Über 200.000 Corona-Tote mehrModell zeichnet Horror-Szenario: Impfpflicht rettet uns nicht

Ein intubierter Corona-Patient in einem Intensivbett-Zimmer der Asklepios Klinik in Gauting (Bayern).

Ein intubierter Corona-Patient in einem Intensivbett-Zimmer der Asklepios Klinik in Gauting (Bayern): Immer mehr Politiker sprechen sich für eine Impfpflicht aus. Ein neue Modellsimulation zeigt aber nun, wie wenig diese Pflicht in der akuten Lage bringt.

Die Corona-Lage in Deutschland wird immer dramatischer und immer mehr Politiker sprechen sich für eine Impfpflicht aus. Aber hilft sie dabei, die vierte Welle zu brechen? Eine aktuelle Modellsimulation lässt Zweifel aufkommen. Sie zeigt auch: Die kommenden Maßnahmen entscheiden über Hunderttausende Menschenleben.

Köln. Die Corona-Zahlen in Deutschland erreichen täglich neue Rekord-Hochs, immer mehr Politiker sprechen sich jetzt für eine Impfpflicht aus. Und nach den jüngsten Beschlüssen von Bund und Ländern in der vergangenen Woche hat auch die Kanzlerin bei einer internen Schalte erklärt, dass sie sich schärfere Maßnahmen wünscht.

Wie brechen wir die vierte Welle? Und löst eine Impfpflicht wirklich das Problem?

Fest steht: Die kommenden Maßnahmen könnten über viele Hunderttausende Menschenleben entscheiden. Wie viele, zeigt eine komplexe Modellsimulation des Wissenschaftlers Prof. Dr. Kristan Schneider von der Hochschule Mittweida. Darüber berichtet der MDR. Schneider ist Mathematiker der Angewandten Mathematik mit dem Forschungsschwerpunkt Modellierung epidemiologischer Prozesse.

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Er hat verschiedene Szenarien für die vierte Welle durchgerechnet – und ist auf sehr unterschiedliche Ergebnisse gekommen. Laut seinen Berechnungen könnten im schlimmsten Fall – also ohne weitere Einschränkungen – fast 300.000 Tote dazugekommen.

Wichtig: Die Szenarien sind keine genauen Prognosen, stellen also keinen Blick in die Zukunft dar. Aber sie geben eine Vorstellung darüber, welchen Einfluss bestimmte Maßnahmen haben könnten.

Corona: Ohne Maßnahmen gibt es fast 300.000 Corona-Tote mehr

Schneider hat fünf Szenarien in seine Modellrechnung mit einbezogen. Diese simulieren die Entwicklungen, sollte es zum Beispiel keinen Lockdown und auch sonst keine weiteren Einschränkungen geben. Bis hin zu der Möglichkeit einer Impfpflicht ab zwölf Jahren. Auch jene Notbremse wird durchgespielt, wie sie im Frühjahr 2021 zum Tragen kam (also inzidenzabhängige Lockdowns inklusive Kita- und Schulschließungen). In einem besonders strengen Szenario betrachtet Schneider auch die Möglichkeit einer Kombination aus Impfpflicht und Notbremse.

Die Erkenntnisse seines Modells: Würde es wie im ersten Szenario keine weiteren Maßnahmen mehr geben, wären auf dem Höhepunkt der vierten Welle mehr als drei Millionen Menschen gleichzeitig infiziert, laut Schneider wären das sechsmal so viele wie vor einem Jahr. Bis zum Frühjahr würden laut Model noch einmal circa 286.000 Covid-19-Tote hinzukommen – derzeit stehen wir bei etwa 100.000 Corona-Toten.

Corona: Sofortige Impfpflicht hilft in der akuten Lage nur noch wenig

Das Modell zeigt auch: Eine sofortige Impfpflicht für alle hilft für die vierte Welle nur noch wenig. Anfang nächsten Jahres würden noch immer über zwei Millionen Menschen gleichzeitig infiziert sein, es gäbe noch immer über 200.000 Tote mehr.

Zu einem ähnlichen Schluss kam auch der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der die Debatte über die Einführung einer Impfpflicht nicht für zielführend hält. „Sie löst unser akutes aktuelles Problem nicht.“ Sie käme „viel zu spät die Wirkung“. Trotzdem haben sich bereits mehrere Ministerpräsidenten für die Impfpflicht ausgesprochen.

Corona: Notbremse wirkt im Modell am effektivsten

Was hilft also wirklich? Besonders effektiv wäre nach den Berechnungen von Schneider eine Notbremsenregelung wie im Frühjahr 2021, die würde die Welle sehr schnell abebben lassen. Der Effekt würde sofort eintreten: Die Zahl der gleichzeitig Infizierten würde noch in diesem Jahr absinken, die 1-Million-Marke würde nicht erreicht, es gebe etwas mehr als 60.000 Tote mehr. Bei einer Notbremse verbunden mit einer Impfpflicht wäre die Welle noch niedriger, aber nur ein wenig.

Auch RKI-Chef Lothar Wieler mahnte vergangene Woche in Berlin: „Das ist eine nationale Notlage. Wir müssen jetzt die Notbremse ziehen.“ Es brauche massive Kontaktreduktion, Großveranstaltungen sollten abgesagt werden, Bars und Clubs geschlossen. Spahn sagte: „Wir müssen jetzt Kontakte reduzieren und geschlossen staatlich handeln.“

Ob es zu einer solchen Notbremse wie im Frühjahr kommt, ist noch unklar. Allerdings sind schon jetzt härtere Corona-Beschränkungen in Sicht: Viele Bundesländer sagen bereits Veranstaltungen wie Weihnachtsmärkte ab. Bayern lässt demnächst wieder nur maximal fünf Personen aus zwei Haushalten zu, die sich treffen dürfen. (mg)