Riskante DoktorspieleWas bringen sogenannte Sars-CoV-2-Challenge-Studien?

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Eine elektronenmikroskopische Aufnahme des Coronavirus SARS-CoV-2, das Covid-19 verursacht. Die Probe wurde von einem Patienten in den USA isoliert, das Bild wurdevon den U.S. National Institutes of Health im Februar 2020 zur Verfügung gestellt.

New York – Eine Gruppe Freiwilliger lässt sich mit einem potenziell tödlichen Virus infizieren, um so die Menschheit schneller vor eben diesem schützen zu können: Klingt wie Science-Fiction, schwebt den Initiatoren der Kampagne „1Day Sooner" aber vor.

Das Team um den US-Doktoranden Chris Bakerlee von der Harvard University sucht gerade Menschen, die potenziell bereit wären, sich gezielt mit Sars-CoV-2 infizieren zu lassen. Mehr als 14.000 Menschen aus über 100 Ländern haben sich bereits registriert!

So laufen „normale“ Impfstoff-Studien

Zunächst wird der Wirkstoff unter anderem auf Verträglichkeit getestet, später auf Wirksamkeit. Hierfür bekommen einige Probanden den Wirkstoff verabreicht, eine zweite Gruppe erhält ein Placebo. Dann wartet man, bis sich genügend Probanden von alleine mit dem Erreger infiziert haben, um die Wirksamkeit zu bewerten. Das dauert und könnte Zehntausende Studienteilnehmer nötig machen.

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Was will „1Day Sooner" anders machen?

Eine gezielte Infektion freiwilliger Probanden mit dem Coronavirus könnte die entsprechende Testphase beschleunigen. Doch derartige „Human Challenge Trials“ sind unter Wissenschaftlern umstritten. Einige betonen den Nutzen, andere äußern ethische Bedenken, verweisen auf enorme Gesundheitsrisiken.

Wurde so etwas schon mal gemacht?

Ja, es gab in den USA unter anderem schon „Human Challenge Trials“ in den 70ern, als Probanden gezielt mit Cholera infiziert wurden, um die Wirksamkeit eines Impfstoff-Kandidaten zu erproben. In verschiedenen Studien ließen sich Freiwillige außerdem Malaria-Erreger verabreichen.

Gibt es so etwas auch in Deutschland?

Nein, vergleichbare Studien mit freiwillig Infizierten in dieser Form hat es nie gegeben, sagt der Medizinhistoriker Norbert Paul von der Universitätsmedizin Mainz. Doch wären sie in der aktuellen Krise denkbar? Theoretisch schon – es müssten dann sowohl das Paul-Ehrlich-Institut als auch eine Ethikkommission zustimmen. PEI-Präsident Klaus Cichutek erklärte kürzlich: „Das können wir vielleicht später noch einmal abhandeln. Aber das ist nicht der Trend.“

Grausame Experimente der Nazis

Die Vorbehalte sind bei uns besonders groß – aus historischen Gründen. Joerg Hasford, Vorsitzender des Arbeitskreises Medizinischer Ethik-Kommissionen in Deutschland: „Wir haben nach den Erfahrungen des Dritten Reichs sehr, sehr hohe ethische und auch rechtliche Standards.“

Die Nationalsozialisten hatten in Konzentrationslagern an Inhaftierten grausame medizinische Experimente durchgeführt. Aber: „In dem Augenblick, in dem wir z. B. eine sehr wirksame Therapie hätten, wären freiwillige Challenge-Studien ethisch vergleichsweise leicht zu vertreten“, sagt Hasford.

Der Mediziner verweist auf das zur Behandlung von Ebola entwickelte Mittel Remdesivir, das in Deutschland derzeit nur innerhalb eines Arzneimittel-Härtefallprogrammes für Corona-Patienten zugänglich ist. „Wenn sich zeigt, dass man mit Remdesivir eine sehr gute, wirksame Therapie hätte für schwerste Verläufe und man nähme Probanden, die definitiv nicht zur Risikogruppe gehören, dann könnte ich mir das vorstellen.“

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Eine undatierte elektronenmikroskopische Aufnahme des U.S. National Institute of Health zeigt das neuartige Coronavirus (SARS-CoV-2) (orange), das aus der Oberfläche von im Labor kultivierten Zellen (grau) austritt. Die Probe wurde von einem Patienten in den USA isoliert. 

Wann könnten solche Studien beginnen?

Nur ein geringer Teil der mehr als 100 Impfstoffprojekte, die derzeit laufen, werden überhaupt bereits in klinischen Studien mit Freiwilligen erprobt. Auf diesem Stand Menschen aktiv zu infizieren, wäre grob fahrlässig.