„Tatort“ KölnJoe Bausch, Experte für die Bitterbösen, überrascht mit „netter“ Ankündigung

Joe Bausch – ein Mann mit vielen Facetten. Im Interview mit EXPRESS.de erklärt er auch seine Faszination für das Böse.

Joe Bausch – ein Mann mit vielen Facetten. Im Interview mit EXPRESS.de erklärt er auch seine Faszination für das Böse.

Er ist der Experte für die Bitterbösen: Joe Bausch. Seit 25 Jahren beugt er sich als Gerichtsmediziner Dr. Joseph Roth über die Erschossenen und Erdrosselten, die das Kölner „Tatort“-Geschehen in Gang setzen.

von Horst Stellmacher (sm)

Hauptberuflich war Joe Bausch von 1986 bis 2018 Gefängnisarzt der JVA Werl und damit für die Gesundheit der Schwerstverbrecher zuständig. Aus dieser Welt heraus hat er jetzt ein ganz besonderes True-Crime-Buch geschrieben: „Maxima Culpa – Jedes Verbrechen beginnt im Kopf“.

Im Gespräch mit EXPRESS.de berichtet der Ex-Gefängnisarzt und Schauspieler über das Böse im Menschen, Reue bei Tätern, seine Hobbys im Alter und darüber, wie lange er noch im TV den Gerichtsmediziner mimen will.

Joe Bausch: „Tatort“-Mediziner über die Faszination des Bösen

In „Maxima Culpa“ geht es um Gewaltakte unvorstellbaren Ausmaßes. Es sind Fälle dabei, die einen ganz entsetzlichen Verlauf haben. Was fasziniert Sie am Bösen?

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Joe Bausch: Mich interessiert nicht das Böse allein, sondern vor allem die Frage, wo es herkommt. Ich frage mich immer, warum zehn Menschen eine schlimme Geschichte erleben und normal bleiben, und der Elfte erlebt sie auch, rastet aber aus und läuft Amok. Warum 100 Menschen eine beschissene Kindheit und Gewalterfahrungen gehabt haben…

...oder missbraucht wurden...

Joe Bausch: ...ja, und sie werden dennoch zu empathischen, sozial aufopferungsvollen Menschen, aber der 101. wird mit 23 zum bestialischen Mörder. Oder warum sich Kids schon im Alter von zehn Jahren pornografischen Hardcore reinziehen – und dann doch nur einer von den vielen zum sadistischen Sexualstraftäter wird. Es ist die Frage, die mich bis heute nicht loslässt: Was macht Menschen böse? Erst, wenn ich das verstehe, kann ich es vielleicht auch verhindern.

Joe Bausch: So ist es, als Arzt verurteilten Straftätern zu helfen

Sind es Fälle, die Sie als Gefängnisarzt kennengelernt haben?

Joe Bausch: Nein. Es ist schwer, Fälle aus der eigenen Erlebnis-Welt zu nehmen, weil ich davon nicht viel erzählen darf, alles unterliegt der Schweigepflicht. Aber ich habe alles so oder so ähnlich auch erlebt. Sie hatten als Arzt engsten Kontakt mit den Tätern.

Fiel es Ihnen schwer, diesen Menschen zu helfen?

Joe Bausch: Überhaupt nicht. Selbst auf die Allerschlimmsten habe ich mich konzentriert vorbereitet. Es hat mir nichts ausgemacht, die zu behandeln, obwohl mir der Puls bei der Begegnung viel schneller schlug. Aber die Behandlung hat jeder verdient. Ich bin immer menschlich mit den Menschen umgegangen, die selbst die Würde von anderen mit Füßen getreten haben.

Gab’s da nie innere Konflikte?

Joe Bausch: Es heißt, die Würde des Menschen ist unantastbar und nicht verhandelbar – und davon bin ich überzeugt. Wobei ich zugeben muss, dass es mir einige sehr schwer gemacht haben. Wichtig ist, dass man im Umgang authentisch bleibt, aber ihnen auch nicht das Gefühl vermittelt, dass man sie versteht. Ich habe sie fair, respektvoll und würdevoll behandelt, aber auch klargemacht, dass zwischen ihnen und mir Welten sind.

Der Schauspieler Joe Bausch und EXPRESS-Kolumnist Horst Stellmacher (v.r.) am 13. Juni 2022 in Köln.

Joe Bausch und EXPRESS-Reporter Horst Stellmacher beim Interview in Köln.

„Maxima Culpa“ schließt die Reue mit ein. Wenn Sie die bei den Tätern gespürt haben – konnten Sie dann verzeihen?

Joe Bausch: Wenn sie bereuten und einsahen, dass sie viel Leid über die Menschen gebracht hatten, ja. Doch es fiel und fällt mir schwer, Menschen zu verzeihen, die so in ihrer Persönlichkeit gestört sind, dass sie weiterhin so psychopathisch, narzisstisch oder sadistisch sind und deutlich vermitteln, dass ihnen das entscheidende Stück Festplatte fehlt. Da bin ich dafür, dass man sie so lange einsperrt, bis sie wirklich keine Gefahr mehr für die Menschheit sind. Da gehe ich gern auf Nummer sicher.

Wie war das in Ihrer Arbeit prozentual aufgeteilt?

Joe Bausch: Bis sechs Prozent aller Verbrecher, die mir begegnet sind, hätte ich nicht verzeihen können. Da war ich überzeugt, dass sie am besten im Knast aufgehoben sind, bis ihnen vielleicht ein höherer Richter verzeihen mag.

Joe Bausch: Pensionär im kreativen „Unruhestand“

Wie war es, wenn Sie einem der Täter als Arzt mitteilen mussten, dass seine Lebenszeit nur noch begrenzt ist?

Joe Bausch: Ich habe das einigen bösen Menschen sagen müssen. Ich habe Leute erlebt, die sagten dann: „Diese Ausfahrt nehme ich. Ich habe 30 Jahre Knast vor der Brust – warum soll ich mich da noch behandeln lassen?“ Das war häufiger. Seltener habe ich erlebt, dass einer von den richtig bösen Verbrechern sagte, er möchte vor dem Hintergrund des eigenen Sterbens seine Opfer um Verzeihung bitten.

Sie sind seit zweieinhalb Jahren Pensionär. Glauben Sie, dass Sie von Ihren Patienten von einst vermisst werden?

Joe Bausch: Ich denke, einigen fehlt der bunte Vogel, der berühmte Vertrauensarzt, der ich für sie war. Vor kurzem habe ich einen Ex-Patienten auf der Straße getroffen. Der sagte, er sei froh, dass er jetzt draußen sei – ohne mich sei es da nicht mehr schön. Fand ich sehr witzig.

„Tatort“ aus Köln: Joe Bausch ist motiviert bis in die Haarspitzen

Ihre Beamten-Karriere ist beendet, im Kölner „Tatort“ sind Sie aber immer noch als Gerichtsmediziner Dr. Joseph Roth im Einsatz. Erinnert an die Fußballarzt-Legende Dr. Müller-Wohlfahrt, der auch im hohen Alter dabei war. Wollen Sie der Dr. Müller-Wohlfahrt vom „Tatort“ werden?

Joe Bausch: Warum nicht? Wie er bin ich motiviert bis in die Haarspitzen. Solange ich mich noch vor der Leiche niederknien kann und anschließend wieder hochkomme, ohne dass mir einer helfen muss, spiele ich das weiter.

Nächstes Jahr werden Sie 70. Möchten Sie noch mal 20 sein?

Joe Bausch: Manchmal ja – aber nur mit der Erfahrung und dem Wissen von heute. Aber damit könnte es passieren, dass ich ein misanthropischer, schlecht gelaunter 20-Jähriger wäre. Das wäre schrecklich. Ich bin lieber ein gut gelaunter Fast-Siebziger.

Haben Sie Hobbys, die Sie im Alter mehr pflegen wollen?

Joe Bausch: Ich schreibe, ich mache Fernsehen. Für mich ist meine Arbeit immer mein Hobby gewesen, es ist ein glücklicher Zustand, dass ich es fortsetzen kann. Außerdem bin ich bei vielen karitativen Projekten eingebunden. Ich begegne also fast ausnahmslos freundlichen Menschen und mache nur noch nette Geschichten. So bündele ich positive Energie, das ist eine schöne Sache. Ich muss mich nicht mehr aufregen, keine Mitarbeiter mehr motivieren und nicht mehr Animateur für Leute spielen, die keinen Bock haben. Ich muss mich selber motivieren, bin mit Leuten zusammen, die ich mag. Und der Rest kann mich mal...

Joe Bausch: Bundesverdienstkreuz für den „Tatort“-Mediziner

Joe Bausch (heißt eigentlich Hermann Joseph Bausch-Hölterhoff, geboren am 19. April 1953 in Ellar/Westerwald) studierte Theaterwissenschaften in Köln und Medizin in Bochum. Von 1986 bis 2018 war er Arzt in der Justizvollzugsanstalt Werl. Pensioniert wurde er als Leitender Regierungsmedizinaldirektor.

Erster TV-Auftritt 1985 in der Serie „Zahn um Zahn“. Feste Rollen hatte er auch in „Der Fahnder“ und „Auf Achse“. Seit 1997 ist er Teil des Kölner „Tatorts“ als Gerichtsmediziner Dr. Joseph Roth. Seit 2015 moderiert er „Im Kopf des Verbrechers“ (bei Sat.1 Gold), und „Überführt“ (ZDF Info).

Er ist Träger des Bundesverdienstkreuzes (wegen seines Engagements für den Verein „Tatort – Straßen der Welt“, der sich für Straßenkinder einsetzt). Er ist verheiratet, hat eine Tochter. Sein neues Buch ist im Ullstein Verlag erschienen (12,99 Euro).