„Wir können es nicht verhindern“WHO-Virologe Stöhr mit düsterer Prognose bei Lanz

stöhr bei lanz bitter

WHO-Experte Klaus Stöhr zeichnete am Donnerstag (28. Oktober) bei Markus Lanz in der Sendung ein düsteres Bild vom Verlauf der Corona-Pandemie im Winter.

Köln – „Er ist einer, der sich mit Pandemien wirklich auskennt“, stellt Moderator Markus Lanz seinen Talk-Gast am Donnerstagabend (29. Oktober) in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ vor.

Die Rede ist von Klaus Stöhr. Und Lanz dürfte Recht haben mit seiner Einschätzung. Stöhr war lange Chef des Influenza-Programms der WHO und gehörte zu dem Netzwerk, das den Vorgänger dieses Virus, nämlich SARS-CoV-1 entdeckte. 2002/2003 war das.

Virologe Klaus Stöhr bei Markus Lanz: „Nicht wir beenden die Pandemie“

In der Sendung gibt Stöhr eine düstere Prognose für die Entwicklung der Pandemie. Und er frage sich bis heute: Was ist eigentlich unsere Strategie? „Wir werden uns alle irgendwann anstecken, das ist der Lauf einer Pandemie“, so Stöhr. „Nicht wir beenden die Pandemie, auch keine Impfung wird das machen, sondern nur das Virus selbst.“

Alles zum Thema Corona

Tatsächlich hatten bereits im Sommer viele solch eine heftige zweite Virus-Welle nicht erwartet.

Peter Tschentscher, Hamburgs Erster Bürgermeister (SPD), der ebenfalls am Donnerstag zu Gast in der Sendung war, erinnert sich an seinen Auftritt bei Markus Lanz in der Sendung, vor rund einem Monat.

Damals rechnete er vor: „Wenn das so weitergeht, mit der Verdoppelung der Infektionszahlen, dann sind wir Weihnachten bei über 19.000 Neuinfektionen.“

Peter Tschentscher verteidigt bei Markus Lanz neuen Lockdown

Er erinnere sich noch gut daran, dass Moderator Lanz damals noch in den Raum stellte, das sei doch „Angstmacherei“ (was Lanz in der Sendung am Donnerstag bestätigte). Doch die Antwort war damals: Nein, es sei keine Angstmacherei, sondern dafür hätten bereits damals die Zahlen gesprochen. Das bestätige auch die derzeitige Lage, so Tschentscher.

markus lanz sendung 29.10.

Markus Lanz mit Gästen Peter Tschentscher, Klaus Stöhr, Robin Alexander und Julius van de Laar.

„Wir haben heute fast 16.000 Neuinfektionen, und es ist noch lange nicht Weihnachten. Das ist diese sehr starke Dynamik der Infektionsausbreitung. Und die zeigt eigentlich, dass wir mit den bisherigen Maßnahmen nicht genug Kontaktrisiken unterbunden haben“, so Tschentscher weiter.

Deswegen sei der Beschluss zu den neuen härteren Corona-Regeln durch Bund und Länder richtig. „Wir müssen jetzt diese Dynamik für einen gewissen Zeitraum richtig abbremsen, damit wir wieder in eine Stabilität kommen“, ist sich Peter Tschentscher sicher.

Bei Markus Lanz: Virologe Klaus Stöhr vergleicht Pandemie mit Naturereignis

Auch den Virologen Klaus Stöhr hat der dramatische Anstieg an Infektionszahlen zum Herbst überrascht. Er vergleicht die Pandemie mit einem Naturereignis, das man nicht stoppen und auch nicht verhindern könne. Dennoch seien eben manche Ereignisse auch vorhersehbar.

Um dies zu verdeutlichen, vergleicht Stöhr in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ die Corona-Pandemie mit dem großen Influenza-Ausbruch 2017/2018. „Da sind 333.0000 Leute positiv getestet worden. 60.000 Menschen wurden in Krankenhäuser gebracht“, so Stöhr. An den Spitzentagen hätten sich mehr als 8.000 Menschen infiziert.

markus lanz stöhr und tschentscher

Moderator Markus Lanz am Donnerstag (28. Oktober) im Gespräch mit Bürgermeister Peter Tschentscher und Virologen Klaus Stöhr.

Klaus Stöhr: „Daran erinnert sich keiner mehr. Doch wenn man diese Zahlen genommen hätte und transponiert hätte in den Herbst, bei einer vollständig empfänglichen Population, also nicht bei einer Influenza, gegen die schon viele Menschen Antikörper haben, ist es doch recht blauäugig gewesen, sich im Sommer nicht auf diese Situation vorzubereiten.“

Klaus Stöhr bei Markus Lanz mit Kritik an Corona-Politik

Der Virologe sieht keine Notfallpläne, man habe keine Alternativen entwickelt und habe allem Anschein nach einfach bloß gehofft, dass im Herbst schon alles gut gehen werde.

Den Plan, die Gastronomie in ein paar Wochen wieder öffnen zu können, sieht Stöhr skeptisch. 80 bis 90 Prozent der Gesellschaft könne sich noch mit dem Virus infizieren. Das bei steigenden Zahlen. „Und der Winter steht uns noch bevor“, gibt der Virologe auf Nachfrage von Markus Lanz zu bedenken. „Alle Ingredienzien für so einen schweren Ausbruch bestanden vor zwei Wochen und bestehen auch jetzt.“

An dieser Situation habe sich bis in drei Wochen nichts geändert, ist sich Stöhr sicher. Die Faktenlage stehe eher so, dass die Situation mit der vor zwei Wochen vergleichbar sei, sodass man kurze Zeit darauf wieder stark auf die Bremse treten müsste, um das Infektionsgeschehen wieder einigermaßen unter Kontrolle bringen zu können.

Markus Lanz: Virologe vermisst Strategie im Umgang mit Corona

Klaus Stöhr vermisse eine klare Strategie, wie mit dem Virus umzugehen sei. Umgekehrt sei es das Virus, das uns den Weg diktiert. „Langfristig ist noch nicht akzeptiert worden und hat man noch nicht die Realitätsnähe, dass man die Dinge schon sieht, die man nicht abändern kann“, so Stöhr.

Wir hätten auch noch nicht die Genauigkeit zu sehen, was man ändern könne und auch noch nicht den Fokus auf das Wissen, was man dafür benötige. Denn man könne eben nicht ändern, dass sich das Virus weltweit ausbreitet. Man könne auch nicht verhindern, dass sich das Virus selbst nach einem strikten Lockdown anschließend einfach weiter verbreitet.

„Wir können nicht verhindern, dass wir uns alle infizieren werden“, so der Virologe mit einer düsteren Prognose. Und auch eine Herbst-Corona-Welle könne man nicht verhindern. „Das sind die Dinge, auf die müssen wir uns vorbereiten.“

Meinung bei Markus Lanz: Corona-Lockdown greift laut Stöhr zu kurz

Dennoch hält der Wissenschaftler Maßnahmen nicht für unnötig. „Jede Maßnahme, um die Infektionskette zu unterbrechen, macht Sinn“, so Stöhrs klares Urteil. Worüber wir uns alle jedoch nicht sicher sind seien, wie weit man die Infektionskette verlangsamen müsse, damit man in den Krankenhäusern alle Intensivpatienten behandeln könne.

„Ich glaube allerdings, dass man gut beraten war, zu warten bis nächste Woche Montag. Dann sieht man ein wenig, wo das Infektionsgeschehen hingeht. Ich glaube, gut ist auch, dass man jetzt sich nicht mehr von den Neuinfektionszahlen leiten lässt, sondern vor allen Dingen von der Belegungskapazität in den Krankenhäusern“, so Stöhr weiter.

Er zweifelt allerdings daran, dass nach den drei Wochen die geplante Ruhe eintrete und die Fallzahlen dann nachlassen. (jv)