Verurteilt – aber ein freier MannHitlers Mann in Köln: Gauleiter Grohé lebte nach dem Krieg entspannt in Ehrenfeld!

In diesem Haus, Stuppstraße 2, lebt Ex-Gauleiter Grohe ca. 1952/1953.

In diesem Haus, Stuppstraße 2, lebt Ex-Gauleiter Grohe ca. 1952/1953.

von Ayhan Demirci (ade)

Köln  – Der Kölner Nazi-Führer Josef Grohé kehrt, etwa fünf Jahre nachdem er aus der Trümmerstadt geflüchtet ist und später festgenommen wird, als freier Mann nach Köln zurück. Er zieht nach Ehrenfeld, in ein Mietshaus in der Stuppstraße 2. Wie ist das möglich?

Die unheimliche Geschichte des Gauleiters. Grohé hat in den ersten Wochen seiner Flucht, so seine Schilderungen, zweimal versucht, sich das Leben zu nehmen. Das Gift in einer Tablette hatte nicht gewirkt, und ein Schuss aus seiner Pistole traf zwar den Kopf, war aber nicht tödlich.

Der Gauleiter a. d., als einer von 43 Gauleitern Mitglied der verbrecherischen NS-Macht, ist im Sommer 1946 quicklebendig. Er ist erst 43 Jahre alt und nicht mehr lebensmüde. Nach seiner Festnahme auf einem Bauernhof in Nordhessen wird Grohé in Iserlohn und Recklinghausen interniert – und dann nach Belgien gebracht.

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Hier wird dem Reichsverteidigungskommissar für Belgien und Nordfrankreich 1948 der erste Prozess gemacht. Grohé ist angeklagt, als Oberbefehlshaber in den besetzten Gebieten die Erschießung von Geiseln befohlen zu haben. Zudem habe er als Gauleiter die Wiedereingliederung der seit 1919 zu Belgien gehörenden Kreise Eupen, Malmedy und St. Vith in den Regierungsbezirk Aachen durchgeführt. Dafür aber sei Berlin zuständig gewesen, verteidigt sich Grohé mit seinem Kölner Anwalt Dr. Servatius. Bei den Geiseln habe es sich um zum Tode verurteilte Flüchtlinge gehandelt. Das Gegenteil kann nicht bewiesen werden. Grohé kommt davon.

Er wird am Grenzübergang Aachen nach Deutschland überstellt. Der Westen gehört zur britischen Besatzungszone, hier sind – eine Besonderheit der Zone – zur Strafverfolgung von hohen NS-Funktionären und NS-Verbrechern sogenannte Spruchgerichte eingerichtet worden. In Bielefeld kommt es zum zweiten Prozess. Grohé wird in sechs Punkten angeklagt, unter anderem wegen der Verfolgung von Personen aus politischen und rassistischen Gründen.

Er sagt, er habe nur vom KZ Dachau gehört

Grohé, der treue Hitler-Gefährte, erscheint vor Gericht als ahnungsloser Mann. Nur vom KZ Dachau habe er gehört, die Vernichtungspolitik sei ihm fremd gewesen. Vom Missbrauch und Folter im „Braunen Haus“ in Köln, der Parteizentrale in der Mozartstraße, habe er nichts erfahren. Er habe sich im Bombenkrieg zu sehr um den Schutz und die Versorgung der Bevölkerung kümmern müssen.

Konkrete verbrecherische Maßnahmen können Grohé nicht nachgewiesen werden, viele Akten und Dokumente sind verbrannt oder vernichtet worden. Die ständige antisemitische Hetze räumt Grohé ein – die ist schließlich auch in den Artikeln im „Westdeutschen Beobachter“ dokumentiert. Leugnen ist da zwecklos.

Ehemalige Gaubewohner melden sich während des Prozesses mit Eingaben pro und kontra zu Wort. Schließlich wird Grohé im September 1950 zu vier Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Das Gericht, so die Forscherin Birte Klarzyk in einer Studie, sah es als erwiesen an, dass der Gauleiter aufgrund seiner Stellung von NS-Verbrechen wie der Deportation von Juden gewusst haben muss. Die Zeit, die Grohé in Internierungslagern und U-Haft verbracht hat, wird angerechnet, so dass eine kleine Reststrafe übrig bleibt. Auch die wird erlassen, nachdem der NRW-Ministerpräsident Karl Arnold einem Gnadengesuch stattgibt, dem sich auch Kardinal Frings anschließt.

Der Kölner Rechtsanwalt und Geschichtsforscher Winfried Seibert (73) erklärt gegenüber EXPRESS, dass es belastendes Material gegen Grohé durchaus gibt. Allerdings war ein entsprechendes Dokument erst vor etwa zehn Jahren publiziert worden. Seibert: „Am 21. März 1945 – vermutlich saß er mit seiner Gauleitung noch in Wiehl – setzte Grohé über die Leitfunkstelle Düsseldorf ein Fernschreiben an Reichsleiter Martin Bormann im Führerhauptquartier ab (Im Faksimile zu sehen bei Daners/Wisskirchen, Was in Brauweiler geschah, S. 133). Es ging um die Häftlinge, die die Gestapo von Brauweiler nach Siegburg Mitte Februar verlegt hatte.

Wörtlich heißt es darin: „zirka 70 noch nicht abgeurteilte stapohäftlinge aber alle überführt sind, terroristengr. unterstützt und dem nationalkomité freies deutschland angehört haben werden sofort erschossen.“ Dazu, so Seibert, sei es nicht mehr gekommen, weil die Häftlinge aus Siegburg in verschiedenen Richtungen weggeführt wurden und die meisten den Marsch überlebt haben.

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Die Hassrede aus der Kölner Messe

Wie fanatisch, verblendet und vernichtend Josef Grohé als Gauleiter war, zeigen u.a. folgende Auszüge einer Rede, die er am 28. September 1941 bei einer NSDAP-Kundgebung in der Kölner Messe hielt. Die Rede ist als Audiodatei in der ARD-Hörfunkdatenbank abrufbar.

„ Wo sollen die amerikanischen Truppen in Europa landen? Am Endsieg des Reiches wird Amerika nichts ändern.“

„Im Gau Köln-Aachen gab es bisher 500 Tote und 1000 Verletzte bei Luftangriffen. Die Zahl der Verkehrsunfälle im gleichen Zeitraum war früher größer.“

„Die Schwierigkeiten bei den Luftangriffen und der Aufenthalt in den Luftschutzräumen ist zumutbar. Im Rahmen dieser „Fliegersachen“ sind wir dazu übergegangen, „die Juden aus den besten Häusern herauszusetzen“ (langanhaltender Beifall).

„Das Ergebnis des Krieges wird die völlige Austreibung der Juden aus Europa sein. Noch laufen die Juden frei herum, aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Der Judenstern macht erst deutlich, wie viel Juden es in Köln gibt. In die Häuser der Juden ziehen nun deutsche Volksgenossen ein, deren Wohnungen zerstört wurden. (Beifall) Das Lachen wird den Juden noch vergehen...“

Vier Jahre später, als die Schreckensbilanz des „Dritten Reiches“ gezogen wird, steht die Welt vor der schrecklichen Gewissheit: Sechs Millionen Juden sind von den Nazis ermordet worden.

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Weitere Nazi-Fälle aus Köln

Martin Schwaebe (1911-1985), aus Leverkusen stammender Schriftleiter der von Grohé gegründeten NS-Zeitung „Westdeutscher Beobachter“. Ihm schickte Grohé Ende der 70er Jahre seine Erinnerungen zu, die EXPRESS publik macht.

Publizist Lutz Hachmeister, ehemals Direktor des Grimme-Instituts, enthüllte in einem Aufsatz, dass Schwaebe, der sich nach dem Krieg nach Österreich absetzt, dort an der Gründung von „S.O.S.“-Kinderdörfern beteiligt war und als „eine Art PR-Referent“ auftrat

+++ Grohés Stellvertreter Richard Schaller wird zu einer milden Strafe verurteilt und stirbt 1972

+++ Spektakulär ist die Enttarnung des SS-Obersturmbannführers und Pariser Gestapo-Führers Kurt Lischka 1971 in Holweide. Lischka ist auf dem Weg zur Arbeit als Prokurist einer Getreidegroßhandlung, als er von Beate Klarsfeld aufgespürt wird.

Wegen Mitwirkung an der Deportation und Ermordung von 40.000 Juden wird er zu zehn Jahren Haft verurteilt, stirbt 1989 in einem Brühler Heim

+++ Der Bankier und SS-Brigadeführer Kurt Freiherr von Schröder, der 1933 Präsident der Kölner Industrie- und Handelskammer wurde, hatte am 4. Januar desselben Jahres in seiner Villa am Stadtwaldgürtel das berüchtigte Geheimtreffen zwischen Reichskanzler von Papen mit Hitler organisiert, das dessen Regierungsübernahme ebnete.

Schröder wurde zu drei Monaten Haft wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und 1500 Reichsmark Geldstrafe verurteilt. Er starb 1966.