Es war eine brutale Attacke, die Deutschlandweit für Aufsehen sorgte. Im März 2018 wurde der Top-Manager Bernhard Günther bei einer Joggingrunde mit Säure übergossen und schwer verletzt. Seither gab es zwei Verurteilungen. Doch eine Frage bleibt bis heute ungelöst.
ARD-Doku „Säure-Attentat“Brisante Täter-Frage: „Wir wissen, an welcher Tür wir klingeln müssen“

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Manager Dr. Bernhard Günther erzählt vom Säureangriff, der im März 2018 auf ihn verübt wurde. Bis heute ist ungeklärt, wer die Tat beauftragt hat. (Bild: SWR/DOKFILM/Martin Christ)
Sechs Jahre ist es mittlerweile her, dass Bernhard Günther, damaliger Finanzvorstand bei Innogy, am Opfer einer Säure-Attacke wurde. Bei einer Joggingrunde am 4. März 2018 in Haan bei Düsseldorf wurde der Top-Manager aus dem Hinterhalt überrascht und brutal attackiert. Die dreiteilige Doku „ARD Crime Time: Das Säure-Attentat“ beleuchtet den Fall und zeigt die Fragen auf, die noch heute unbeantwortet sind.
Günther überlebt die Attacke im Frühjahr 2018, behält trotz schwerer Verätzungen im Gesicht sein Augenlicht. Doch er weiß: „Das hätte auch böser ausgehen können.“ Mittlerweile wurden zwei Täter gefasst und verurteilt. Doch abschließen kann er mit der Tat auch Jahre später nicht. Denn zum einen ist weiter unklar, wer der Auftraggeber und die Mittelsmänner sind, und zum anderen war dies nicht die erste Attacke auf den Manager.

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Ganz in der Nähe seines Zuhauses wird Energiemanager Dr. Bernhard Günther von zwei Männern zu Boden gerungen. Sie schütten ihm konzentrierte Schwefelsäure ins Gesicht. Schwer verletzt kann sich das Opfer später nach Hause schleppen und einen Notruf absetzen. (Bild: SWR/Feuerwehr Haan )
Bereits 2012 wurde der ausgebildete Volkswirt Opfer eines Überfalls. Nur wenige Hundert Meter entfernt vom Tatort der Säure-Attacke wird der 58-Jährige angegriffen und geschlagen. Er erleidet mehrere Prellungen und einen Knöchelbruch. Nach drei Monaten werden die Ermittlungen eingestellt. Die Täter von 2012 werden nie gefasst.
Säure-Attacke auf Innogy-Manager Bernhard Günther
Günther ist sich sicher, dass die Attacke sechs Jahre später mit dem ersten Überfall zusammenhängt: „Das kann kein Zufall sein“, betont er in der ARD-Doku. Nach dem zweiten Angriff stellt sich Günther die Frage, wer von seinem „Ausfall profitieren könnte“ und erstellt - wie schon 2012 - eine Liste mit potenziellen Namen aus seinem Umfeld.
„Als ich dann die Namen von den beiden Listen übereinander gelegt habe, blieb nur ein Name übrig“, erklärt Günther vor der Kamera. Auch der „Zeit“-Journalistin Luisa Hommerich, die sich nun seit Jahren mit dem Fall beschäftigt, wird genau dieser Name im Laufe ihrer Recherchen mehrfach genannt. Er fiel demnach in mehreren Gesprächen mit Insidern der Energiebranche.

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Energiemanager Dr. Bernhard Günther wurde auf seiner Joggingrunde im März 2018 mit konzentrierter Schwefelsäure angegriffen. Feuerwehrleute in Schutzkleidung und mit Gasmasken unterstützen die Rettungsmaßnahmen. (Bild: SWR/Feuerwehr Haan)
Bernhard Günther teilt der Polizei den Namen mit. Die sind jedoch nicht überzeugt, schließen auch einen Täter aus dem persönlichen Umfeld weiterhin nicht aus. Janina Bachtenkirch, Staatsanwältin in Wuppertal, die seit 2022 in dem Fall ermittelt, erklärt dazu: „Gerade Säure ist eben auch ein Tatmittel, was auf einen persönlichen Bezug hindeutet.“ Es sei jedoch alles beleuchtet und in alle „Bereiche ermittelt worden“. „Es konnte sich aber kein Tatverdacht hinsichtlich einer bestimmten Person erhärten“, so Bachtenkirch.
Opfer erfuhr aus dem Medien, dass die Ermittlungen eingestellt wurden
Günther sieht das anders: „Als wir viele Monate später über unseren Anwalt das erste Mal Zugriff auf die Ermittlungsakte bekamen, sahen wir, dass zu diesem Zeitpunkt in das berufliche Umfeld überhaupt nicht ermittelt wurde.“ Im privaten Umfeld sei dagegen, so Günther, „recht forsch ermittelt“ worden. Bis heute kann der Manager das damalige Vorgehen der Ermittler nicht nachvollziehen.

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Der Originalschauplatz: An diesem hübschen Stichweg in der Stadt Haan, die zwischen Düsseldorf und Wuppertal liegt, übergießen Unbekannte den Energiemanager Dr. Bernhard Günther im März 2018 mit konzentrierter Schwefelsäure. (Bild: SWR/Feuerwehr Haan)
Doch der nächste Rückschlag für Günther ließ nicht lange auf sich warten. Im August 2018 verkündet die damalige leitende Staatsanwältin in dem Fall, dass die Ermittlungen abgeschlossen werden - Bernhard Günther selbst erfährt davon laut eigener Aussage aus die Medien. „Da gab es keinerlei direkten Kontakt“, betont er, versichert aber: „Ich wäre jederzeit für direkten Kontakt offen gewesen und habe dies auch signalisiert, auch über meinen Anwalt.“
Der gebürtige Leverkusener entscheidet sich daraufhin, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und engagiert gemeinsam mit seinem Anwalt Sascha Kuhn auf eigene Kosten einen Privatermittler.
Hinweisgeber nennt ersten Täternamen
Um weitere Hinweise zu den möglichen Tätern zu bekommen, setzen sie eine Belohnung von 80.000 Euro aus. Die Kosten übernahm Günthers Arbeitgeber Innogy. Und tatsächlich: Bereits nach kurzer Zeit meldet sich ein anonymer Hinweisgeber bei Anwalt Sascha Kuhn. Der Unbekannte kann beide mutmaßlichen Täter beschreiben - mit der Polizei reden will er jedoch nicht. Der Mann versichert, er wäre zudem in der Lage, beide Täter zu identifizieren, aus Angst um seine eigene Unversehrtheit ist er zunächst jedoch nur dazu bereit, einen der beiden Namen zu nennen.

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Am Tatort stellen die Ermittler ein Konservenglas mit französischsprachigem Etikett sicher, aus dem mutmaßlich konzentrierte Schwefelsäure auf Energiemanager Dr. Bernhard Günther gegossen wurde. (Bild: SWR/DOKFILM/Martin Christ)
Auf einem von dem Hinweisgeber zur Verfügung gestellten Facebook-Foto erkennt Bernhard Günther dann tatsächlich einen seiner Angreifer. Diesen kann er auch in einer darauffolgenden Wahllichtbildvorlage bei der Polizei identifizieren.
Der Mann flüchtet zunächst in seine Heimat Serbien, taucht kurze Zeit später dann aber als Teilnehmer bei einer Sportveranstaltung in Köln auf. Die Polizei reagiert und nimmt den Mann fest. Doch die Freude Günthers über den wichtigen Ermittlungsschritt währt nicht lange. Der Verteidiger des Verdächtigen verlangt, dass er wegen einer nicht ausreichenden Beweislage freigelassen wird. So sei Günther, als ihm die Wahllichtbildvorlage von der Polizei präsentiert wurde, voreingenommen gewesen, da ihm zuvor Facebook-Fotos des Tatverdächtigen gezeigt wurden. Ein folgenreicher Fehler der im September 2019 tatsächlich zu der Freilassung des Verdächtigen führt.
Günther ist bis heute fest von seiner Täter-Theorie überzeugt
Das Team von Bernhard Günther entscheidet sich, erneut eine Belohnung auszusetzen. Dieses Mal werden für Hinweise 100.000 Euro ausgelobt. Und tatsächlich meldet sich kurz darauf der erste unbekannte Hinweisgeber erneut bei Sascha Kuhn, will gegen eine erneute Belohnung nun auch den Namen des zweiten Täters verraten - und gibt damit den entscheidenden Hinweis.
Im November 2021 wird der ein in Belgien lebender Mann festgenommen, eine DNA-Probe liefert endgültige Gewissheit: Die am Tatort gefundene DNA-Spur stammt von ihm. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung werden gelöschte Chatverläufe mit dem zweiten Tatverdächtigen sichergestellt. Obwohl er nicht geständig ist, wird er vom Landesgericht Wuppertal zu zwölf Jahren Haft verurteilt.
Durch die neuen Beweise kann nun auch der erste Tatverdächtige erneut festgenommen und verurteilt werden. Auch er muss wegen schwerer Körperverletzung für elf Jahre ins Gefängnis. Konkrete Hinweise auf den Auftraggeber oder Mittelsmänner gibt es dagegen weiterhin nicht.
Bernhard Günther ist bis heute fest von seiner Täter-Theorie überzeugt: „Ja, wir wissen, wo sich X aufhält, wo er wohnt. Wir wissen an welcher Tür wir klingeln müssen, aber die Beweise reichen nicht aus“, sagt der Top-Manager vor der ARD-Kamera. Günther stellt klar: „Wir hoffen natürlich, dass die Aufklärung der Tat weitergeht. (...) Wir werden auch nicht locker lassen, bis das geschehen ist. Die Hoffnung stirbt zuletzt.“
„ARD CrimeTime: Das Säure-Attentat - Der Angriff auf Bernhard Günther“ ist am Dienstag, 8. Juli, 23.15 Uhr, im Ersten zu sehen und schon jetzt in der ARD-Mediathek, (tsch)