ARD-BerichtEnergiekrise seit Ukraine-Krieg kostet jeden Deutschen 2.600 Euro

Das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 ist Geschichte.

Das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 ist Geschichte. 

Deutschland wird durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wirtschaftlich überproportional hart getroffen. Das belegen Zahlen einer aktuellen Berechnung im Auftrag des ARD-Magazins „Panorama“. Der Bericht zeigt aber auch: Eine Rückkehr zu russischem Gas wäre nicht ratsam.

Der russische Angriffskrieg und die daraus folgende Energiekrise hat Deutschland im europäischen Vergleich besonders hart getroffen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Berechnung der Hans-Böckler-Stiftung im Auftrag des ARD-Polit-Magazins „Panorama“.

Nach den Zahlen, die der NDR am Donnerstag (18. April) in einer Mitteilung öffentlich machte, verliert durch die indirekten Kriegsfolgen jeder Deutsche im Schnitt 2.600 Euro pro Jahr. Der Wert ergibt sich rechnerisch aus dem Schrumpfen des Bruttoinlandsprodukts um fünf Prozent.

Professor Sebastian Dullien, Wirtschaftswissenschaftler der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, hat Schätzungen des Internationalen Währungsfonds aus dem Herbst 2021 mit aktuellen BIP-Schätzungen für den europäischen Wirtschaftsraum herangezogen. Aus der Differenz, so heißt es in der Mitteilung, ergeben sich für Deutschland größere Verluste als für andere Länder der EU.

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So belaufe sich der Verlust in Schweden auf 1.700 Euro pro Person und Jahr, in Italien nur auf 230 Euro. Der EU-Durchschnitt liege bei etwa 880 Euro. Die Verluste für Deutsche seien laut Berechnung damit „im Schnitt fast dreimal so hoch wie die anderer Bürgerinnen und Bürger“.

Studie wiederlegt Wagenknecht-Aussage

Als Gründe führt Professor Dullien „strukturelle Charakteristika“ an, die Deutschland „besonders verwundbar gemacht haben“. Dazu gehöre ein sehr großer, verbrauchsintensiver Energiesektor. Zweitens sei sehr viel dieser Energie in Form von Gas aus Russland gekommen. Drittens habe die deutsche Bundesregierung „relativ spät eingegriffen in die Gasmärkte“.

Eine Wiederaufnahme der Gas-Importe aus Russland würde der wirtschaftlichen Situation im Land dennoch „nur wenig helfen“. Damit widerspricht die Berechnung Forderungen von Parteien wie der AfD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Wagenknecht hatte behauptet, es gebe zu russischem Gas „keine realistische Alternative, die sich auf einem ähnlichen Preislevel bewegt“.

Dass dies nicht zutreffe, zeige laut Hans-Böckler-Stiftung der Blick nach Österreich. Dort werde bis heute umfangreich Pipeline-Gas aus Russland bezogen, im Januar 2024 sogar zu 97 Prozent. Dennoch sei der „Gaspreis für Endkunden in Österreich in den vergangenen Jahren sogar stärker gestiegen als in Deutschland“. In Österreich sei Gas heute teurer als in Deutschland, wo die Preise inzwischen wieder sinken.

BSW und AfD wollen weiter Gas aus Russland beziehen

Vor einer Rückkehr zum russischem Gas warnt Professor Dullien auch aus standortpolitischen Gründen. „Für die Investitionsentscheidungen der Unternehmen und auch für die Entscheidung, ob bestimmte Standorte hier weiterbetrieben werden, ist nicht nur der aktuelle Preis wichtig, sondern die Frage: Wie sicher und wie verlässlich ist sowohl die Lieferung als auch der Preis in der Zukunft?“, schreibt der Wirtschaftswissenschaftler. Russland sei „kein verlässlicher Partner für Gaslieferungen. Daran ändert sich auch nichts, wenn die Pipelines repariert sind.“

Auf „Panorama“-Anfrage hätten BSW und AfD trotz der aktuellen Berechnung ihre Haltung bekräftigt, russisches Gas importieren zu wollen. Der Magazin-Bericht ist am Donnerstag, 18. April, um 21.45 Uhr im Ersten zu sehen. (tsch)