Eine neue Folge aus unserer Reihe „Kölner Geheimnisse“.
Fällt euch was auf?Kölns Seltsam-Masten

Copyright: Maira Schröer
Die Straßenbeleuchtung am Neubrücker Ring im rechtsrheinischen Brück hat eine Besonderheit.
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Natürlich gibt es viele unterschiedliche Straßenlaternen: Historische und moderne, welche mit und welche ohne Mast, schwarze, grüne oder silberne. Die Auswahl ist groß und doch ist dem Betrachter beim Anblick der Straßenbeleuchtung am Neubrücker Ring im rechtsrheinischen Brück sofort klar, dass mit diesen Laternen etwas nicht stimmt. Eine neue Folge aus unserer Reihe „Kölner Geheimnisse“.
Das Ding ist: Die Laternenmaste teilen sich an der Spitze. Die beiden jeweiligen Teilstücke sind gebogen und führen fast im rechten Winkel von den Masten weg. Doch während an den Teilstücken, die in Richtung Fahrbahn zeigen, Straßenleuchten befestigt sind, scheinen die übrigen Teilstücke keinerlei Funktion zu haben – sie hängen leer in der Luft. Dieses Phänomen trifft auf fast alle Straßenlaternen am Rather Kirchweg/Neubrücker Ring zwischen der Hans-Schulten- und der Rösrather Straße zu.
„Das sind Doppel-Peitschenmasten“, erklärt Dr. Fritz Bilz von der Werkstatt für Ortsgeschichte Köln-Brück und ergänzt: „Eigentlich sollte an der zweiten Peitsche auch eine Leuchte hängen.“ Doch diese Lampen wurde nie angebracht, weil das, was sie ursprünglich beleuchten sollten, auch niemals gebaut wurde. „Die Doppel-Peitschenmasten waren für den vierspurigen Ausbau des Neubrücker Rings als Teil der rechtsrheinischen Stadtautobahn vorgesehen“, weiß der promovierte Historiker.
In Köln dominierte nach dem Zweiten Weltkrieg das Leitbild von der „autogerechten Stadt“
Genau wie in vielen anderen Metropolen dominierte auch in Köln nach dem Zweiten Weltkrieg das Leitbild von der „autogerechten Stadt“. Das Auto galt als das Fortbewegungsmittel der Zukunft. Es sollte im Mittelpunkt aller verkehrs- und städteplanerischen Überlegungen stehen. Das Hauptziel war ein leistungsfähiges Autostraßennetz. Was das in der stadtplanerischen Realität bedeutete, davon zeugt in Köln bis heute die Nord-Süd-Fahrt, eine breite Schnellstraße, die das Zentrum teilt.
Im Jahr 1973 legte Prof. Dr.-Ing. Bruno Wehner (1907-1974) von der Technischen Universität Berlin einen neuen Generalverkehrsplan für Köln beziehungsweise eine Überarbeitung des ersten Generalverkehrsplan aus dem Jahr 1956 vor. Darin enthalten waren zahlreiche Empfehlungen für ein effektiveres Kölner Straßennetz. „Professor Wehner schlug unter anderem den Bau einer rechtsrheinischen Ringautobahn vor“, erläutert Fritz Bilz, der seit 1945 in seinem Elternhaus in Brück lebt.
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Geplant war ein kreuzungsfreies Straßenband, das von der Schönhauser Straße am linken Flussufer über eine neue Rheinbrücke durch die rechtsrheinischen Stadtteile Rath, Brück und Dellbrück bis nach Stammheim führte, um dort den Rhein mit Hilfe einer weiteren neuen Brücke erneut zu passieren und schließlich am linksrheinischen Niehler Ei, dem größten Kreisverkehr in und um Köln, zu enden. „Hier am Neubrücker Ring wäre die Stadtautobahn direkt neben dem Wohngebiet entstanden. In Dellbrück verlief die Planungsroute sogar durch die heute unter Denkmalschutz stehende Märchenwaldsiedlung“, macht der Geschichtsexperte das Ausmaß des Vorhabens im Sinne der „autogerechten Stadt“ deutlich.

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Fritz Bilz kennt den Hintergrund der Geschichte.
Die rechtsrheinische „Ringautobahn“ war laut Fritz Bilz Teil eines größeren Verkehrsprojektes. Das Kölner Straßennetz stieß nach dem Zweiten Weltkrieg schnell an seine Kapazitätsgrenzen. So heißt es im Vorwort des Generalverkehrsplans von 1973: „Die vorhandenen Hauptverkehrsstraßen sind während der Spitzenstunden fast ausgelastet. Weiterer Kraftfahrzeugverkehr zwischen Wohnung und Arbeitsplatz kann daher in der Innenstadt kaum noch vom Straßennetz aufgenommen werden.“
Entlastung versprachen sich die Verkehrsplaner von einer sogenannten „Stadtautobahn“, die bereits im Generalverkehrsplan von 1956 auftauchte. Sie sollte die Kölner Innenstadt an das überregionale Autobahnnetz anschließen. Auf der linken Rheinseite führte die Planungsroute hauptsächlich parallel zur Inneren Kanalstraße über den Inneren Grüngürtel. Im Generalverkehrsplan von 1973 führte Prof. Dr.-Ing. Bruno Wehner diese Planungen im rechtsrheinischen Teil der Domstadt fort.
Der Kölner Rat stimmte den Vorschlägen des Berliner Hochschulprofessors laut Fritz Bilz zu und die Bauarbeiten begannen. Der Neubrücker Ring, bei dem es sich damals noch um einen schmalen Weg handelte, wurde zu der heutigen zweispurigen Straße ausgebaut. Zwei weitere Fahrspuren sollten folgen. Auch die Peitschenmasten für die doppelseitige Straßenbeleuchtung wurden aufgestellt. Doch dann stoppte das Vorhaben.
Ringautobahn verhindert
„Wir haben die Ringautobahn verhindert“, sagt Fritz Bilz. Mit „wir“ meint er ein breites Bündnis aus Jusos, der Jugendorganisation der SPD, und Bürgerinitiativen auf beiden Seiten des Rheins. Fritz Bilz selbst war in den 1970er-Jahren Juso-Sprecher in Brück. Gemeinsam mit den Jungsozialisten in Dellbrück und Rath organisierte er den Widerstand im Rechtsrheinischen.
Im Linksrheinischen, wo ebenfalls viele Bürger gegen den geplanten Bau der Stadtautobahn, deren Streckenplanung mit dem Inneren Grüngürtel kollidierte, Sturm liefen, wurden sie von verschiedenen Bürgerinitiativen, darunter die Nippeser Baggerwehr und die beiden Bürgerinitiativen Südliche und Nördliche Altstadt, unterstützt. Sie mobilisierten die Bevölkerung und schrieben Leserbriefe an die örtliche Presse. Der Historiker erinnert sich noch gut an seinen Auftritt in der Aktuellen Stunde des Westdeutschen Rundfunks (WDR), wo er die Gelegenheit bekam, über die Auswirkungen der rechtsrheinischen Ringautobahn zu informieren.
Nach mehreren Jahren kippte der Rat das Verkehrsprojekt schließlich. „Das war nicht nur unser Verdienst. Es gab zu jener Zeit ein generelles Umdenken in der Bevölkerung, weg von der autogerechten Stadt“, sagt der Historiker. Die bereits aufgestellten Doppel-Peitschenmasten am Neubrücker Ring ließ die Stadtverwaltung stehen. Auch die zwei Fahrspuren wurden in diesem Bereich nicht wieder zurückgebaut. Dort, wo die dritte und vierte Fahrbahn der „Ringautobahn“ entstehen sollten, verläuft heute ein breiter Gehweg. Hier hat sich die Idee der „autogerechten Stadt“ de facto nicht durchgesetzt.
Diese Geschichte stammt aus dem Köln-Buch „Kölner Geheimnisse Band 2/ 50 neue spannende Geschichten aus der Dom-Metropole“, das im Bast-Verlag erschienen ist (192 Seiten, 24 Euro). Sieben Jahre nach Erscheinen des ersten Bandes sind es diesmal die Autoren Ayhan Demirci und Maira Schröer, die sich auf die Spuren Kölner Geschichte begeben haben und ausgehend von Objekten und Relikten in der Stadt von außergewöhnlichen Begebenheiten erzählen.
