„Dann sind wir Buhmänner der Nation“Kölner Gastro-Mitarbeiter mit drastischem Appell

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Für die Kölner Gastronomie setzt die Stadt jetzt eine neue Stelle in Form einer Gastro-Kümmerin ein. Das Symbolfoto im Mai 2020 in der Slowakei aufgenommen.

von Madeline Jäger (mj)

Köln – Für den Kölner Tom Wiesenbach (25, Name von der Redaktion geändert) waren die vergangenen Wochen keine leichte Zeit. Wegen der Corona-Krise durfte der Barkeeper nicht in seinem Lokal auf der Aachener Straße in Köln arbeiten.

Seine Kollegen und er waren zum Nichtstun verdammt. Doch jetzt freut er sich über die Lockerungen, wenn auch mit gemischten Gefühlen. „Ich bin gespannt, wie lange wir geöffnet bleiben dürfen.“

Nicht nur der Kölner Barkeeper, sondern auch seine Kollegin aus dem Servicebereich sieht die Corona-Lage kritisch. Beide sind sich sicher: Die Öffnungen und Lockerungen ab dem 11. Mai sind zwar für die Gastronomie ein wirtschaftlicher Segen, doch eigentlich ging alles viel zu schnell.

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Köln: Barkeeper (25) hätte sich Wiederöffnung gestaffelt gewünscht

„Man hätte die Öffnungen gestaffelt angehen müssen, jetzt öffnet die Gastronomie gleichzeitig mit Fitnessstudios und anderen Freizeit-Einrichtungen. Das geht alles deutlich zu schnell“, erklärt der 25-Jährige. Seit vier Jahren arbeitet er in einem Restaurant an der Aachener Straße hinter der Theke.

Das Lokal, in dem er bis zur Corona-Schließung im März Cocktails mixte, ist bisher mit Rücklagen und Kurzarbeit vergleichsweise gut durch die Corona-Krise gekommen. Doch einen neuen Lockdown würde auch dieser Betrieb wohl nicht lange überstehen.

Verhalten der Gäste: Kölner fürchtet zweite Infektionswelle

„Die gleichzeitig eintretenden Öffnungen nach dem Lockdown geben vielen Menschen gerade wohl das Gefühl, dass sie sich nicht mehr an Abstandsregeln halten müssen. Ich sehe in Köln bei schönem Wetter 30 bis 40 Menschen auf einem Spielplatz, alle auf einem Haufen. Ich habe das Gefühl, dass wegen den neuen Lockerungen bei vielen Kölnern das Gefühl aufgekommen ist, dass sich das Coronavirus erledigt hat,“ so der Barkeeper.

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Daher fürchtet er eine zweite Infektionswelle.

Und: dass sein Lokal in zwei Wochen dann doch wieder schließen muss. Das könne er sich gut vorstellen.

Social Distancing an der Cocktail-Theke: „Hälfte meines Jobs fällt weg“

Trotz der stark gemischten Gefühle, was die Gastro-Öffnungen angeht, freut sich der Barkeeper darauf, wieder Cocktails mixen zu dürfen. Auch, wenn sich an seinem Job viel ändert. Der Kontakt mit den Menschen mache für ihn den Job als Barkeeper aus. In Zeiten der sozialen Distanz ein schwieriger Faktor.

„Jeder Gast hat eine Geschichte zu erzählen“, so der Barkeeper. Gerade die Gäste, die sich früher zu ihm an die Theke gesetzt haben, seien der Typ Mensch gewesen, der sich gerne unterhält und sich gegenüber ihm und seinen Kollegen gerne geöffnet.

Dieser zwischenmenschliche Kontakt fällt für den Barkeeper nun komplett weg. „An der Theke darf in Corona-Zeiten niemand mehr sitzen, der Bereich ist abgesperrt. Die Hälfte meines Jobs fällt weg“, so Wiesenbach. Nur im reduziert aufgestellten Gastraum dürften Gäste nun Platz nehmen.

Dokumentationspflicht: „Bullshit, weil ich mir auch ohne Corona so oft Hände wasche“

Nur im reduziert aufgestellten Gastraum dürften Gäste nun Platz nehmen. „Wir arbeiten mit einem Gesichtsvisier auf dem Kopf und müssen jede halbe Stunde unsere Hände waschen und desinfizieren. Beides muss dokumentiert werden. Was eigentlich Bullshit ist, weil ich mir auch ohne Corona so oft die Hände wasche“, so der Barkeeper.

Trotzdem sei es wichtig, weil es sicher auch irgendwo Gastro-Mitarbeiter ohne ein derart ausgeprägtes Hygienebewusstsein geben würde.

„Ich glaube nicht, dass sich alle Gäste sofort an die Regeln halten werden“

Auf das Verhalten der Gäste ist der Kölner ebenfalls gespannt. „Ich glaube nicht, dass sich alle Gäste sofort an die Regeln halten werden, da wird es Diskussionen geben.“

Ein weiteres Problem sieht Wiesenbach in der politischen Ausgestaltung der Wiederaufnahme der Gastro-Betriebe. Seine Kollegin mit Kindern gilt als Kellnerin nicht als systemrelevant und hat damit auch erst einmal keinen Anspruch auf eine Notbetreuung ihrer Kinder.

Servicepersonal nicht systemrelevant, keine Kindernotbetreuung

„Für uns ist es gerade doppelt prekär“, erklärt die betroffene Kellnerin Yvonne (41). Sowohl sie, als auch ihr Mann arbeiten in der Gastronomie. Noch ist völlig unklar, was sie mit ihren beiden Kindern nächste Woche machen sollen.

„Kinderbetreuung wird unterschätzt“, findet die 41-Jährige. In der Gastronomie sei Flexibilität außerdem eine Grundvoraussetzung. Daher wolle sie ihren Chef bei all den neuen Problemen, die gerade auf ihn zukommen, nicht gleich in der ersten Woche wegen einer Sonderlösung ansprechen.

Doch die große Frage der Kinderbetreuung für Gastronomie-Mitarbeiter sei noch nicht gelöst. Ähnlich wie ihr Kollege sieht sie die Corona- Lockerungen für ihre Branche kritisch.

Kontakt mit Stammgästen könnte holprig werden

„Erst hat man die Gastronomie in der Corona-Krise als Opfer gesehen, das man zu lange vergessen hat. Doch wenn die Zahlen jetzt wieder steigen, sind wir die Buhmänner der Nation“, erklärt Yvonne kritisch.

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Trotz der Widrigkeiten freut sich Yvonne, ab Montag wieder arbeiten zu dürfen. Doch auf den Kontakt mit den Stammgästen ist sie sehr gespannt.

Gastro-Neustart in Corona-Krise: „Wer Alkohol trinkt, unterschätzt Risiken“

„Das könnte holprig werden, weil bestimmte Rituale nicht mehr stattfinden dürfen.“ Beide Gastro-Mitarbeiter sehen auch das Thema Alkohol als Problem an. Zwar sei es wirtschaftlich für die Kölner Gastronomen wichtig, Alkohol auszuschenken.

Doch im Hinblick auf die Corona-Regeln? „Wer Alkohol trinkt, unterschätzt Risiken“, erklärt Yvonne dazu. Trotzdem hoffe sie auf die Vernunft der Kölner.