„Wir haben nur funktioniert“Fluthelfer über ertrunkene Kinder, aber auch über Hoffnung

Fluthelfer Marc Ulrich und Mitstreiter im Einsatz

Marc Ulrich gehört zu den Erfindern des sogenannten Helfershuttles im Katastrophengebiet.

Die dunkle Jahreszeit naht. Mehr als drei Monate nach der Flutkatastrophe können die Wunden der Betroffenen noch nicht verheilt sein. Im Interview gibt mit Marc Ulrich ein Gesicht der Helfer ein Update.

von Markus Krücken (krue)

Bad Neuenahr/Köln. Es war eine Idee zur richtigen Zeit, die bis heute laut seinen Angaben rund 92 500 Menschen (!) aus der ganzen Republik mobilisierte. Unternehmer Marc Ulrich gründete direkt nach dem Drama gemeinsam mit Thomas Pütz den „Helfer-Shuttle“ für das schwer gebeutelte Ahrtal. Idee: Wir bringen die freiwilligen Helfer von einem Treffpunkt aus kostenlos in Bussen direkt zu den Betroffenen und verpflegen sie.

111 Tage danach: Fluthelfer Marc Ulrich im Interview

Im Interview mit EXPRESS.de schildert Flutheld Ulrich seine Gemütslage und gibt Einblicke in seine Erfahrungen an vorderster Front der Hochwasser-Katastrophe, die nur eine Autostunde entfernt von Köln geschah und zig tausende Anwohner ins Verderben stürzte.

Herr Ulrich, wo erreichen wir Sie im Ahrtal gerade?

Alles zum Thema Mallorca

Ulrich: Ich bin gerade auf Mallorca. Mit meiner Mutter besuche ich meine Frau und Kinder, die dort schon länger sind. In unserem Haus lebt seit der Katastrophe eine vierköpfige Familie, die ihr Heim in der Flut verloren hatten. Wir hatten Glück, wohnen etwas oberhalb und bekamen nichts ab. Ich selbst wohne seither bei meiner Mutter.

Mit Thomas Pütz haben Sie den Helfer-Shuttle als Privatinitiative ins Leben gerufen. Was für Erinnerungen haben Sie noch rückblickend auf die ersten Stunden und Tage des Dramas?

Ulrich: Natürlich hat man noch die Bilder im Kopf. Und die Erzählungen präsent. Im direkten Umfeld gab es den Fall der Familie mit zwei Kindern, die sich aufs Dach retteten und dann doch loslassen mussten und abgetrieben wurden. Die hilflosen Bekannten, die ihre Nachbarn ertrinken sahen. Wenn man selbst Vater von Kindern ist, wird einem anders, wenn man sich die Szenen vorstellt, mit Kindern von einem Geschoss ins nächste rauf zu steigen und auf dem Dach auszuharren, ob das Wasser noch steigt.

Bekommen die Betroffenen genug Hilfe oder werden sie von den Behörden vergessen?

Ulrich: Was die Finanzhilfen, also die Auszahlungen angeht, kann sicher einiges optimiert werden. Vonseiten der privaten Helfer ist es so, dass es jetzt darum geht, Fachkräfte vor Ort zu haben. Die Anfragen und unentgeltlichen Hilfsangebote sind nach wie vor immens und kommen trotz Corona von Unternehmern aus dem ganzen Land.

Es naht aber die dunkle Jahreszeit. Fürchten Sie einen Anstieg der Suizidrate im Katastrophengebiet?

Ulrich: In den ersten Tagen und Wochen haben die Betroffenen ja quasi nur funktioniert. Erst mit etwas zeitlichem Abstand haben viele von ihnen realisiert, dass sie vor dem Nichts stehen. Gerade deshalb war und ist dieser Einsatz der vielen freiwilligen Helfer so wichtig. Denn hier haben nicht nur über 180.000 Hände geholfen, sondern auch Ohren. Ich habe gestandene Männer in Tränen vor mir erlebt, die von weit außerhalb kamen und das Elend nicht fassen konnten. Diese Menschen haben nicht nur angepackt, sondern den Betroffenen zugehört. Ich habe ihnen gesagt: ‚Ihr habt nicht nur mit Euren Händen aufgeräumt, ihr habt mit Euren Ohren viele Leben gerettet‘. Denn die Betroffenen sind nicht allein gelassen worden.

Was ist Ihre Prognose für den Winter?

Ulrich: Die Versorgung mit Gas und Heizungen läuft den Umständen entsprechend gut. Ich denke eher, dass es ab Januar schwieriger wird. Nach Weihnachten könnte es stiller hier in der Region werden. Umso wichtiger ist es, weiterzumachen und Flagge zu zeigen: Zum Beispiel der Besuch von Frank-Walter Steinmeier hier Mitte Oktober war sehr wichtig.


Sie möchten helfen?

Bei der Hilfsaktion des DuMont-Verlags haben sich die drei großen Kölner Medien EXPRESS.de, „Kölner Stadt-Anzeiger“ und „Kölnische Rundschau“ und ihre Verlage mit den beiden großen Geldinstituten Sparkasse KölnBonn und Kreissparkasse Köln zusammengetan und eine sechsstellige Summe an die „Aktion Deutschland Hilft“, dem Bündnis deutscher Hilfsorganisationen, gespendet.

Empfänger: Aktion Deutschland Hilft

Institut: Bank für Sozialwirtschaft

IBAN: DE62 3702 0500 0000 1020 30

Spendenstichwort: KStA-Fluthilfe


Sie haben auch einen „Spenden-Shuttle“ nun mitgegründet. Was ist dabei der Plan?

Ulrich: Dass dadurch ab sofort Spenden eingesammelt werden, mit denen Projekte finanziert werden, die den Betroffenen helfen. Die örtlichen Verwaltungen sind am Limit ihrer Kapazitäten angelangt. Die Möglichkeiten mit den eigenen Händen anzupacken, werden immer weniger. Aber viele Helfer wollen im Flutgebiet weiterhin unterstützen. Mit dem Spenden-Shuttle machen wir das unter www.spenden-shuttle.de unkompliziert möglich.