Doc Esser war selbst krankKölner Arzt mit deutlicher Warnung vor Covid-19-Folgen

Heinz Wilhelm Esser (1)

„Doc Esser“ ist selbst am Coronavirus erkrankt, nun warnt er vor den Langzeitfolgen.

von Madeline Jäger (mj)

Köln – Seine eigene Covid-19-Erkrankung hat er an Ostern nur durch Zufall bemerkt. Dabei ist Dr. Heinz-Wilhelm Esser als Pneumologe absoluter Lungen-Spezialist. Der 46-Jährige lebt mit seiner Familie in Köln, ist außerdem Internist, Kardiologe und Notarzt.

TV-Zuschauern ist er vor allem als Doc Esser bekannt. Täglich hat er als Leiter der Pneumologie in der Sana Klinik Remscheid mit Covid-19-Patienten zu tun. Nun warnt Doc Esser vor Langzeitfolgen und hat wichtige Tipps.

Herr Esser, wie haben Sie den Krankheitsverlauf von Covid-19 bei sich selbst erlebt?

Alles zum Thema Corona

Den klassischen Krankheitsverlauf kann ich so gar nicht beschreiben, bei mir ist es über eine postinfektiöse Vaskulitis (Gefäßentzündung) überhaupt erst zu dem Verdacht gekommen, dass ich selbst schon am Coronavirus erkrankt sein könnte.

Eine Vaskulitits ist letztendlich eine Erkrankung des Immunsystems. Das Immunsystem reagiert dabei auf körpereigene Zellen. Bei mir gab es Einblutungen an den Beinen. Ich guckte so an mir runter und dachte: Was soll das denn?  

Ich bin dann zu meiner Hautärztin gegangen. Sie sagte mir, die Einblutung könnte postinfektionell nach einer Covid-Erkrankung vor 6-8 Wochen entstanden sein. Insgesamt eine unschöne Geschichte, über die ich mich nicht sehr gefreut habe.

Haben Sie noch andere Symptome bemerkt?

Ich war ansonsten völlig symptomlos, was ja auch das gemeine bei dieser Erkrankung ist. Wir wissen, dass viele Menschen diese Erkrankung durchmachen, ohne dass sie in irgendeiner Weise Symptome zeigen oder nur mit ganz leichten Symptomen erkranken.

Oft entstehen Folgeerkrankungen. Dadurch wissen wir nicht, wohin die Reise geht. Covid-19 ist eben eine Erkrankung, die den ganzen Körper angreifen kann.

Wo haben Sie sich wahrscheinlich angesteckt?

Ich war zu diesem Zeitpunkt Leiter der Covid-Station und damit einer hohen Viruslast ausgesetzt. Es kann aber auch an einem anderen Ort zu einer Ansteckung gekommen sein, ich war infiziert, als NRW sehr stark durchseucht war und ich gehörte zu den Leuten, die nicht im Homeoffice bleiben konnten. Ich war oft unterwegs und musste meine Visiten ganz normal fahren.

Wahrscheinlich habe ich mich bei jemandem angesteckt, der nicht wusste, dass er positiv ist.

Haben Sie Antikörper gegen das Virus entwickelt?

Ja, ich habe einen dieser spezifischen Antikörper-Tests gemacht. Bei dem Test wird Blut abgenommen und darin hat sich das bestätigt. Mein Immunsystem scheint die neutralisierenden Antikörper gebildet zu haben, die man dafür braucht.

Es gibt ja verschiedene Antikörper und die sind bei mir sehr ausgeprägt und konnten spezifisch nachgewiesen werden. In meinem Fall kann man davon ausgehen, dass ich zumindest eine gewisse Zeit lang immun bin.

Welche Covid-19-Fälle haben Sie als Lungenfacharzt bisher erlebt?

Wir haben auch junge Männer als Patienten gehabt – der jüngste war erst 22 Jahre alt – die zunächst ganz stabil waren und keine Vorerkrankungen hatten. Die Patienten haben dann plötzlich eine beidseitige virale Lungenentzündung gebildet, die sie richtig lange ans Bett gefesselt hat.

Wir versuchen momentan, das Coronavirus immer wieder anhand der Letalität („Tödlichkeit“) zu klassifizieren, um dann zu sagen, wie schlimm es ist. Dabei kommen immer wieder diese unsäglichen Vergleiche mit der Grippe.

Was ist der größte Unterschied?

Abgesehen davon, dass wir auch immer noch zu viele Influenza-Tote haben, ist auf jeden Fall ganz klar, dass Covid-19 einfach noch einen Ticken aggressiver ist. Gerade, weil es den ganzen Körper betrifft.

Aber, wo bei mir die Alarmglocken schrillen, ist beim Thema Langzeitfolgen.

Welche Langzeitfolgen kann eine Covid-19-Erkrankung haben?

Wir müssen davon ausgehen, dass die Patienten, die beispielsweise eine schwere Lungenentzündung hatten, zwar als geheilt gelten, aber nach einer Covid-Genesung auf jeden Fall regelmäßig ihre Lungen überprüfen lassen sollten. Es kann dazu kommen, dass es Vernarbungen am Lungengewebe gibt. Im Schlimmsten Fall kommt es zu „fibrotischen Umbauten.“

Sprich: Das Lungengewebe, was wichtig ist für den Gasaustausch, wird abgebaut. Stattdessen wird nutzloses Bindegewebe eingebaut. Dann spricht man von Lungenfibrose.

Wir können dann schlechter atmen und auf lange Sicht können wir am Langzeitsauerstoffgerät mit Schlauch in der Nase landen. Schlimmstenfalls stirbt man an Lungenfibrose. Jetzt hatten wir ja ganz viele auch junge Frauen und Männer mit diesen schweren Lungenentzündungen, da kann man nur hoffen, dass sie sich wieder erholen.

Was sind die neusten Erkenntnisse zu Langzeitfolgen?

Am CT (Computertomograph) haben wir diese wahnsinnig großflächige Entzündung in der Lunge von Covid-Patienten gesehen. Da muss man davon ausgehen, dass dort Schaden davon getragen wird. Das ist der Unterschied zur normalen Lungenentzündung.

Die Geschmacksveränderungen weisen auf einen Aspekt hin. Wenn das Virus die Möglichkeit hat, sich über Nerven zu verbreiten, dann kann es im Prinzip überallhin. Es gibt mittlerweile auch Theorien darüber, dass es zum Beispiel den Hirnstamm befallen kann und verantwortlich für andere lokale Entzündungen sein kann. Das macht das Ganze so gefährlich.

Was bemerken Genesene an sich?

Ich bekomme von vielen Patienten zurückgespiegelt, dass es ihnen wieder gut geht – sie aber noch nicht wieder so leistungsfähig sind.

Viele entwickeln sogar ein postinfektiöses Asthma. Wir kennen diese einzelnen Komponenten auch schon von früheren viralen Erregern, aber nicht in dieser Masse und nicht in dieser Konsequenz, dass ein einziges Virus so viel gleichzeitig auslösen kann.

In Teilen der Gesellschaft ist der Respekt vor dem Virus einer großen Lockerheit gewichen – wie beurteilen Sie den Wandel?

Ich sehe den Wandel mit Sorge. Auf der einen Seite gehe ich die Lockerungen überall komplett mit. Wir müssen auch wieder ein bisschen in den Alltag zurückkommen. Im Moment ist die Infektionsrate so gering, dass man wirklich relativ sicher sein kann, dass die Lockerungsmaßnahmen nicht zu einem erneuten Anstieg führen.

Hier lesen Sie mehr: Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke auf den Spuren des Virus

Was ich aber mit Sorge erlebe, sind Demos, wie die Techno-Demo in Berlin, denn da können neue Brandherde entstehen. Und ich trauere da am meisten mit der Szene, weil ich ein großer Musik-Fan bin (lacht).

Welche Folge kann eine solche Demo haben?

Es wäre dramatisch, wenn es aus einer relativ unvernünftigen Demo ein neuer Infektionsherd entstehen würde. Für einige ist die Letalität („Tödlichkeit“) aktuell nicht hoch genug, für mich schon.

Die sollten dann daran denken, wie es ist, mit einer vernarbten Lunge zu leben – das ist kein Spaß.