiter.

Wo ist da die Solidarität? Wo liegt die Priorität?

Corona: Zu viele unterschiedliche Beschlüsse machen viele Bürger langsam mürbe

Dazu kommt, dass jedes Bundesland seinen eigenen Brei kocht. Noch am Abend der Bekanntgabe der Maßnahmen scheren einzelne Ministerpräsidenten wieder aus. Der bundesweite Beschluss von heute ist morgen in meinem Bundesland schon ein anderer. Chaos pur. Viele Menschen fühlen sich erschöpft, ein Ohnmachts-Gefühl macht sich breit. Bei so vielen Beschlüssen wird man müde.

Und neue Beschlüsse gibt es seit Beginn der Pandemie jede Menge. Doch es fehlt eine echte Perspektive. Ein Langzeit-Konzept, das uns alle wieder mitnimmt und das wir auch alle verstehen. Das auch Unternehmern und Einzelhändlern Sicherheiten an die Hand gibt.

Stattdessen fahren wir im dichten Nebel, sehen die Hand vor dem Gesicht kaum. Der Corona-Plan wirkt planlos, mit ihrem „Stotter“-Lockdown verspielt die Politik das Vertrauen, das gerade jetzt so wichtig ist. Laut Umfragen schwindet das Vertrauen in die Maßnahmen schon länger.

Corona: Virologen forderten von Anfang an konsequente Maßnahmen

Dabei hatten Virologen früh schnelle, harte und konsequente Maßnahmen gefordert. Sie taten es vergeblich. Es gab einen zahnlosen „Lockdown light“, der dann sehr spät „verschärft“ wurde. Die Zahl der Corona-Toten stieg. Ein Fehler, den etwa Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow später im ZDF schmerzlich bereut.

Und die Homeoffice-Pflicht? Gab es nicht. Dabei haben Experten auch darauf schon seit Wochen hingewiesen. Die könnte jetzt nachträglich kompliziert verordnet werden.

Corona: Wir konnten unsere Alten und Kranken nicht ausreichend schützen

Dass ein einfaches „Weiter so“ nicht ohne Weiteres funktioniert, zeigt sich daran, dass wir schon jetzt unsere Alten und Kranken nicht schützen konnten. Gérard Krause vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung brachte es im ARD extra am Dienstag auf den Punkt: Bei deren Schutz haben wir versagt. „Was mich besonders bedrückt ist, dass es absehbar war.“

Es wird Zeit, dass Deutschland in den Tritt kommt. Schluss mit schwammigen Nachjustierungen. Nur mit Konsequenz, Ehrlichkeit und mehr Offenheit kann die Politik wieder ihre Bürger überzeugen. Und die Krise bewältigen.