Extreme FolgenAttacke auf KVB-Busfahrer: Kölner verliert altes Leben und Traumberuf

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Kölner durch und durch und Busfahrer mit Herz: Thomas Annas, hier am 10. Juni 2021 am Gottesweg in Sülz, würde zu gerne wieder seinen Traumberuf ausüben können. Doch der Busfahrer wurde Opfer eines brutalen Fahrgastes.

von Jan Wördenweber (jan)

Köln – Hätte er diesen einen Satz nicht gesagt. Thomas Annas (44) muss oft daran denken. Vielleicht wäre es dann gar nicht zu der Attacke gekommen. Der Kölner Busfahrer würde noch sein altes Leben haben. Und dazu gehört sein geliebter Beruf. Aber Thomas Annas sagte diesen Satz am 7. Dezember 2020 durch das Busmikrophon der Linie 121: „Sie wissen schon, dass hier Videoaufzeichnung ist?!“ Wenig später war er im Krankenhaus.

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Ein Fahrgast, offensichtlich unter erheblichem Drogeneinfluss, war kurz vor der Haltestelle Dädalusring in Köln-Longerich völlig ausgerastet. Dabei zertrümmerte der zum Tatzeitpunkt 21 Jahre alte Mann mit einem Nothammer die Seitenscheibe des Busses.

Köln-Longerich: Attacke auf KVB-Busfahrer mit Nothammer

Die Situation eskalierte, als Annas (44) über Lautsprecher auf eine Videoaufzeichnung hinwies: Der 21-Jährige ging nach vorne und zerstörte die Schutzfolie, die den Fahrer seit Corona vom Fahrgastraum trennt. Unvermittelt schlug er von hinten mit dem Nothammer auf den Busfahrer ein. Annas versuchte, sich nach Leibeskräften zu wehren und den Angreifer von sich zu stoßen. Nachdem der Täter auch das Glas der Bustür zerstört hatte, flüchtete er zu Fuß.

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Zeugen verfolgten den Angreifer, bis Polizisten ihn wenige Minuten später in Tatortnähe überwältigten. Er kam nach Polizeiangaben erst in ein Krankenhaus und anschließend in eine Landesklinik, wo er stationär aufgenommen wurde.

Thomas Annas erlitt er unter anderem einen Schock und durch die Schläge kleinere Platzwunden und Prellungen. Zunächst einmal. Erst später zeigten sich viel schlimmere Schäden: psychische.

KVB Köln: Fahrgast schlägt Busfahrer mit Nothammer

„Ich konnte schon in der Nacht danach nicht gut schlafen. Klar, dachte ich, das liegt an dem Erlebten“, sagt Annas ein halbes Jahr nach der Tat beim Treffen mit EXPRESS. „Aber dann wurde es immer schlimmer. Ich bin schweißgebadet aufgewacht, ich konnte mein T-Shirt auswringen.“

Der Kölner war erst mehrere Wochen krankgeschrieben, dann startete die Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell. Annas fuhr zunächst zwei Wochen in Begleitung mit einem Kollegen, danach – so war er sich sicher – sei er wieder der Alte.

Doch dem war nicht so. Nach wenigen Tagen wandte sich Annas an seine Vorgesetzten. Die Angst, dass noch mal jemand unvermittelt von hinten auf den Busfahrer einschlägt, wurde zum ständigen Begleiter.

Annas ging zum Psychologen, eine Reha folgte. Dort wurde ihm attestiert, was er schon ahnte: Busfahren ist nicht mehr. Posttraumatische Belastungsstörung, so die Diagnose.

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„Ich bin einfach zu schreckhaft geworden. Ich blaffe auch manchmal Leute im Supermarkt an, wenn sie sich von hinten nähern und mich plötzlich überholen. Ich fange dann wieder am ganzen Körper an zu zittern.“ Annas hofft nun auf eine Therapie. Die mache laut Psychologen aber erst Sinn, nachdem der Gerichtsprozess stattgefunden hat.

Dass Annas so offen über das Erlebte und noch nicht Verarbeitete spricht, hat mehrere Gründe: Annas möchte anderen Menschen zeigen, die Ähnliches erlebt haben, dass sie nicht allein sind. „In der Zeitung sind das immer nur kleine Meldungen. Aber kaum einer macht sich eine Vorstellung davon, was die Opfer danach alles durchmachen.“

Kölner Busfahrer: FC-Fan, Karnevalist bei den Erdmännchen und Verkäufer im Rheinenergie-Stadion

Annas hätte sich nie vorstellen können, dass es ihn mal so treffen könnte. „Ich bin eher ein Harter im Nehmen.“ Und ein jecker Hansdampf in allen Gassen: Ob als FC-Fan, jahrelanger Eis- und Getränkeverkäufer im Rheinenergie-Stadion, EXPRESS-Zeitungsverkäufer oder als Karnevalist bei den Erdmännchen. Thomas Annas ist kein Unbekannter in Köln – immer „jot drop“, einer der lieber redet als schweigt. Das hat sich jetzt gedreht.

KVB-Busfahrer: Dank an Musiker der Bläck Fööss und Paveier

Viele haben in den vergangenen Monaten gefragt, was mit ihm los sei. Annas erzählt, wie sehr ihm etwa Bömmel Lückerath von den Fööss oder dessen Bruder Klaus (Paveier) geholfen hätten. „Indem sie mir einfach zugehört haben und mir Mut gemacht haben.“

Annas möchte sich auch bei den Fahrgästen und anderen Augenzeugen bedanken, die an dem Tag Zivilcourage gezeigt hätten. Zwei Männern, die den Täter nach der Attacke auf seiner Flucht stoppen konnten und ihn bis zum Eintreffen der Polizei festhielten, will er ein Privat-Konzert einer befreundeten Band schenken.

Neben seinen engsten Freunden und der Familie war vor allem sein Arbeitgeber die größte Hilfe. „In anderen Unternehmen wird man entlassen, wenn man seinen Job nicht mehr ausüben kann“, meint Annas. Die Kölner Verkehrs-Betriebe jedoch sagten ihm mehr als nur Hilfsangebote zu. Annas ist jetzt als Lagerist bei den KVB tätig, sogar eine Ausbildung wird ihm in Aussicht gestellt.

„Egal, wie die Geschichte ausgehen wird, die KVB hat einen Platz in meinem Herzen“, so der Kölner. Neben dem FC nimmt dort noch Annas' Sohn (14) den meisten Raum ein.

Es ist dieser Satz, den der 14-Jährige nach der Attacke sagte – und der Thomas Annas bis heute am meisten Kraft gibt: „Papa, ich bin so froh, dass Du noch lebst.“