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NachrufAnwalt Birkenstock (†73) hat den Saal verlassen – seine größten Fälle
Köln – Er war kein Mann der leisen Töne, aber ein Meister des rhetorischen Wortes. Schroff und charmant, geschätzt und gefürchtet.
Die Kölner Justiz trauert um einen der bekanntesten ihrer Zunft, Star-Anwalt Dr. Reinhard Birkenstock (†73). Nach schwerer Krankheit starb der gewiefte Strafverteidiger am Mittwoch im Kreise seiner Familie.
So klopfte er die Richter weich
Als Birkenstock Mitte der 70er Jahre in Köln als Rechtsanwalt startete, prägte er einen neuen Stil der Strafverteidigung.
„Er suchte den Konflikt mit den Richtern, machte sie mit einem Wust von Anträgen, Besetzungsrügen und Befangenheitsanträgen mürbe“, weiß Detlev Schmidt (69), langjähriger Gerichtsreporter des EXPRESS.
Das Ergebnis sei oft ein guter Deal mit erheblichem Straferlass gewesen. Birkenstocks erster großer Fall drehte sich um den Herstatt-Zusammenbruch, die damals größte Bankenpleite der Nachkriegsgeschichte.
„Er hatte Taktiken drauf, die waren sensationell“, erinnert sich Reporter Schmidt. Birkenstock habe aus dem Bauch heraus verteidigt, gerne mal mitten im Prozess die Strategie gewechselt.
Und er liebte das Feiern. Nach der Sitzung im Gerichtssaal sei es oft im „Advokat“ weitergegangen, einer früheren Kneipe direkt am Justizzentrum gelegen: „Da floss gerne mal bis abends das Kölsch.“
Ehemaliger Oberstaatsanwalt erinnert sich
„Er war schlitzohrig, aber verlässlich“, sagt der ehemalige Kölner Oberstaatsanwalt und Buchautor Egbert Bülles (72, „Deutschland, Verbrecherland?“). Birkenstock habe im Bereich der organisierten Kriminalität viele Klaubanden verteidigt.
„Wir haben im Vorfeld von Gerichtsverhandlungen viele Gespräche geführt“, erzählt Bülles, „da hat er schon mal wie ein evangelischer Pfarrer auf mich eingeredet, wie sehr seine Mandanten alles bereuen.“
Das Ziel: Auch bei erdrückender Beweislage ein milderes Urteil erreichen.
So brachte Birkenstock eine Staatsanwältin zum Heulen
„Den hat nichts gestoppt, wenn es um die Belange seines Mandanten ging, da kannte der kein Freund und kein Feind“, berichtet Strafverteidiger Martin Bücher (39), der die Kanzlei Birkenstock zusammen mit Jordana Wirths im Sinne des Seniors weiterführt.
„Er konnte im Gerichtssaal unfassbar charmant sein oder den größten Streit vom Zaun brechen“, so Bücher. Birkenstock habe über rhetorische Stärke und eine wahnsinnige Bildung verfügt. „Wenn man eine Flanke geboten hat, dann hat er sich da drauf gestürzt“, sagt Bücher.
Wie in einem Fall vor dem Landgericht Aachen, als eine Staatsanwältin Birkenstocks Mandanten einen Berserker genannt hatte.
Birkenstock stand auf, referierte die wahre Geschichte der Berserker, schlug sie der jungen Anklägerin regelrecht um die Ohren. Ergebnis: Die Staatsanwältin fing an zu heulen.
Von der Nutte bis zur Heiligen: Stolz jeden zu verteidigen
Bei Urteilen, die in seinen Augen ungerecht waren, habe Birkenstock „gelitten wie ein geprügelter Hund“, sagt Bücher. Ob Junkie oder Wirtschaftsboss, das habe dabei gar keine Rolle gespielt.
„Ich bin sehr stolz darauf, dass ich ein Strafverteidiger bin, der alle verteidigt, vom Penner bis zum Professor, von der Nutte bis zur Heiligen, vom ganz armen Sack bis zum größten Geldsack“, hatte Birkenstock einmal gesagt. Sein Tod wird eine Lücke reißen: Denn ein Großer hat den Gerichtssaal verlassen.
Seine größten Fälle: SPD-Politiker als DDR-Agent verurteilt
In der DDR-Spionageaffäre verteidigte Birkenstock den ehemaligen SPD-Politiker Karl Wienand (†84). Wienand war in den 60er und 70er Jahren eine der schillerndsten Figuren im Bonner Politikbetrieb. Im Amt des Parlamentarischen Geschäftsführers galt er als Strippenzieher der SPD.
Im Juni 1996 wurde Wienand vorm Oberlandesgericht Düsseldorf wegen Agententätigkeit für die DDR verurteilt, obwohl er den Vorwurf der Spionage stets bestritten hat. Insgesamt habe Ostberlin 1,28 Millionen Mark an den Politiker gezahlt, so die Richter. Die Verteidiger hatten Freispruch gefordert.
Wetter-Moderator Kachelmann aus der U-Haft geholt
Im damals laufenden Verfahren um die Vergewaltigungs-Vorwürfe um Jörg Kachelmann (59) vorm Landgericht Mannheim hatte der Wetter-Moderator seinen Verteidiger Reinhard Birkenstock geschasst – obwohl ihn der Kölner Star-Jurist aus der U-Haft geholt hatte.
Letztlich wurde Kachelmann im Mai 2011 freigesprochen. Nicht wegen, sondern trotz des Anwaltswechsels, sagen Experten. Der spektakuläre Fall stand viele Monate im Fokus der Medien. Öffentlich hat Reinhard Birkenstock im Nachgang nie darüber gesprochen, wie sehr ihn seine Abberufung verletzt hat.
Kunstfälscher nach Millionen-Forderungen entschuldet
Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi (67) sicherte sich die Dienste des Kölner Strafanwalts – dem Maler drohten vor dem Kölner Landgericht viele Jahre Gefängnis. Er hatte Gemälde im Stil von Heinrich Campendonk, Max Ernst und Max Pechstein erschaffen und unter deren Namen verkauft – für Millionenbeträge.
Birkenstock erreichte mit seiner Kollegin Jordana Wirths nicht nur salomonische Urteile für Beltracchi und dessen Ehefrau Helene (59). Sondern vorm Insolvenzgericht auch die komplette Entschuldung nach riesen Regressforderungen aus der Kunstwelt.